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Ole von Beust über Berlins CDU„Nicht in allen Punkten zeitgemäß“

Hamburgs Ex-Regierungschef hat im Wahlkampf 2021 die Berliner CDU beraten. Nun empfiehlt er den Parteifreunden, sich von Dogmen zu verabschieden.

Ole von Beust mit CDU-Spitzenkandidat Wegner (r.) im Wahlkampf Foto: dpa
Interview von Stefan Alberti

taz: Herr von Beust, was läuft eigentlich falsch in der Berliner CDU? Im Abgeordnetenhaus hat schließlich nicht die Union, sondern die kleine FDP-Fraktion mit Sebastian Czaja an der Spitze die Oppositionsführerschaft übernommen.

Ole von Beust: Ob da etwas falsch läuft, kann ich von außen nicht beurteilen. Ich glaube zum einen, dass die Enttäuschung groß war, mit einem halbwegs passablen Wahlergebnis – auch im Sog der verlorenen Bundestagswahl – letztlich doch in der Opposition zu landen. Und diese Enttäuschung muss man erst mal überwinden.

Das sollte so langsam aber mal passiert sein – die Wahl war am 26. September.

Das gilt aber nicht nur für Berlin. Wenn ich mir zum Beispiel meine Heimatstadt Hamburg angucke, ist die Situation auch nicht besser. Dort liegt die CDU bei Umfragen bei 13, 14 Prozent, und in vielen anderen Großstädten ist es nicht anders: Die CDU hat dort nach wie vor ein massives Problem. Und das Dritte ist, dass man vermutlich gerade in Städten nur gewinnt, wenn man ein über die Parteigrenzen hinweg grenzüberschreitendes programmatisches und personelles Angebot macht.

Der Wahlkampf war witzig und originell. Aber in der Empfindung der Bevölkerung muss die Werbung auch zum Produkt passen.

Das Angebot der CDU war Kai Wegner, der ja zuvor sogar mal Metropolenbeauftragter der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion war und in dieser Rolle für bessere Großstadt-Verankerung sorgen sollte.

Das ist ein langer Prozess und auch nicht von einer Person alleine hinzukriegen – eine Reihe von Ideen hatte und hat er ja durchaus.

Im Wahlkampf und davor hat die Berliner CDU viel versucht, sich hipp und großstädtisch zu geben, ist sogar weg von den bundesweiten Parteifarben und auf ein schwarz-oranges Logo umgeschwenkt hin – mit begrenztem Erfolg.

Der Wahlkampf war witzig und originell. Aber in der Empfindung der Bevölkerung muss die Werbung auch zum Produkt passen. Und wenn Sie nur eine flockige Werbung haben, aber das Produkt selber nicht als in allen Punkten zeitgemäß angesehen wird, wird das eher nach hinten losgehen.

Was stimmt denn am Produkt nicht?

Ich will mal Beispiele aus der Vergangenheit nennen, und dann kann man zur Gegenwart kommen. Die CDU hat ja jahrzehntelang eine Monstranz vor sich her getragen: Dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, obwohl gerade in den Großstädten der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund schon bei 30, 40 Prozent gelegen hat, in Schulklassen sogar bei 50 Prozent und mehr. Doch mit so einem Dogma erfüllen Sie vielleicht die Herzen der eigenen Leute, aber das reicht nicht, um zu gewinnen …

Im Interview: Ole von Beust

Ole von Beust

67, war bis 2010 neun Jahre Erster Bürgermeister von Hamburg und damit erst der zweite dortige Regierungschef mit CDU-Parteibuch. Er regierte, nachdem er im Landesparlament 23 (!) Jahre in der Opposition gesessen hatte, zuerst mit der rechtspopulistischen Schill-Partei, dann mit absoluter Mehrheit und zuletzt mit den Grünen. 2010 gab er in der Mitte der Wahlperiode sein Amt überraschend auf. Im Berliner Abgeordnetenhauswahlkampf 2021 war er Berater von CDU-Landeschef und Spitzenkandidat Kai Wegner

… sondern eben noch nicht mal für 20 Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl.

Das Gleiche sehe ich bei der Verkehrspolitik. Die CDU tut sich immer noch relativ schwer, nicht als Autofahrerpartei zu gelten. Maßnahmen, im innerstädtischen Bereich den Autoverkehr zu reduzieren, gehen weiter gegen das CDU-Herz. So bin ich ja selbst sozialisiert. Viele Leute wollen sich aber in der Innenstadt als Fußgänger, als Fahrradfahrer, als Einkäufer frei mit hoher Qualität bewegen können. Mit der Einsicht, dass man im Regelfall außer beim Lieferverkehr in der Innenstadt kein Auto braucht, tut man sich als CDU weiter schwer, in Berlin genau wie in anderen Großstädten.

Aber gerade in dem letzten Fall unterscheidet sich die CDU-Position ja kaum von der der SPD. Die lehnt es genauso ab, Autos drastisch zu reduzieren. Und diese Überschneidung gilt – jenseits von Migration – für viele große Themen, von Baupolitik bis zu Sicherheit.

Die SPD ist am Wahlergebnis in Berlin ja auch nicht viel besser als die CDU gewesen.

Nicht viel besser, tatsächlich, aber eben die entscheidenden 3,4 Prozentpunkte besser.

Die würde ich klar der Spitzenkandidatin zuordnen …

… Franziska Giffey…

… die als Typ einfach zu Berlin passt, so würde ich das zumindest als „Halbberliner“ sehen. Zumal ihre Ansichten größere Zustimmung auslösen als die der Mehrheit ihrer Partei.

Das ist jetzt hart für Kai Wegner als damaligen CDU-Spitzenkandidaten, den Sie ja beraten haben. Der erhebt als geborener Spandauer ja auch den Anspruch, genau zu wissen, was Berlin bewegt.

Ich kenne Kai Wegner schon lange, und ich weiß, was für ein humoriger, auch selbstironischer Typ er ist, der ein unglaubliches Talent hat, mit Menschen umzugehen, und seine Stadt genau kennt.

Die CDU in Berlin

Oppositionspartei Nur drittstärkste Partei bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2021, seit diesem Jahr an Mitgliedern nur noch Nr. 3 in Berlin hinter SPD und Grünen und im Parlament bislang nicht diejenige, die den rot-grün-roten Senat fühlbar unter Druck setzt: Die CDU mit ihren landesweit rund 12.000 Mitgliedern geht nicht in bester Verfassung in ihren Kleinen Parteitag am Mittwochabend. Der ist mit „KinderChancenStadt" überschrieben und zu Gast im Konrad-Adenauer-Haus, der Bundeszentrale der Christdemokraten.

Themen Nach einer Rede von Landesverbandschef Kai Wegner, der im Herbst 2021 Regierender Bürgermeister werden wollte, aber stattdessen als Fraktionschef in der Opposition landete, wird sein Stellvertreter Falko Liecke, der zugleich Neuköllns Sozial-Stadtrat ist, ins Thema einführen. Es folgt ein Fachgespräch, für das u. a. Caritas-Direktorin Ulrike Kostka und Pastor Bernd Siggelkow, Gründer des Kinder- und Jugendhilfswerks „Arche" angekündigt sind. (sta)

Trotzdem ist es im Abgeordnetenhaus so, dass Wegner eben nicht die Debatten dominiert und klar die Opposition anführt.

Das ist doch eher eine reine Journalistensicht.

Aber während Friedrich Merz im Bundestag die Ampel-Koalition unter Druck setzt, passiert das bei Kai Wegner im Abgeordnetenhaus eben nicht.

Es gibt welche, die tolle Redner sind und Dinge zuspitzen – was den Journalisten dann immer gefällt. Aber die Wahrnehmung der Bevölkerung ist eine andere. Frau Merkel etwa war auch nicht die große Debattenrednerin und ist trotzdem Kanzlerin geworden – und es lange geblieben.

Als Kai Wegner 2019 Monika Grütters als CDU-Landeschefin ablöste, passierte das mit dem unterschwelligen Vorwurf, Grütters interessiere sich zu wenig für Berliner Alltagsthemen, sie sei zu sehr Paris und zu wenig Spandau. Jetzt kann man hören, Wegner sei vielleicht zu sehr Spandau und zu wenig Metropole …

Ehrlich gesagt hat auch Michael Müller als Regierender Bürgermeister nicht viel Paris-Charme gehabt. Und trotzdem hat er, bei allen Fehlern, seine Rolle ausgefüllt.

Was heißt das Ganze jetzt unterm Strich konkret für die Berliner CDU und für Kai Wegner mit Blick auf die nächste Wahl?

Am Ball bleiben, auf ein großes Thema setzen und das dauerhaft vermitteln, dass nur die CDU glaubwürdig genau dafür steht. Eine allgemeine gute Produktpalette bringt leider nichts. Und am Ende gehört immer auch ein bisschen Glück zum Gewinnen – dass die anderen Parteien schwache Kandidaten haben, Fehler machen, sich streiten. Das war bei mir in Hamburg nicht anders.

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