Open Access in der Hamburger Kunsthalle: Der fremde Blick
Die Hamburger Kunsthalle wagte ein Experiment: Sie ließ Laien aus aller Welt eine Ausstellung zusammenstellen – leider mit wenig Mehrwert für Besucher.
Gute Laune macht an der dieser Ausstellung nur der gute Wille – und das zentrale Bild „Freiheit oder Tod“ von Jean-Baptiste Regnault. Es kam als eines der ersten in die Sammlung der Hamburger Kunsthalle und scheint seit 1795 aktuell. Was da im Hubertus-Wald-Forum der Kunsthalle zu sehen ist, ist allerdings ein noch ganz unabgesichertes und noch zu evaluierendes Experiment, eher eine museumsdidaktische Dokumentation als eine Ausstellung.
In der Suche danach, wie die Sammlung des Hauses immer wieder neu und anders erschlossen werden kann, wagte es Christoph Martin Vogtherr, für seine erste hier verantwortete Ausstellung einen völlig offenen Zugang zu ermöglichen. Im Projekt „Open Access“ haben zwölf aus verschiedenen Ländern nach Hamburg Gekommene über Monate mit dem hier ebenfalls neuen Direktor in sechs Workshops Ideen ausgetauscht und die Depots durchforstet.
Aus Menschen, die teils noch nie in der Kunsthalle waren, sind durch das Einräumen kuratorischer Kompetenzen nun aktive Freunde des Hauses geworden, die ihren Zugang öffentlich zeigen und weitere Interessenten gewinnen wollen. Der Erkenntnisgewinn für die Beteiligten ist wahrscheinlich gar nicht hoch genug einzuschätzen – doch für alle anderen bleibt er eher gering.
Fachkompetenz ist bei aller Liebe nicht leicht zu ersetzen. Sachfremder Quereinstieg kann produktiv und kreativ sein; Nichtwissen ist keine Schande, aber auch keine Qualität. Wenn es einen Muslim irritiert, dass bei Jan Provoost ein auch noch halbnackter Jesus mit dem Fuß auf einem Buch (der Bibel) steht, es also zu treten scheint, so könnte die immerhin 511 Jahre alte Allegorie ja auch ganz evangelisch damit erklärt werden, dass da niemand einen heiligen Text „tritt“, also missachtet, sondern dass die Verbildlichung des Göttlichen aus diesem Text „hervortritt“, also erscheint. Niemand muss dergleichen emblematische Bild-Text-Relationen kennen, aber diese zu vermitteln, wäre doch auch Aufgabe der Kunsthistoriker, die so eine Gruppe begleiten.
Selbstverständlich ist ein Abgleich mit den Werten der eigenen, mitgebrachten Kultur wichtig. Der heilige Georg hat nun mal viel Ähnlichkeit mit persischen oder drusischen Ritterheroen. Die waren vielleicht sogar sein Vorbild. Doch es kommt bei Kunst ja nur zum geringsten Teil darauf an, etwas wiederzuerkennen, sondern vor allem darauf, eine Differenzerfahrung zu machen.
Aber auch jemand wie Helmut Schmidt mochte von Nolde nur die wiedererkennbaren Blumen – kein Wunder, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich für Gemälde von ihrer alten Heimat interessieren. Es ist ein guter Zugang zur Kunst, sich Bildern mit Sympathie zu nähern und erst einmal frei alles sagen zu können, was einem dazu einfällt. Aber das ist eben ein Annäherungsprozess, noch kein Endergebnis.
Es erscheint geradezu kontraproduktiv, diese Annäherung in einer Ausstellung zu veröffentlichen. Denn es stellt unbegründbare Interpretationen den Aussagen gleich, die die Museumspädagogik sonst in den Saaltexten dem Publikum anbietet. Der dabei entstandene, manchmal abwegige, mitunter kreativ überraschende Neusinn diskreditiert dabei keineswegs die Mitspieler in diesem Prozess. Er diskreditiert vielmehr die Museumspädagogik, die trotz immensem Aufwand nicht weit genug gedacht hat.
Ein Bild muss sich nicht alles sagen lassen. Es verfügt über inhaltliche und technische Elemente, die in einer Art stummem Dialog die möglichen Aussagen leiten und zielführend einengen. Es muss im Dialog intellektuell befragt werden, nicht mit eigenen Meinungen bombardiert werden, schon gar nicht mit religiösen, ist das Museum doch in seiner Grundvoraussetzung säkular.
So wenig wie Götter oder Geisterbilder fremder Kulturen eurozentrisch fehlinterpretiert werden sollten, so wenig sollte auch die kunstgeschichtliche Traditionslinie Europas freundlicher Willkür anheimgegeben werden. Ein Artefakt erschöpft sich nicht darin, ein Spiegel seines Betrachters zu sein, es ist vor allem eine Manifestation seines spezifisch eigenen, historischen Kulturzusammenhanges.
Es ist etwas anderes, ob im Dialog mit Menschen total differente Meinungen – auch über Bilder – ausgetauscht werden, oder ob eine offizielle Ausstellung der Hamburger Kunsthalle das veröffentlicht: Die Karte ist nicht das Gebiet, der Weg ist nicht das Ziel. Die Stadt, die mit der Hamburger Schule, mit Warburg, Panofsky und dergleichen kunsthistorischen Größen nicht unwesentlichen Anteil an der Entwicklung der Ikonologie hat, sollte – insbesondere historische – Bildinhalte weiterhin vermitteln, nicht in gänzlich „open access“ einer Beliebigkeit preisgeben.
Denn obwohl alle ständig immer Bilder benutzen: Das Bilderlesen und Bilderverstehen nimmt aktuell dennoch ab. Es wäre also gegenüber einer auf den ersten Blick viel zu didaktischen Ausstellung nicht weniger, sondern gerade in der Referenz auf die Vermittlungsarbeit des Kunsthallen-Gründungsdirektors Alfred Lichtwark noch viel mehr Didaktik einzufordern.
Auch die Theorie zur diesjährigen Documenta fordert „radikale Subjektivität“. Doch diese entbindet die Kunst selbst von historischer und aktueller Bedeutungsrelevanz und setzt stattdessen die handelnden Subjekte autonom – leider auch gegenüber der damit zu einem bloßen Teaser schrumpfenden, irgendeinen kleinen Assoziationsanlass bietenden Kunst, gefährlich nah an der oberflächlichen Inbeziehungsetzung, wie sie beim Selfie praktiziert wird.
Zu fordern wären eher Besucherschulen für alle, die das Anliegen der Kunst vermitteln – beispielsweise in der Art, wie sie Bazon Brock seit Jahrzehnten praktiziert –, nicht aber autistische, radikal subjektiv zusammengestellte Bildergärten. Aber dass „Respekt“ und „Freiheit“ unter den von der Gruppe erarbeiteten fünf ausstellungsbestimmenden Kernbegriffen sind und dass dafür Bilder gefunden wurden, ist natürlich sehr schön.
„Open Access – 13 Blicke in die Sammlung“: bis 27. 8., Hamburger Kunsthalle
Roundtable zu den Fragen, was ein Museum für die sich verändernde Stadtgesellschaft tun kann und wie aus einem öffentlichen Ort ein Ort für die Öffentlichkeit werden kann: 29. 6.
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