Oldenburger Erstaufnahmeeinrichtung: Bewohner beschweren sich
Geflüchtete aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Oldenburg prangern die Bedingungen in ihrer Unterkunft an. Gerade jetzt seien diese menschenunwürdig.
Wegen der Pandemie entfällt zurzeit auch der Deutschunterricht. Perspektivlosigkeit, auch angesichts der fehlenden Arbeitserlaubnis, mache ihnen Angst. „Manche von uns denken über Selbstmord nach“, schreiben sie. Die Außenstelle des Ankunftszentrums Bramsche auf dem Gelände des früheren Klosters Blankenburg in Oldenburg bietet Platz für 340 Menschen, zurzeit leben dort 194, sagt Hannah Hintze, Sprecherin der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen.
„Massenunterbringungen sind immer unmenschlich“, kritisiert Lina Ottner vom Klimakollektiv Oldenburg, „und momentan verschärft sich die Situation zusätzlich.“ Das Klimakollektiv, die Seebrücke und „Fridays for Future“ Oldenburg hatten zu Beginn der Coronapandemie wie vielerorts das Bündnis „Leave no one behind“ gegründet und mit den Bewohner:innen in Blankenburg Kontakt aufgenommen.
Schnell sei eine „große Diskrepanz zwischen dem, was uns die Landesaufnahmebehörde über die Zustände dort berichtet, und dem, was die Bewohner erzählen“, aufgefallen, sagt Ottner. Ein Bewohner berichtet, dass ihm ein Krankenhausbesuch verweigert worden sei. Nach einer Operation litt er unter Schmerzen und bat um einen Check-up: „Sie sagen einem dann, dass alles okay sei.“
Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung Blankenburg
Er lebt mit vier Menschen in einem Zimmer. „Wir haben Angst vor dem Virus“, sagt er. Aufgrund der unhygienischen Bedingungen auf den Toiletten würden die Menschen ohnehin öfter an Infektionen leiden. „Die Regierung soll kommen und sich das angucken“, fordert er. „Wir leiden und sind müde.“ Der aus Nigeria stammende Mann kam vor knapp einem Monat nach Blankenburg. Einige seiner Mitbewohner:innen seien bereits seit über einem Jahr hier. Vor allem Schwarze müssten lange auf eine Verlegung warten.
Diesen Vorwurf weist Hintze zurück: „Jegliche Form der Diskriminierung widerspricht dem Leitbild der Landesaufnahmebehörde.“ Richtig sei, dass die Menschen in Zwei- bis Zehnbettzimmern untergebracht seien. Rund um die Uhr sei medizinisches Fachpersonal anwesend, welches „selbstverständlich im Notfall auch eine unverzügliche Krankenhauseinweisung veranlasst“.
Die Sanitäranlagen würden häufiger als üblich desinfiziert. Und auch beim Essen werde versucht, Ansteckungen mit dem Coronavirus zu vermeiden: „Die Mahlzeiten werden nicht mehr in großen Gruppen in den Speisesälen eingenommen, sondern einzeln verpackt zum Verzehr auf den Zimmern ausgegeben“, sagt die Sprecherin.
Weitere Schutzmaßnahmen orientierten sich an den Regeln für das öffentliche Leben. In der Oldenburger Einrichtung gab es bisher zwei bestätigte Covid-19-Infektionen, in den sechs anderen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes keine. In einer kommunalen Sammelunterkunft in Ehra-Lessien bei Gifhorn dagegen haben sich 19 Personen infiziert. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert die Schließung dieser Einrichtung.
Geschäftsführer Kai Weber kann die Vorwürfe gegen die Oldenburger Erstaufnahmeeinrichtung nicht bestätigen. Unter dem neuen Präsidenten bemühe sich die Landesaufnahmebehörde, die Bedingungen zu verbessern. Dennoch weiß er um die Bedeutung der langen Aufenthaltszeiten in den Erstaufnahmeeinrichtungen: „Das ist zermürbend“, sagt er. Dass sich der Ärger über die Perspektivlosigkeit dann am Essen und an der Gesundheit entzünde, sei logisch. „Die Menschen haben sonst ja nichts, keine Arbeit, keine Beschäftigung.“
Gerade jetzt braucht es eine schnelle Verteilung
Das Grundproblem sei nicht nur der gesetzliche Rahmen, der eine Unterbringung bis zu 18 Monate in den Aufnahmelagern ermögliche, kritisiert Weber. Das Bundesinnenministerium habe angekündigt, Geflüchtete mit fragwürdiger rechtlicher Begründung auch nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Italien abschieben zu wollen, wenn die Grenzen wieder offen sind. „Diese Angst beherrscht die Leute natürlich“, sagt Weber.
Um der Coronapandemie zu begegnen, forderte der Flüchtlingsrat schon vor zwei Monaten eine Verteilung der Geflüchteten in die Kommunen nach spätestens zwei Wochen, um die Belegung in den Erstaufnahmeeinrichtungen drastisch zu reduzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl