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Offener Brief von Geflüchteten„Wir werden behandelt, als wären wir im Gefängnis“

Be­woh­ne­r:in­nen einer Flüchtlingsunterkunft im Harz klagen über Kontrollen und Rassismus. Die Landesaufnahmebehörde weist Vorwürfe zurück.

Kinder dürften nicht spielen, klagen Bewohner:innen: Fußball vor der Unterkunft für Geflüchtete in einer Ex-Klinik in Bad Sachsa Foto: Stefan Rampfel/dpa

Heftige Vorwürfe erheben die Be­woh­ne­r:in­nen einer Flüchtlingsunterkunft im südniedersächsischen Bad Sachsa gegen Behörden und Polizei. „Wir werden behandelt, als wären wir im Gefängnis“, heißt es in einem Offenen Brief über die ehemalige Kurklinik des Harzstädtchens.

Diese wird seit zwei Jahren als Notunterkunft der Landesaufnahmebehörde (LAB) Niedersachsen genutzt. Aktuell sind dort 198 Geflüchtete aus sechs Ländern untergebracht, darunter 76 Kinder.

Die namentlich nicht genannten Ver­fas­se­r:in­nen des Offenen Briefs bemängeln unter anderem massive Eingriffe in ihre Privatsphäre. Es sei „alarmierend, wenn die Polizei mitten in der Nacht ohne zu klopfen oder uns Zeit zum Öffnen der Tür zu lassen, in unsere Zimmer kommt. Die Polizisten gehen manchmal einfach in unsere Zimmer, während wir unsere Kleidung wechseln“.

Wenn die Polizei eine Person, die abgeschoben werden soll, nicht finden könne, durchsuche sie alle Wohnräume in der Unterkunft. Auf der dritten Etage der Unterkunft, wo ausschließlich Frauen wohnen, sei die Situation noch beunruhigender: „Jeden Tag weckt uns das Sicherheitspersonal um 22 Uhr, manchmal auch später, was unsere Schlafgewohnheiten erheblich stört.“

Securities ganz rücksichtslos

Die männlichen Sicherheitsleute klopften sehr laut an den Türen, „und wenn man nicht rechtzeitig öffnet, betreten sie unsere Zimmer, auch wenn wir nackt sind“. Nach 22 Uhr dürften die Be­woh­ne­r:in­nen ihre Zimmer nicht verlassen und nicht einmal Freun­d:in­nen in den Nachbarräumen besuchen – anderenfalls würden sie als abwesend vermerkt.

Weitere Beschwerden betreffen die Verpflegung. „Das Essen ist wirklich schlecht und abgestanden und oft vom Vortag“, heißt es in dem Offenen Brief. „Wenn wir nicht pünktlich kommen, finden wir kein Essen mehr.“ Die Reste von Mahlzeiten dürften nicht mitgenommen werden.

„Wir müssen sie in den Mülleimern entsorgen und die Sicherheitsleute sorgen dafür, dass wir das tun.“ Die allgemeine Atmosphäre im Lager wird als „sehr schlecht“ geschildert.

Die Sicherheitskräfte seien unfreundlich, Kinder dürften nicht spielen, stattdessen würden sie vom Sicherheitspersonal angeschrien. „Wir beobachteten auch viele Vorfälle, bei denen Sicherheitsleute sich rassistisch gegenüber schwarzen Flüchtlingen verhielten“, schreiben die Frauen weiter.

Jeden Tag weckt uns das Sicherheitspersonal um 22 Uhr, manchmal auch später, was unsere Schlafgewohnheiten erheblich stört.

Be­woh­ne­r:in­nen im Offenen Brief

Die LAB nahm auf Anfrage zu den Vorwürfen Stellung. Bei Rückführungen seien die Maßnahmen Sache der Polizei und der Verwaltungsvollzugskräfte, sagte eine Sprecherin: „Im Rahmen dessen ist das Betreten von Zimmern oft notwendig und erfolgt innerhalb des gesetzlichen Handlungsspielraumes.“

Zudem sei die Unterkunft an besondere Brandschutzvorgaben gebunden. Der Sicherheitsdienst sei deshalb angewiesen, jeden Abend um 22 Uhr die Anwesenheit abzufragen. Die Kontrollen dienten zum Schutz der Bewohnenden.

Dabei sei die Security angehalten, an der Zimmertür zu klopfen und einen angemessenen Zeitraum abzuwarten, bis die Tür geöffnet werde: „Erfolgt auf das Klopfen des Personals keine Reaktion, wird das Zimmer nicht geöffnet und betreten, es erfolgt stattdessen eine Abwesenheits-Notiz.“

Behörde weist Kritik zurück

Im Frauentrakt würden die Kontrollen zudem nur in Begleitung von weiblichen Mitarbeiterinnen vorgenommen, betonte die Sprecherin. Im Übrigen gebe es keine Verpflichtung, sich im Haus aufzuhalten, alle könnten sich frei bewegen.

Zur Kritik am Essen erklärt die LAB, dass in allen Unterkünften des Landes „die religiösen oder gesundheitlichen Bedürfnisse bei der Nahrungsmittelversorgung unserer Bewohnenden berücksichtigt werden“. Es gebe spezielle Nahrung für Babys und für Diabetes-Patient:innen – „insofern wir darüber Kenntnis haben“.

Die unterstellten Spielverbote für Kinder bestünden nicht, so die LAB. Es gebe eine tägliche Kinderbetreuung, einen Spielplatz und eine große Rasenfläche. Innerhalb des Gebäudes lauerten aber Gefahrenquellen, weshalb das Sicherheitspersonal darauf achte, dass Kinder nicht unbeaufsichtigt durch die Flure tobten. Die Hinweise erfolgten „freundlich, aber bestimmt“.

Un­ter­stüt­ze­r:in­nen demonstrieren

Ausdrücklich betont die Behörde die Gleichbehandlung aller Bewohner:innen. Das von einem externen Dienstleister gestellte Sicherheitspersonal werde regelmäßig zu den Themen Deeskalation und interkultureller Kompetenz geschult. „Sollte es dennoch Vorfälle gegeben haben, bei denen Bewohnende aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt oder übervorteilt wurden, sind uns diese leider nicht bekannt.“

Unterdessen hat der Offene Brief Unterstützer der Flüchtlinge auf den Plan gerufen. Initiativen aus Göttingen haben für den heutigen Dienstag zu einer Demonstration in Bad Sachsa gegen die „gefängnisähnliche Situation“ in der Unterkunft aufgerufen.

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