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Ohne Piestert läuft nichts

Der Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, ist bei dem Großeinsatz am Mittwoch der entscheidene Mann. Es wird sein zehnter und letzter 1. Mai sein

Manche halten Piestert am Mittwoch für ein Sicherheitsrisiko „Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, bin ich auch hart und konsequent“

von PLUTONIA PLARRE

Am 1. Mai wird er um sechs Uhr früh aufstehen, warm duschen und gut frühstücken. Dann wird er in das grüne Jackett mit dem Eichenlaub und den zwei goldenen Sternen auf den Schultern schlüpfen, die Dienstmütze gerade rücken und sich in das Lagezentrum des Polizeipräsidiums fahren lassen. Umgeben von seinem 30-köpfigen Führungsstab, Videoleinwänden und Monitoren wird er dort den Tag verbringen. Beim Aufmarsch der NPD wird er vor Ort ein bisschen Atmosphäre schnuppern gehen. Wenn die Dunkelheit näher rückt, wird seine Anspannung steigen. Dann gilt es kühlen Kopf zu bewahren und zu richtiger Zeit das Richtige anzuordnen. Dann wird sich zeigen, ob die Einsatzphilosopie der „ausgestreckten Hand“ ernst gemeint war.

Neunmal in seinem Leben hat der Chef der Berliner Schutzpolizei, Gernot Piestert, den Gesamteinsatz des 1. Mai befehligt. Der Einsatz am kommenden Mittwoch wird der zehnte und auch sein letzter sein. Im kommenden Frühjahr wird Piestert 60 Jahre alt und geht in den Ruhestand.

Der höchste Uniformträger der Stadt, dem 16.500 Polizisten unterstellt sind, agiert im Hintergrund. Aber seine Macht ist immens. Wenn Piestert nicht mitzieht, bleiben die schönsten Deeskalationsvorgaben der rot-roten Regierung graue Theorie. Er mache die Zielvorgaben und trage die politische Verantwortung, pflegt Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zu sagen. „Die Einsatzleitung im eigentlichen Sinne liegt aber bei der Schutzpolizei.“ Von Körtings Vorgänger, dem CDU-Innensenator Eckart Werthebach, stammt das Bonmot: „Ohne Piestert läuft nichts.“

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre habe er sich eigentlich geschworen, am 1. Mai nie wieder die Hand in Richtung der Szene auszustrecken, sagt Piestert. Er werde es trotzdem noch einmal tun, obwohl er die Risiken sehe. Denn auch die Polizei müsse sich bewegen. Das Auftreten der Beamten solle sich „deutlich“ von dem der Vorjahre unterscheiden. Das gelte nicht nur für die Demonstrationen in Kreuzberg, sondern auch für Mitte. „Wir wollen zeigen, dass nicht wir die Ursache für Randale sind, sondern dass das Eingreifen eine Reaktion auf Gewalttäter ist.“

Seit 1987 tobt in Berlin am Kampftag der Arbeiterklasse die Straßenschlacht. Das Ereignis kommt wie ein Spuk über die Stadt, vorher und hinterher ist Ruhe. „Mit Politik und Revolution hat das nichts zu tun“, steht für Piestert fest. „Das ist das Event einer Spaßgesellschaft infantiler Menschen jeden Alters, die sich auf dem Rücken der Polizisten und auf Kosten der Bevölkerung austoben.“ Dass der 1. Mai längst zum unpolitischen Abenteuerspielplatz geworden ist, ist durch eine polizeinterne Studie belegt. Linke Szeneanhänger waren im vergangenen Jahr kaum beteiligt. Piestert klingt resigniert, wenn er sagt: „Wir haben alles versucht. Von zart und weich bis konsequent und hart.“ Aber jedes Mal habe es wieder geknallt. „Für die Polizei ist das keine erfolgreiche Bilanz.“

Im vorigen Jahr sann die Polizeiführung auf neue Wege, allen voran Piestert und der damalige Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. Die beiden beschworen Innensenator Werthebach – und nicht umgekehrt –, die abendliche 1.-Mai-Demonstration zu verbieten. Werthebach zog mit und die Berliner Verwaltungsgerichte gaben den Segen. „Die Richter“, so Piestert, „haben sich gewundert, warum wir nicht schon früher zu dem Mittel gegriffen haben.“ Dass trotzdem wieder Steine flogen und Autos brannten, habe ihn nicht irritiert. Er sei ohnehin davon ausgegangen, dass es beim ersten Mal nicht klappen würde. „Aber es sollte ein Signal in die Zukunft sein“.

Die Verbotslinie hätte der Schupochef in diesem Jahr am liebsten wiederholt. Doch dann kam Rot-Rot und – fast noch schlimmer– der FU-Professor Peter Grottian mit dem Personenbündnis „Denk Mai Neu“. Die Gruppe, die den ersten Mai friedlich repolitisieren wollte, forderte eine polizeifreie Zone in Kreuzberg. „Was ist das für ein Traumtänzer“, hat sich Piestert gedacht, als er mit dem Professor Anfang des Jahres zusammenkam. „Aber dann“, erzählt er, „habe ich mich gefragt: Warum eigentlich nicht.“ Schließlich habe Grottian das einlösen wollen, was er, Piestert, in den Jahren zuvor vergebens gefordert habe: dass sich die Öffentlichkeit einmischt und die Polizei nicht mit dem Krawallritual alleine lässt. „Man muss sich selbst treu bleiben“, begründet Piestert seinen Sinneswandel.

Die Grottian-Initiative ist inzwischen gescheitert. Weniger an der Polizei, die zu erstaunlichen Zugeständnissen bereit war, als an Teilen der linksradikalen Szene. Dass war spätestens dann klar, als auf Grottians Pkw ein Brandanschlag verübt worden ist.

Umso unübersichtlicher wird nun, kurz vor dem 1. Mai, die Lage. Auf Druck von PDS und SPD hat Innensenator Körting die Versammlungsbehörde am Freitag angewiesen, den Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte als Startpunkt für die 18-Uhr-Demonstration zuzulassen. Derweil wird im Internet und einschlägigen Postillen in Anlehnung an die Malboro-Werbung „Come to where the flavor is“ munter zum Straßenkampf geblasen. „Es wird richtig Zoff geben. Schlimmer als sonst“, wird in Sicherheitskreisen befürchtet.

Nicht nur bei der Polizei, auch bei der SPD und PDS geht ein Gespenst um, das heißt: 1. Mai 1989. Damals hatte der rot-grüne Senat in Neukölln mit seiner Deeskalationsstrategie ein Waterloo erlebt. Der Polizei wurde danach der Vorwurf gemacht, die Zurückhaltung absichtlich überzogen zu haben, um die SPD-AL-Regierung zu Fall zu bringen. Ein dazu eingesetzter Untersuchungssausschuss hat die These aber nicht bestätigt.

Gernot Piestert kennt den Einsatz aus eigenem Erleben. Er war damals der Polizeiführer vor Ort, der die Begleittruppe befehligte. „Wir haben geglaubt, dass in der Strategie des damaligen Innensenators Pätzold eine Chance liegt, und versucht, die Kräfte möglichst weit wegzulassen“, erinnert er sich. Als die Demonstranten begonnen hätten, Woolworth zu plündern, sei er eines Besseren belehrt worden. „Wir haben die Hand hingehalten und die Faust zurückbekommen.“ Danach habe er sich eigentlich geschworen: Nie wieder.

Im Umfeld der PDS gibt es Leute, die halten Piestert als Gesamteinsatzleiter des 1. Mai für ein Sicherheitsrisiko. Nicht nur, weil er 1989 in Neukölln dabei war und er wegen der bevorstehenden Pensionierung nichts zu verlieren hat. Piestert, so die Theorie der Skeptiker, sei Teil eines Polizeiführungsstabes, der unter den CDU-Innensenatoren Heckelmann, Schönbohm und Werthebach groß geworden und das schematische Schwarzweißdenken der Konservativen verinnerlicht habe: links gleich extrem gleich gewalttätig. Nicht dass Piestert so denke sei das Problem, sondern dass diese Einstellung nach unten weitergegeben werde. „Immerhin ist er der Mann, der die Berliner Polizei in die Schlacht führt.“ Anders als die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB), die Piestert für einen echten Hardliner hält, hat Professor Grottian das Problem, dass er den Polizeichef nicht verorten kann. „Er fährt den absoluten Schlingerkurs.“

Tatsächlich steht Piestert wie selten zuvor unter politischem Druck. Er war und ist strikt dagegen, dass die 18-Uhr-Demonstration den Bezirk Mitte tangiert, weil er weniger Polizeikräfte als in den Vorjahren zur Verfügung hat und der Szene kein „neues Areal der Begierde“ für Krawalle eröffnen möchte, in dem die Gesellschaft, anders als in Kreuzberg und Neukölln, richtig getroffen werden könne. Körting hat jedoch anders entschieden.

Er sehe sich weder als Hardliner noch als Krawallpapst, sagte Piestert. „Ich suche nach Lösungen. Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, bin ich auch hart und konsequent.“ Mit der CDU habe er nichts am Hut. Er sei parteilos und 1993 nur deshalb Chef der Schutzpolizei geworden, weil sich die große Koalition weder auf den Kandidaten mit CDU- noch auf den mit SPD-Parteibuch habe einigen können. „So gesehen bin ich ein fauler Kompromiss.“ Liberal denkend, auf die Bewahrung der Bürgerrechte bedacht, beschreibt er seine politische Sicht. Eine extensive Video- und Telefonüberwachung lehne er ab. Nachdenklich, abwägend, ausgleichend, Fingerspitzengefühl für gesellschaftliche Strömungen und diese ernst nehmend, das ist sein Selbstbild.

Letzteres wird ihm von Teilen der Szene aber abgesprochen. „Er schreibt allen alles zu, ohne zu differenzieren“, sagt ein Vertreter der AAB mit Verweis auf den Innenausschuss. Dort hatte Piestert erklärt, dass schon am Vorabend an Orten wie am Oranienplatz mit Krawallen zu rechnen sei. Auf dem Oranienplatz finde ein Open-Air-Konzert mit vier Punkbands statt. „Was das bedeutet“, so Piestert vor dem Ausschuss, „brauche ich wohl nicht zu erläutern.“ Das sei genau die eindimensionale Sicht, die er meine, sagt der AAB-Vertreter: „Punk gleich Chaos. Da ist der Vergleich mit dem Terrorismus nicht mehr weit.“

Der einzige aus dem alternativen Spektrum, der für Piestert eine Lanze bricht, ist der Fraktionschef der Grünen, Wolfgang Wieland. Er hat nicht vergessen, dass Piestert derjenige war, der in den vergangenen Jahren das AHA-Antigewaltprogramm der Polizei landesweit durchgesetzt hat. Mit Sportveranstaltungen und Antikonfliktteams wird die Polizei auch diesmal versuchen, erlebnishungrige Jugendliche von den Krawallen abzuhalten.

Gernot Piestert war es auch, der 1999 in einer Aufsehen erregenden Rede auf einer Fachtagung der Gewerkschaft der Polizei hart mit dem eigenen Berufsstand ins Gericht gegangen war. Er beklagte erschreckende Bildungslücken, mangelnde Kommunikationsfähigkeit, fehlende soziale Kompetenz und rüde Umgangsformen. Bei der Gelegenheit hatte er enthüllt, dass die Beamten des am 1. Mai 1999 eingesetzten Antikonfliktteams von den uniformierten Kollegen als „Softies, Warmduscher und Safttrinker“ verlacht worden waren. „Piestert“, so Wieland, „ist ein dialogbereiter, auf Ausgleich bedachter Polizeiführer“, dem aber eine gewisse Resignation anzumerken sei. „Kein Wunder, wenn es immer kracht, egal was man tut.“

Eigentlich habe er keine Illusionen mehr, was den 1. Mai betrifft, sagt Piestert. Und trotzdem sei er jedes Mal enttäuscht, wenn es wieder schief gegangen ist. Auch mit den Polikern sei es stets das gleiche Ritual: „Hinterher sind alle immer ganz schlau und wissen, was die Polizei hätte besser machen können. Da macht sich schon Bitterkeit breit.“

Wenn draußen der Straßenkampf tobt und es heißt: „Wasser marsch!“ und „Knüppel frei!“, gibt es für Piestert nicht mehr viel zu tun. Dann übernimmt der Einsatzleiter vor Ort die Befehlsgewalt. Gegen Mitternacht wird Piestert nach Hause fahren und versuchen, die Emotionen in den Griff zu bekommen, bevor er der Presse am nächsten Tage Rede und Antwort steht. Und dann geht die Arbeit weiter. Am 22. Mai kommt US-Präsident Bush.

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