Oper eines im KZ ermordeten Komponisten: Der Zorn der Geächteten

Der Komponist Eugen Engel wurde im KZ ermordet. Seine expressive Oper „Grete Minde“ war lange unbekannt. In Magdeburg wurde sie jetzt uraufgeührt.

Raffaela Linti steht mit einem Bündel, wie ein Kind, im Arm neben einem schlafenden Mann

Raffaela Linti und Zoltan Nyári in „Grete Minde“ in Magedburg Foto: Andreas Lander

Ein Happy End kann man diese Uraufführung nicht nennen. Ein Happy End kann es für diese Geschichte nicht mehr geben, denn ihr Protagonist, der Komponist Eugen Engel, wurde 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Aber dass nun, achtzig Jahre nach dem Tod des zu Lebzeiten gänzlich unbekannten Musikers, seine einzige Oper doch noch auf die große Bühne kommt, das ist zumindest ein kleiner tröstlicher Dreh im Epilog.

Eugen Engel, 1875 im ostpreußischen Widminnen in eine jüdische Familie geboren, war als Komponist das, was man einen Autodidakten nennt. Von Beruf Stoffhändler (er betrieb ein Geschäft in Berlin-Mitte), war er nie in den Genuss einer geregelten musikalischen Ausbildung gekommen, hatte aber privat Unterricht genommen. Etliche Lieder von ihm kamen in Amateurkreisen zur Aufführung. An seiner Oper arbeitete er möglicherweise seit 1914, genau ist das nicht mehr festzustellen; sicher ist nur, dass sie ausgerechnet im Jahr 1933 fertig wurde und Engel sich in den Folgejahren vergeblich um Aufführungsmöglichkeiten im Ausland bemühte.

Seine Tochter Eva war rechtzeitig in die Niederlande und weiter in die USA emigriert. Dorthin nahm sie auch einen Koffer mit, der unter anderem die Opernpartitur enthielt – und den erst ihre eigenen Kinder viele Jahrzehnte später öffneten. Über private Kontakte geriet der Klavierauszug (den Engel selbst noch hatte anfertigen lassen) in die Hände von Anna Skryleva, Generalmusikdirektorin an der Oper Magdeburg. Skryleva erkannte das große Bühnenpotenzial des Materials und beschloss, sich dafür einzusetzen. Intendantin Karen Stone zog mit, um das Werk in Magdeburg zur Uraufführung zu bringen.

Das passt auch geografisch, denn Handlungsort von „Grete Minde“ ist die Stadt Tangermünde, die nur ein kleines Stück weiter elbabwärts liegt. 1617 brannte sie zum großen Teil nieder. Der Brandstiftung für schuldig befunden wurde unter anderem eine junge Frau: Margarethe Minde, die sich mit Verwandten um eine Erbschaft gestritten und angeblich aus Rachsucht die Stadt angezündet hatte.

Fontane stellte sich auf die Seite der Frau

„Grete Minde“ von Eugen Engel, wieder in der Oper Magdeburg: So, 20. 2. und Sa, 5. 3.

Diese historische Grete Minde (deren Schicksal auch Siegfried Matthus und Søren Nils Eichberg zu Opern verarbeitet haben) gilt mittlerweile als unschuldiges Opfer eines Justizmords. Als Theodor Fontane im Jahr 1879 eine Novelle aus dem Stoff machte, ging er noch von der Schuld Gretes aus, schlägt sich aber erzählerisch eindeutig auf die Seite der Frau, der von der Gesellschaft Unrecht getan wird. Das Libretto, das der spätere Nazi-Journalist Hans Bodenstedt 1914 für Engels Oper schrieb, hält sich dicht an Fontanes Vorlage. In der Novelle wie in der Oper stirbt Grete in den Flammen.

Die Magdeburger Bühnen-Grete, Raffaela Lintl, verfügt über einen starken und geschmeidigen Sopran, der hervorragend zum Temperament, der spontanen Emotionalität und Gradlinigkeit der Hauptfigur passt: Ihre Grete ist eine Art Naturkind. Als Halbwaise und Tochter einer von auswärts stammenden Katholikin ist sie gesellschaftliche Außenseiterin und fühlt sich in der Familie ihres Halbbruders als Kindermädchen für den kleinen Sohn ausgenutzt. Als der schwelende Dauerkonflikt mit der Schwägerin eines Tages eskaliert, flieht Grete aus der Stadt und schließt sich einer fahrenden Schauspieltruppe an.

In diesem ersten Akt muss die Oper spürbar erst in Fahrt kommen, es muss viel erklärt und verstanden werden, das ist Arbeit für alle. Danach aber flutscht es. Gretes Schicksal reißt mit; sie muss den Tod des Liebsten erleben, dann die Rückkehr in die ungeliebte Stadt, das Ausgestoßensein, die hilflose Wut. Eugen Engels Musik trägt das alles mühelos; die Partitur kann lyrische wie exaltierte Töne, folgt nicht nur den Figuren motivisch in alle Seelenlagen, sondern ist immer auch weiser als sie, liefert Unterströmungen und kommentierende Gestik mit.

Kommunikation durch Klänge

Ausgesprochen abwechslungsreich instrumentiert, ist Engels Musik hörbar beeinflusst von der weit aufgespannten, dabei programmatisch variablen Orchestrierung eines Richard Strauss. Ja, vielleicht sind hier und da auch Wagner’sche Anklänge zu hören, aber nur als leichtes Aufwallen am Rande. Eugen Engel verfolgt kein Konzept der musikalischen Überwältigung, vielmehr eines der Kommunikation durch Klänge; seine Musik behält bei aller zeittypisch großen Expressivität stets auch narrative Mitteilsamkeit.

Das Orchester der Oper Magdeburg unter Anna Skryleva vereint in seiner souveränen Performance beides. Der groß besetzte Opernchor singt wie mit einer Stimme, und auch alle SolistInnen sind wunderbar disponiert. Etwas irritierend sind allein die 40er-Jahre-Anspielungen in Kostümen und Videoeinspielungen, die Regisseurin Olivia Fuchs für sinnvoll gehalten hat. Aber darüber lässt sich leicht hinwegsehen.

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