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Oper „Pénélope“ in MünchenIm Museum der Erinnerungen

Gabriel Faurés selten gespielte Oper „Pénélope“ wird zum Überraschungserfolg. Dank der Regisseurin Andrea Breth und ihrer Feier der Langsamkeit.

Odysseus badet, die Konkurrenten hängen am Haken (v. l. n. r.: B. Jovanovich D. Jones, L. Félix. L. Melrose J. Williams) Foto: Bernd Uhlig

Die Münchner Opernfestspiele gibt es schon 150 Jahre. Für diesen sommerlichen Marathon fährt die Bayerische Staatsoper nicht nur alles auf, was sie im Repertoire (und an Stars) zu bieten hat. Es gibt dazu auch noch zwei Premieren. Von den beiden in diesem Sommer wurde das Nummer-sicher-Stück „Don Giovanni“ dank Regisseur David Hermann zumindest szenisch eher zum Eröffnungsärgernis. Die selten zu sehende „Pénélope“ von Gabriel Fauré (1845–1924) hingegen zu einem Überraschungserfolg.

Musikalisch ist die Musik des Franzosen, die von den Heroen Wagner und Debussy profitiert und sich zugleich zu emanzipieren versucht, von überwältigender Suggestivkraft. Kann gut sein, dass sie auch vom Genius loci des Prinzregententheaters profitiert, das ja vom Festspielhaus in Bayreuth inspiriert ist.

In erster Linie sind es aber die finnische Dirigentin Susanna Mälkki, das Bayerische Staatsorchester und die exzellenten Protagonisten, die mit ihrer Prachtentfaltung für musikalische Überwältigung sorgen.

Zehn Jahre im Krieg

Die aktuelle Neuproduktion ist aber nicht nur ein musikalisches Plädoyer für dieses selten gespielte Werk, sondern dank Regisseurin Andrea Breth auch ein szenisches. Trotz oder besser wegen ihrer ganz eigenen Sicht, mit der sie sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit begibt. Verloren ist sie für Pénélope, aber im Blick auf ihre Beziehung auch für ihren Mann Odysseus.

Erst ist er zehn Jahre im Krieg, dann noch mal so lange auf Irrfahrt. Das verändert den Helden und König so, dass ihn seine Frau nicht mehr gleich erkennt. Für diese Geschichte eines schier endlosen Wartens erweist sich die Regie-Meisterin der Präzision und Freundin gedämpfter Grautöne sowie karger Räume als genau richtig.

Bei ihr gibt es natürlich kein turbulent blutiges Gemetzel, wenn der nach zwanzig Jahren zunächst als Bettler verkleidet heimkehrende Hausherr sein Inkognito lüftet und die fünf lästig parasitären Freier niedermetzelt. Das nicht.

An der Narbe erkannt

Was Breth bietet, ist nicht Aktion im klassischen Sinne, sondern es sind Denk- und Assoziationsräume. Man sieht, was man hört. Oder besser noch, was die Akteure auf der Bühne hinter dem ersten Anschein zu sehen meinen. Die Amme etwa, die ihren Herrn als erste an der Narbe, die er von Kindheit an hat, erkennt, sieht dann, so wie auch wir im Saal, den jungen Odysseus von damals auf der Bühne.

Odysseus hat noch einen weiteren, nur imaginierten Doppelgänger, der halt zwanzig Jahre jünger daherkommt als der reale Heimkehrer mit dem grauen Bart. Es ist ein faszinierendes Spiel, was die Regisseurin hier nicht treibt, sondern oft in Zeitlupenbewegungen geradezu zelebriert.

Diese Denkräume sind nicht nur metaphorisch, sondern auch ganz real auf der Bühne von Raimund Orfeo Voigt. Zunächst sieht man im leeren Raum nur ein paar griechische Helden-Torsi. Zwischen ihnen schlendert Odysseus langsam wie in einem Museum seiner Erinnerungen, während eine alte Frau im Rollstuhl ganz langsam vorbeigeschoben wird. Sorge, ja Angst um seine verlassene Frau werden hier zum Bild. Und die dann durchdeklinierte Methode des Abends quasi eingeführt.

Freie Haken im Schlachthaus

Nach diesem Entree ziehen meistens diese Denk- und realen Räume kaum merklich von links nach rechts über die Bühne. Man sieht die Mägde des Hauses wie zu einem Berg Lumpen gehäuft. Penelope beim Weben. Die ehrgeizigen Freier. Ein Schlachthaus mit baumelnden Tierhälften und freien Haken für die Großmäuler. Auch hier die szenische Vorwegnahme: Sie hängen schon dort, während sie noch die Königin zu einem Jawort für einen aus ihren Reihen bringen wollen.

Einen hübschen, stark bejubelter Gag gönnt sich Andrea Breth: Um die Leichtigkeit zu demonstrieren, mit der es Odysseus als Einzigem gelingt, seinen Bogen zu spannen, nimmt eine kopfstehende Akrobatin den Bogen und einen Pfeil mit den Füßen auf, schießt und trifft. Sie wird genauso bejubelt wie die mezzoeloquente, gefühlvolle Victoria Karkacheva als Pénélope, Brandon Jovanovich als Ulysse und durchweg alle anderen Protagonisten.

Es ist ein Theater, bei dem sich szenisches Denken entfaltet und dabei zugleich nach innen, in die Vergangenheit oder eine erwünschte Zukunft blickt. Und das Faurés Musik genau den Raum lässt, um sich zu entfalten. Großartig.

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