Olympische Sprechakte: Being Thomas Bach
Unser Olympia-Autor wird berührt vom Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees – und benimmt sich danach eigenartig.
I rgendetwas ist anders, seit es geschehen ist. Den ganzen Tag gehen mir diese olympischen Phrasen wieder und wieder durch den Kopf. „Die Athleten sind das Herz der Spiele“, ist einer dieser Sätze. Einmal erwische ich mich sogar dabei, wie ich ihn im Pressezentrum immer wieder laut vor mich hinsage. Als sich in der Handball-Arena im Süden der Stadt die Mannschaften vor dem Spiel aufstellen, möchte ich sie am liebsten ansprechen.
Die Sätze dafür liegen in meinem Kopf bereit. „Liebe Athleten, das ist der Höhepunkt eurer olympischen Reise. Ihr seid als Athleten nach Paris gekommen. Jetzt seid ihr Olympioniken.“ Ich möchte mich zwicken, beißen, schlagen. Ich möchte ihn irgendwie wieder rausbekommen aus meinem Schädel, diesen olympischen Predigtton, der sich da in mir festgesetzt hat.
Doch es geht weiter: „Wenn ihr das olympische Dorf betretet, werdet ihr wie Generationen von Olympioniken zuvor feststellen: Jetzt bin ich Teil von etwas, das größer ist, als ich selbst. Jetzt bin ich Teil eines Ereignisses, das die Welt in Frieden vereint.“ Ich habe nun wahrlich schon viel Unsinn zusammenfantasiert in meinem Leben, aber so einen Schmarrn im Kopf zu haben, das ist dann doch eine neue Erfahrung. Was ist nur los mit mir? Liegt es wirklich an dieser unheimlichen Begegnung vorhin im Zielbereich des Triathlonrennens?
Dafür ist die taz nun wirklich nicht gegründet worden
Der Wahnsinn will gar kein Ende nehmen. Die nächsten Sätze machen sich in meinem Hirn breit. „In unserer olympischen Welt gibt es keinen Globalen Süden, keinen Globalen Norden. Wir alle respektieren die gleichen Regeln und uns gegenseitig – in unserer olympischen Welt, zu der wir alle gehören.“ Wer hat sich diesen Unsinn nur ausgedacht?
Das weiß ich natürlich. Es sind Sätze aus der Ansprache von Thomas Bach bei der Eröffnung der Olympischen Spiele. Sind die Sätze des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees wirklich auf mich übergangen, als er sich vorhin mithilfe seiner sehr zahlreichen Bodyguards an mir vorbeigedrängelt hat, um Cassandre Beaugrand, der Siegerin des Frauentriathlons, einen Glückwunsch aufzuzwingen?
Thomas Bach hat mich dabei berührt. Ist dabei etwa der olympische Geist auf mich übergegangen? Hat er mich nun im Griff? „Unser Traum wird heute wahr.“ Schon geht es weiter: „Eine Wahrheit, die für jeden offensichtlich ist. Olympioniken von überall auf der Welt zeigen, zu welcher Größe die Menschheit in der Lage ist.“ Ich will diese Gedanken nicht denken.
Was werden meine Kollegen in der Redaktion nur sagen, wenn ich jetzt auch noch anfange, solche Texte zu schreiben? Für so eine gequirlte Kacke ist die taz nun wirklich nicht gegründet worden. Ich brauche einen Abend olympiafrei. Vielleicht hilft das. In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser: „Seid wie die olympischen Athleten von der Freude, die uns nur der Sport geben kann, inspiriert.“
Oh je!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz