Olympianacht in Rio: Der Klang der 10 Meter
Golt, also Gold für Bolt gab es letzte Nacht. Und sonst? Drei Hipster auf der Rennbahn und die beste Ringerin der Welt weint.
Der Wettkampf der letzten Nacht: Was wohl? Die längsten 200-Meter-Schritte der Welt. Usain Bolt holte sich gestern seine achte Goldmedaille ab. Weltrekord? Nicht ganz, macht aber in diesem Jahr auch eher verdächtig. Dahinter heftete sich sein Kronprinz in spe an die Fersen: der Kanadier Andre De Grasse. Und Christophe Lemaitre gewann mit nicht mehr als einer Nasenlänge Abstand zum vierten Platz Bronze.
Die Athleten der letzten Nacht: Die drei Hipster aus dem ersten 1500-Meter-Vorlauf: Henrik Ingebrigtsen (Retro-Schnauzer, Pomade, verspiegelte Brille), Piet-Jan Hannes (schnieckes Schweißband und ein Hauch Michael Cera in Juno) und Ben Blankenship (Vollbart mit Vollmatte). Ingebrigtsen und Hannes liefen unter ferner liefen, Blankenship sehen wir im Finale wieder.
Das Drama der letzten Nacht: Finale im Ringen der Klasse bis 53 Kilogramm, Freistil: die US-Amerikanerin Helen Maroulis gegen die dreifache (!) Olympiasiegerin Saori Yoshida aus Japan. Yoshida, so heißt es, ist die beste Ringerin der Welt. Vorab verkündet Gehard Delling: „Niemand weint so herzzerreißend wie die Ringerinnen.“ Klingt ziemlich unseriös – also der Moderator. Falls Sie noch nie einen Ringkampf gesehen haben: Es sieht ein bisschen aus wie Judo, nur weniger Trikotzupfen, mehr Umarmen. Ein Kampf dauert sechs Minuten, wer passiv bleibt, wird im Freistil bestraft. Und obwohl es bisweilen innig wirkt, ist Ringen vor allem kräftezehrend. Deshalb sind die letzten 30 Sekunden entscheiden. Hier kann alles passieren. Gegen Ende dieses Finales liegt die US-Amerikanerin dank zwei guter Aktionen mit 3:1 Punkten überraschend vorne. Was kann die beste Ringerin der Welt noch tun? Der Kommentator rät: etwas Verrücktes, zum Beispiel ein „Eichhörnchen“. Was auch immer das heißt. Maroulis lässt sich jedenfalls von nichts aus dem Konzept bringen. Die Uhr läuft runter und die beste Ringerin der Welt muss sich zum ersten Mal seit Jahren geschlagen geben. Delling würde sagen: Jetzt weint sie herzzerreißend. Delling hätte Recht. Yoshidas Trainer schaut sie nur vorwurfsvoll an, die Kameraleute stürmen schon herbei, als ihre Gegnerin kommt und sie fest in den Arm nimmt.
Die Schlussfolgerung der letzten Nacht: Ein guter Sprung vom 10-Meter-Turm klingt ziemlich schön. Alle reden ja viel lieber über die Fontäne beim Eintauchen. (Viele Spritzer sind schlecht, denn das heißt zu flach, leicht mit den Beinen übergeschlagen oder halt voll verpatzt.) Doch wenn ein Sprung gelingt, hört man das auch. Am schönsten klang gestern der dreieinhalbfache Rückwärtssalto von Ren Qian. Die Wasseroberfläche bricht ganz leise, ein kurzer satter Sound mit kaum Obertönen. Dafür gab es dreimal 9,5 Punkte bei absoluter Höchstschwierigkeit. Keine andere sprang in diesem Finale klangvoller als die 15-jährige Chinesin.
Und sonst? Irgendwo zwischen 200-Meter-Gold und Beachvolleyball stürzt mein Stream ab. Die Seite lädt neu. Ich stelle mir vor, wie Alexander Bommes im Studio steht, das sich gar nicht in Rio befindet, sondern in Köln Bocklemünd beim WDR. Im Nirgendwo zwischen Lindenstraße und Verstehen Sie Spaß?. Bommes faselt wie immer, doch seine Worte sind nicht so wahllos wie sie scheinen. Tatsächlich liest er präzise vom Teleprompter ab. Der Text stammt von einem aufstrebenden jungen Drehbuchautor, Absolvent der Uni Hildesheim. Das Rio-Ding ist sein erstes bezahltes Werk: „Und dann tanzt Alex Samba.“ Später wird es heißen, die Darstellung des verwirrten Moderators sei bisschen zu gewagt für das öffentlich-rechtliche Publikum. Die Seite lädt weiter. 3.51 Uhr, ich verabschiede mich, Beachvolleyball ist mir jetzt wurscht.
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