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Olaf Scholz wird SPD-KanzlerkandidatDer Mann mit der roten Krawatte

Olaf Scholz wird SPD-Kanzlerkandidat. Die Parteichefs betonen sein hohes Ansehen in der Bevölkerung – und die Geschlossenheit in der Partei.

Offensive Fünferkette: GenossInnen Klingbeil, Walter-Borjans, Scholz, Esken, Mützenich (v.l.n.r.) Foto: Thomas Imo/imago

Berlin taz | Die SPD ist stolz auf sich. Vor zehn Tagen hat SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Gasometer im Berliner Stadtteil Schöneberg für diese Pressekonferenz gemietet. Doch bis kurz vor Schluss ist geheim geblieben, zu welchem Zweck: um Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidaten zu präsentieren. Was für ein Coup.

Also nicht im Willy-Brandt-Haus, das dafür wegen Corona als zu klein erachtet wurde, sondern an einem etwas ungewöhnlicheren Ort kürten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Montag jenen Olaf Scholz, ihren unterlegenen Gegner beim Kampf um den Parteivorsitz.

Schon vor vier Wochen hatte sich die Parteispitze auf ihn festgelegt. Mindestens ein halbes Dutzend wusste von der geplanten Pressekonferenz – und doch hat niemand die Entscheidung für Scholz und den Ort an die Medien durchgestochen. Daher der sichtbare Stolz bei allen Beteiligten.

Bei der SPD ist solche Verschwiegenheit eher die Ausnahme. Der Gasometer, eine alte Industrieanlage mit hippen neuen Jobs, ist bewusst gewählt. Auch die SPD will sehr gern als coole Verbindung von Industrie und lichter digitaler Zukunft gesehen werden.

Lob von der Spitze, Spott vom Kandidaten

Olaf Scholz steht in der Mitte, rechts von ihm Norbert Walter-Borjans, links Saskia Esken. Scholz trägt staatsmännisch einen blauen Anzug mit roter Krawatte. Walter-Borjans trägt ein lässiges Jackett ohne Krawatte, Esken Freizeitkleidung – was man, obwohl alle die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Parteispitze und Ministern loben, womöglich als Wink für die politische Zukunft der beiden deuten kann.

Die Kandidatur entspricht zwar dem Ego von Scholz, ist für ihn aber nicht risikolos

Die Parteispitze ist mit der Kür von Scholz von der Mitte der Macht an den Rand gewandert. Diese drei sind nicht das neue SPD-Triumvirat, mag Esken auch unerschütterlich verkünden: „Wir sind ein gemeinsames Team.“

Die erste Viertelstunde verbringen Esken und Walter-Borjans damit, die Anpreisung von Scholz mit politischen Posi­tio­nierungen zu verbinden. Abwechselnd umreißen sie ihre Vorstellung einer „anderen, progressiven Mehrheit“, wie es Esken nennt – von der Bewältigung der Klimakrise bis zur Überwindung von Hartz IV.

Scholz steht dabei wortlos zwischen den beiden, wendet seinen Kopf mal zu ihr, mal zu ihm – mit einem leichten und trotzdem kaum verhohlenen Hauch spöttischen Lächelns, das über sein Antlitz zieht. „Olaf Scholz genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung und auch in der Partei“, schwärmt Walter-Borjans.

Von 14 Prozent zur Gewinnerpartei

Die Kanzlerkandidatur entspricht zwar dem Ego von Scholz, ist für ihn aber alles andere als risikolos. Schon die 20,5 Prozent, die Vorgänger Martin Schulz bei der vergangenen Bundestagswahl einfuhr, galten als absolutes Desaster. Zuletzt hatte die SPD im März 1933 – der letzten Reichstagswahl vor ihrem Verbot – bei einer nationalen Stimmabgabe schlechter abgeschnitten. Damals bekam sie 18,3 Prozent.

Nun rangiert die traditionsreiche wie -bewusste Partei in den Umfragen zwischen 14 und 15 Prozent. Damit droht bei der Wahl im kommenden Jahr ein historisch einzigartiger Tiefstand – falls Scholz nicht ein fundamentaler Stimmungsumschwung gelingt.

Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus, auch wenn sich Scholz bei seiner Präsentation am Montag in Optimismus übte. Bei der Bundestagswahl 2021 werde „vieles anders sein, als man heute prognostiziert“, gab sich der 62-jährige Hanseat demonstrativ zuversichtlich. „Wir trauen uns zu, dass wir deutlich über 20 Prozent abschneiden können“, verkündete er. Nicht nur das: „Wir stehen hier, weil wir eine Regierung anführen wollen.“

Die Frage nach möglichen Koalitionspräferenzen beantwortete der Möchtegernkanzler mit erstaunlichem Selbstbewusstsein: „Da gucken wir mal, wer unserer Meinung sein möchte.“ Das erinnerte schwer an die Auftritte von Martin Schulz beim letzten Mal, die immer tragischer wirkten, je näher der Wahltag rückte.

Von Schulz übernahm Scholz auch, sich weder zu einem Bündnis mit Grünen und Linken zu bekennen noch die Fortsetzung der Großen Koalition auszuschließen.

Wie ein mitfühlender Konservativer

Es gibt keinen Merksatz von Olaf Scholz, nichts, was für Überschriften taugt. „Ich freue mich über die Nominierung. Und ich will gewinnen“ gehört schon zum Einprägsamsten. Wie Scholz das Image als loyaler Mitarbeiter von Angela Merkel abstreifen will, bleibt unklar. Allerdings ist ja noch Zeit. Die SPD ist sehr früh dran mit der Kandidatenkür.

Der Wahlkampf wird erst beginnen, wenn klar ist, ob Söder, Merz oder Laschet für die Union antreten. Scholz’ Agenda wird aber schon skizzenhaft klar. Er nennt drei Bereiche, die auch den SPD-Wahlkampf prägen sollen. Deutschland müsse – daher der Gasometer als Ort – in neuen Industrien Weltmarktführer werden. Da soll sein Image als wirtschaftsnah helfen.

Zweitens: Europa. Anders als 2009, „als die Finanzkrise Europa spaltet“, so Scholz, sorge die Sozialdemokratie nun mit dem EU-Antikrisenpaket gegen die Auswirkungen der Corona­pandemie dafür, dass dies nicht wieder passiere.

Und, ein Schlüsselwort für den Kanzlerkandidaten, das er stets besonders energisch betont: Respekt. Die SPD sei nicht die Partei der Besserverdienenden, sondern auch für jene da, „die Regale einräumen und wenig Geld verdienen“. Das klingt, jedenfalls so allgemein gehalten, eher nach einem mitfühlendem Konservatismus als nach energischer Umverteilung.

Ein wenig demütiger

Die SPD präsentiert sich an diesem Montag einig. Partei, Fraktion und Minister werden, sagt Scholz, wie bisher „geschlossen und kooperativ“ zusammenarbeiten. Bei ihm liegt die Vermutung nahe, dass er das so meint: Erst kommt die Geschlossenheit und dann die Kooperation.

Die ziemlich gute Zusammen­arbeit zwischen Esken und Walter-Borjans auf der einen und Scholz auf der anderen Seite hatte mehrere Gründe. Esken und Walter-Borjans wollten tatsächlich trotz aller Unkenrufe die Groko nicht in die Luft jagen, sondern „nur“ sozialdemokratischer machen. Und dann natürlich die Coronakrise.

Aber auch: Die Niederlage beim Rennen um die Parteispitze hatte Scholz, der eher zu Arroganz als zu Kooperation neigt, ein kleines bisschen demütiger gemacht.

Gilt ab jetzt wieder – Geschlossenheit zuerst? „Ich fühle mich“, sagt der Kanzlerkandidat, bevor er mit seinen Bodyguards verschwindet, „richtig gut.“

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15 Kommentare

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  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Die SPD legte am ersten Tag 2% zu.

  • Wie hier die Spitzenfrau mit den Hinweis auf „Freizeitkleidung“ herabgewürdigt wird, ist wieder mal unter aller Kanone. Wer sich die offenbar „anständig“ gekleideten Herren anschaut, bekommt das Gruseln, nichts gegen Erdkundelehrer und Sparkassenangestellte... Frau Eskens hebt sich vieler Hinsicht wohlwollend ab!

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Wenn man sich die möglichen Kandidaten der Union so betrachtet und sich bewusst macht, dass der künstliche Söderboom in 2021 vermutlich versandet ist, dann könnte man sich fragen, ob da jemand mehr Charisma hat als die Hamburger Schlaftablette.

    Ich denke, Scholz hat gute Chancen, dass mit ihm die SPD mehr Zustimmung bekommt.

    Die TAZ-Leser sind dabei statistisch eher irrelevant.

  • Also - im Lächerlichkeitslimbo gibt es immer noch jemand der unter der tief gehängten Latte der Realitätswahrnehmung hindurch schlüpfen kann. Diese Partei wird von Spezies geführt, die eigentlich einen Nachhilfekurs in "Rechnen an Hauptschulen" benötigen. Diese Partei erhält im Moment einen Stimmenanteil von 15%, wer da ernsthaft einen Kanzlerkandidaten aufstellt und noch mit diesem Brimborium, was eher zum Niveau mieser RTL-Shows gehört, der ist nicht mehr zurechnungsfähig und bedarf eines Vormundes.

    Die Lobeshymnen auf einen Olaf Scholz mit dem Appeal eines Sparkassenangestellten aus Pinneberg sind dermaßen peinlich, dass man sich bereits im Stalin- oder Maokult vergangener Jahrzehnte wiederfindet.

    Dieser Industrie- Handels- und Handwerkskammerapparatschik ist insofern eine tragische Figur, dass er eben nur deshalb gewählt wurde, weil niemand anderes zu finden war. Schon allein diese Tatsache hätte der Partei zu denken geben müssen, doch das Denken scheint dieser Partei völlig abhanden gekommen zu sein - man gehorcht halt.

  • Ich verstehe es einfach nicht, warum Olaf Scholz sooo gehyped wird...



    Dabei repräsentiert er (auf jeden Fall für mich) doch genau den Typ Politiker, den man die letzten Jahre/Jahrzehnte schablonenmäßig immer wieder in Dtl. hochgejubelt hatte und welcher dies nie bestätigen konnte.



    Eloquent- auf jeden Fall.



    gutes Marketing - selbstverständlich.



    männlich - na wie auch sonst.



    Wirtschaftlich top vernetzt - freilich.



    Selbstbewusst bis arrogant - muss ja.



    selbstkritisch, oder wenigstens reflektierend - ach wo zu... Fehler mach ich ja nicht.



    verantwortungsbewusst - nur solange es läuft.



    ein klares wählbares Format zu "kleineren" Themen als die Wirtschaft (Klima, Migration, rechts/links, Polizeigewalt) - je nachdem wo der Wind gerade herweht, bzw. Lobbyisten mich hinleiten.

    Wohlgemerkt, ist dies meine ganz persönliche Sichtweiseuund eher ein (imer wieder bestätigtes Gefühl!!



    Allerdings gibt es auch keine Argumente, welche mich dieses Gefühl ändern lassen. Als Hamburger Bürgermeister schon ein Meister sich groß zu machen und realitatsfern zu agieren (ich sag nur G 20 in der Stadt und der Umgang mit der danach statt gefundenen "Aufklärung" der Eskalation) konnte er mir nie wirkliche, vielleicht sogar mal innovative, Gründe liefern warum er sooo gehyped wurde.

    Wer kennt da Einen?

    So wird auf jeden Fall auch die SPD unwählbar.

  • Hartz-IV-Scholzogan markiert den harten Mann und die SPD offenbart ihre faschistoiden Reflexe.



    Ja, Zentralismus ist per se faschistoid.

  • 8G
    8786 (Profil gelöscht)

    Der Mann ist immer noch für das Hamburger G20-Massaker verantwortlich, das macht ihn unwählbar.



    Er hätte nie nach Berlin gedurft,



    schade für die SPD, aber sie lernen es nicht.

  • Durchgeschüttelt von realen Krisen, verunsichert durch die reale Aussicht auf schlimmere, erschrocken von der Gewalt überall, sehnen sich viele Leute nicht nach mutigen Aufbrüchen, sondern nach Mäßigung und Beruhigung.



    Die neuen Alten sollen das Vertraute nicht über den Haufen schmeißen, auch wenn sie das gar nicht verhindern können (die Erhitzung nimmt derart radikale Formen an, dass sie dazu zwingt, so gut wie alles Vertraute zu hinterfragen).



    Deshalb haben z.B. Bernie und Lizzie gegen den nicht mehr quirligen, grauen Biden in den US-Vorwahlen verloren.



    "Wer (jedoch) will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt." (Erich Fried)

  • Ach was. “Der Mann mit der roten Krawatte.“

    “Wir lassen uns unsere rote Farbe nicht kaputtmachen!“



    Soo - hatte Willy sich das nicht gedacht.



    Nö. Normal nich - wa! - 👿 -

    • @Lowandorder:

      Rot ist die Liebe, rot ist die Tomat', rot ist der Schlips vom Sozialdemokrat.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich gebe hier die Wette ab, dass die SPD im September über 20% liegt. Wer wettet dagegen?

  • Scholz ist der einzige in der SPD, mit dem die Partei auf Platz zwei bei der nächsten Bundestagswahl landen kann.

  • "Es gibt keinen Merksatz von Olaf Scholz, nichts, was für Überschriften taugt."

    Scholz auf den Punkt gebracht.

    Und hier der Sozialismus:

    "sondern auch für jene da, „die Regale einräumen und wenig Geld verdienen.“

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Ich bin kein SPD Anhänger, halte den heutigen Tag aber für einen strategisch guten Schachzug, welcher der SPD sehr nutzen kann.

    • RS
      Ria Sauter
      @05838 (Profil gelöscht):

      Kluget Schachzug?Warum?