Oligarchen in der Ukraine: Kriegsgewinnler suchen nach Beute
Der „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“ gehören auch Politiker des Westens an. Mit ihr wollen Oligarchen das Land neu ordnen.
BERLIN taz | Es war schon eine illustere Truppe, die sich am Dienstag auf Einladung des ukrainischen Arbeitgeberverbandes und ukrainischer Gewerkschaften zu dem internationalen Forum „Ukraine morgen“ in Wien eingefunden hatte. Mehr als 250 Geschäftsleute und Politiker berieten über Reformen in der Ukraine – keine leichte Aufgabe angesichts eines drohenden Staatsbankrotts und des Umstandes, dass der Osten des Landes von einem Krieg erschüttert wird.
Im Mittelpunkt der Initiative steht die „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“, die laut dem Nachrichtenportal Ukranews.com Anfang der Woche von dem britischen Oberhausabgeordneten Richard Risby, dem Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann (CDU) sowie dem französischen Schriftsteller Bernard-Henri Lévy gegründet worden war. Unter anderem gehören dem exklusiven Beraterclub auch der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU), Ex-EU-Kommissar Stefan Füle sowie Frankreichs früherer Außenminister Bernhard Kouchner an.
Der Modernisierungsplan für die Ukraine, den die Agentur im September vorlegen will, ist ambitioniert. So geht es nicht nur um Wirtschafts-, sondern auch um Verfassungsreformen. Unter anderem sollen die Regionen mehr Vollmachten in den Bereichen Bildung, Kultur und Steuereinnahmen erhalten.
Die ukrainische Zeitung Segodnja erwähnt in diesem Zusammenhang eine Harmonisierung der Standards zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Wirtschaftsunion (ihr gehören neben Russland auch Weißrussland, Kasachstan und Armenien an), um einen gemeinsamen Markt mit rund 700 Millionen Menschen zu schaffen. Handelbeschränkungen zwischen der EU und Russland sowie der Ukraine und Russland sollen fallen, „um die Wirtschaft Europas zu stärken“.
Mindesteinlage 300 Milliarden Dollar
Einen Teil der notwendigen Mittel für die Reformen – die Rede ist von einem Fonds mit einer Mindesteinlage von 300 Milliarden Dollar – stellen drei ukrainische Oligarchen, die ebenfalls in der Agentur sitzen: Wiktor Pintschuk, Rinat Achmetow sowie Dmytro Firtasch.
Letzterer ist mit einem im März 2014 auf 10 Milliarden Euro geschätzten Vermögen einer der reichsten Männer der Ukraine. Der 49-jährige Firtasch unterhält enge Kontakte zu Russland und ist im Gas-, Chemie-, Medien- und Bankengeschäft tätig. Ein Großteil seiner Unternehmen ist in der „Group DF“ zusammengefasst, deren Firmensitz in Wien ist.
Dort sitzt Firtasch derzeit fest. Am 12. März war er in Wien festgenommen worden. Grundlage dafür war ein 2013 erlassener Haftbefehl eines US-Bundesbezirksgerichts wegen Verdachts auf Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Die US-Justiz wirft Firtasch vor, im Zusammenhang mit einem Titanförderprojekt 18,5 Millionen US-Dollar Schmiergeld an Amtsträger in Indien gezahlt zu haben. Firtasch bestreitet diese Vorwürfe. Am 21. März wurde er gegen eine Kaution von 125 Millionen Euro auf freien Fuß gesetzt. Solange die österreichische Justiz nicht über den US-Auslieferungsantrag entschieden hat, darf er Wien nicht verlassen.
Mäzen für Soziales und Kulturelles
Auch der Unternehmer Wiktor Pintschuk (54) ist in mehreren Branchen unterwegs. Pintschuk ist Eigentümer des Röhrenherstellers Interpipe, eines der größten Industriebetriebe der Ukraine, sowie der Eastone Group, eines Firmenverbunds, zu dem vor allem Unternehmen der Metallverarbeitung, aber auch Fernsehsender und Verlagshäuser gehören. Von 1998 bis 2006 war Pintschuk Parlamentsabgeordneter. Seitdem hat er sich einen Namen als Mäzen gemacht. Seine Stiftung Pinchukfund gibt jährlich Millionen Dollar für soziale und kulturelle Projekte aus. Das von ihm 2006 im Zentrum von Kiew eröffnete Museum Pinchuk Art Centre gilt als das bedeutendste Museum für moderne Kunst der Ukraine.
Der Dritte im Bunde, Rinat Achmetow, bringt es geschätzt auf ein Vermögen von 11,6 Milliarden US-Dollar. Der ostukrainische Kohle- und Stahlmagnat musste seine Heimatstadt Donezk verlassen, wo er anfänglich die prorussischen Separatisten unterstützte, und lebt nun in Kiew. Zurückgeblieben im okkupierten Donbass sind Teile seines Vermögens, zum Beispiel die Donbass Arena, in der früher sein Fußballclub Schachtar Donezk trainierte.
Steinbrück bezeichnete die Agentur als „absolut seriöse Stiftung“. Er ist dort für Finanzen und Steuern zuständig. Zur Vergütung seiner Tätigkeit wollte er sich nicht äußern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein