Olympia 2022 – Dabei sein verboten (6): Der tibetische Intellektuelle
Der Mönch Go Sherab Gyatso hat sich für den Schutz der Kultur Tibets ausgesprochen. Das reicht in China offenbar für eine langjährige Haftstrafe.
Wegen „Anstiftung zur Sezession“ ist im vergangenen Jahr der tibetische Mönch, Autor und Gelehrte Go Sherab Gyatso nach Angaben von Tibet-Aktivisten zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Strafmaß ist offiziell nicht bestätigt, auch ist das genaue Datum des Prozesses nicht bekannt, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Anklage soll am 3. Februar erhoben worden sein, eine unbestätigte Quelle terminiert das Urteil auf November.
Der etwa 45-Jährige, der auch Gosher genannt wird, war im Oktober 2020 in Chengdu, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan, festgenommen worden. Dort war er zur Behandlung seiner chronischen Lungenkrankheit, die von einem früheren Gefängnisaufenthalt stammt. Erst nach Monaten wurde seine Festnahme gegenüber UN-Mitarbeitern bestätigt.
Go Sherab Gyatso ist jetzt bereits das vierte Mal in Haft. Was er aber jeweils ganz konkret verbrochen haben soll, bleibt in den Berichten über ihn nebulös. In einem Fall soll es in einem Kloster eine Kontroverse um ein Bild des Dalai Lama gegeben haben. Das im indischen Exil lebende religiöse Oberhaupt der Tibeter ist für Peking ein rotes Tuch. Aber unklar ist, oder Go Sherab Gyatso damit etwas zu tun hatte.
Der Gelehrte scheint schon allein deshalb den Argwohn der chinesischen Behörden zu erwecken, weil er als Autor mehrerer Bücher über tibetische Philosophie, der auch immer wieder Vorträge in Klöstern hält, als wichtiger tibetischer Intellektueller gilt. Laut Human Rights Watch (HRW) vertritt er moderne und liberale Ansichten zu Bildung und Buddhismus.
Einflussreicher Gelehrter
Go Sherab Gyatso wurde 1976 in der osttibetischen Region in Sichuan geboren. Sein Vater gehörte der Regierung Tibets in der Zeit vor Chinas Annexion an und floh 1990 nach Nepal. Bereits als Zehnjähriger trat Go Sherab Gyatso dem Kloster Kirti bei, einem der größten und einflussreichsten tibetischen Klöster. Anfang der 1990er Jahre pilgerte er nach Indien und Nepal, 1998 erneut nach Nepal.
2007 veröffentlichte er sein erstes Buch. Dessen Titel lautet übersetzt „Zeit für uns aufzuwachen“. Es soll darin um den Schutz religiöser und kultureller tibetischer Traditionen gehen.
HRW stellt Go Sherab Gyatso als gemäßigt dar. Trotzdem geriet er offenbar mit der Führung des Klosters Kirti aneinander, die – wohl auf Druck Pekings – eine Zensur für Schriften dortiger Mönche einführte. In dem Kloster hatte 2009 die Serie der Selbstverbrennungen von Tibetern begonnen, die damit verzweifelt gegen Chinas Repression protestierten.
„Auffällig ist, dass immer wieder tibetische Gelehrte und Schriftsteller von den chinesischen Behörden festgenommen werden, die sich für den Erhalt der tibetischen Sprache und Kultur einsetzen“, erklärte am Mittwoch das Berliner Büro der International Campaign for Tibet (ICT) zu Go Sherab Gyatso.
Angriff auf die tibetische Kultur und Traditionen
Offenbar zielt Peking darauf, Tibets Kultur zu schwächen. So ist auch HRW kein Hinweis bekannt, dass Go Sherab Gyatso Gesetze gebrochen haben soll. Diese sind in China allerdings meist so vage gehalten, dass sie leicht für willkürliche Anklagen missbraucht werden können.
HRW berichtete am Mittwoch, dass sich der Gesundheitszustand von Go Sherab Gyatso verschlechtert habe. Er müsse unverzüglich freigelassen werden, weil er in Haft nicht angemessen behandelt werden könne, forderte HRW.
ICT hat nach eigenen Angaben schon mehrere Fälle dokumentiert, in denen Tibeter im Gefängnis Folter und Misshandlungen ausgesetzt waren. Etliche starben nach ihrer Haftentlassung auch aufgrund mangelhafter medizinischer Behandlung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass