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Online aus dem Subventionssumpf

■ Die Konzertagentur dacapo feiert 15-jährigen Geburtstag. Agenturchef Ingo Ahmels will dafür den Konzertbetrieb wieder aufnehmen und in ein paar Jahren ohne öffentliche Förderung auskommen. Das ist ein provozierendes Projekt

Dacapo steht vor dem Konkurs. Die Konzertgesellschaft, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen feierte, kündigte gestern das „Aus“ zum Jahresende an.

Das stand vor genau fünf Jahren in der taz. Mit ein paar kleinen Korrekturen könnte das Gleiche auch heute wieder in dieser Zeitung stehen. Denn auch zum 15-jährigen Jahrestag der Gründung schrammt die Konzertagentur am Rand der Insolvenz entlang. Wie das Schnürschuh- und das Junge Theater gehört auch dacapo zu sieben Einrichtungen, die bislang noch nicht durch einen amtlichen Bescheid wissen, ob sie 2001 weiter gefördert werden. Doch bei der Agentur, die zurzeit 170.000 Mark Zuschuss pro Jahr erhält, verbirgt sich hinter der Wirklichkeit noch eine andere: Denn dacapo steht vor einem Neuanfang. Und der ist eine Provokation.

„Wir sind eine Kultureinrichtung, die es schafft, sich am eigenen Schopf aus dem Subventionssumpf zu ziehen“, strotzte gestern der dacapo-Chef Ingo Ahmels vor Selbstbewusstsein und stellte sein neues Projekt vor. Schon ab Januar wollen Ahmels und seine beiden MitdacapistInnen, die Musikerin Lou Simard und der Künstler Harald Falkenhagen, die gemeinnützige GmbH in eine Art gemeinnützigen Musikversand umbauen. Mit den Einnahmen sollen neue Konzerte finanziert werden. In zwei, spätestens aber in vier Jahren wollen Ahmels und Co. ohne öffentliche Förderung auskommen.

Dieses kühne Konzept hat sich Ahmels ganz zeitgeistig durchrechnen lassen. Tilman Driessen, ein heute selbständiger ehemaliger Mitarbeiter der Unternehmensberatung McKinsey, spendierte dacapo ein Gutachten mit erstaunlichen Schlussfolgerungen. Die im Frühjahr 2000 (nicht zum ersten Mal) wegen der nach Ahmels Ansicht unzuverlässigen Förderpraxis der Kulturabteilung eingestellte Konzertreihe hat demnach Weltniveau: Driessen hat die rund 30 Konzerte pro Jahr kurzerhand dem Bereich Neue Musik zugeordnet und festgestellt, dass sie nach den Donaueschinger Musiktagen deutschlandweit das zweitgrößte Publikum erreichen. Der Gutachter sagt zwar, dass er keine Ahnung von Kultur habe und nur wirtschaftliche Daten vergleiche. Doch demnach belegt Bremen im Neue-Musik-Bereich dank der vergleichsweise minimal geförderten dacapo-Reihe und Festivals wie der „pro musica nova“ und der Tagung der Projektgruppe neue Musik in ganz Europa, ach, weltweit einen Spitzenplatz, was nicht mal in der Szene bekannt sei.

Selbstredend sieht so ein Gutachter da enorme Entwicklungspotenziale. Andere dagegen lassen sich durch solche Analysen auf die Palme bringen. Die Radio-Bremen-Redakteurin Marita Emigholz, die dacapo-CDs mitproduziert hat und selbst die „pro musica nova“ veranstaltet, warf Driessen gestern vor, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ahmels hält sie entgegen, dass er sich zu Lasten anderer profilieren wolle. Das wiederum bringt Ahmels auf die Palme: „Man kann bei Äpfeln und Birnen unter anderem den Vitamingehalt und das Gewicht vergleichen.“ Als kleiner David und ohne Apparat und Kofferträger stelle dacapo ein Programm auf die Beine, das sich mit hoch subventionierter Konkurrenz messen lassen könne. So rangeln sie.

Aber was ist mit dem Programm? Das soll sich in Zukunft ändern und doch genauso bleiben. Ahmels will auch künftig an der Gründungsidee festhalten, sich nicht um die Grenzen zwischen Jazz, Klassik und Neuer Musik zu scheren. Damit hat sich dacapo in den vergangenen 15 Jahren viele FreundInnen gemacht, und in vielen der zahllosen Konzertrezensionen verbargen sich allerlei Schwärmereien wie „rührig“ oder „einzigartig“. Allerdings gibt es auch KritikerInnen wie die ehemalige dacapo-Mitarbeiterin Brigitte Schulte-Hofkrüger, die der Agentur vorwerfen, Personen und Programme nur noch zu wiederholen.

Statt einer Konzertreihe will Ahmels im nächsten Jahr drei Programmblöcke veranstalten. Spielstätte ist nicht mehr das Übersee-Museum, sondern die Kunsthalle und das Bremer Theater. Dessen Intendant Klaus Pierwoß sah's gestern politisch: „Das Theater ist der Asylantenhort der kulturpolitisch Geschädigten.“

In trockenen Tüchern ist das erste Minifestival: Vom 12. bis zum 14. Januar serviert Ahmels das internationale Klavierfestival „piano adventures“ mit einem vielseitigen Programm. Ende April ist ein Musiktheaterprojekt geplant. Weitere Konzertfragen sind noch offen. Der neue Musikalienhandel steht dagegen fest: Ab Januar bietet dacapo unter dem Titel „MOS“ (für „Members Only Sampler“) gegen eine Spende von 50 Euro (knapp 100 Mark) neu aufbereitete Aufnahmen aus dem Archiv an. „AbonnentInnen“ können sich zehn dacapo-Sampler pro Jahr aus dem Internet herunterladen (http://i.am./dacapo) oder gegen zusätzliche Gebühr als CDs schicken lassen.

Christoph Köster

Jubiläumsmatinee am Sonntag, 10. Dezember, um 11.30 Uhr im Schauspielhaus: Der Pianist Herbert Henck spielt John Cage, der Komponist Hans Otte hält eine Laudatio, und der Pianist Michael Leslie spielt aus Bachs „Kunst der Fuge“.

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