Österreichs Kanzler Kurz und die Justiz: Korruptionsjäger an die Kandare
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ein Meister der Öffentlichkeitsarbeit. Doch nun hat er sich kräftig verzockt.
Ursprung der Affäre ist ein Hintergrundgespräch, zu dem Kurz ausgewählte Journalisten am 20. Januar geladen hatte. Hintergrund, das heißt im deutschen Sprachgebrauch „unter drei“, es darf also nicht zitiert werden. In diesem Gespräch soll der Kanzler gegen die WKStA vom Leder gezogen haben. Sie bestehe aus einem Netzwerk roter Staatsanwälte, zum Teil im sozialdemokratischen Bund Sozialistischer Akademiker organisiert. Sie verfolgten mit Vorliebe ÖVP-Politiker aufgrund anonymer Anzeigen. Das sei „ein Wahnsinn“. Die Presse solle darüber nachdenken.
Namentlich sei es um Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) gegangen, gegen den im Zusammenhang mit Postengeschacher beim Glücksspielunternehmen Casinos Austria ermittelt wird. Einige Medien – allen voran der ÖVP-nahe Kurier – apportierten tags darauf auch gehorsam und stellten die Korruptionsjäger mit teils nachweislich falschen Behauptungen in ein schlechtes Licht.
Dass die Attacke aus dem Hinterhalt überhaupt publik wurde, ist Florian Klenk, dem Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter, zu verdanken. Klenk war zwar eingeladen, konnte aber nicht teilnehmen. Mehrere Kollegen hätten ihm aber über die versuchte Medienbeeinflussung berichtet. In seinem Leitartikel vergangenen Mittwoch rechtfertigte er die Enthüllung aus einem vertraulichen Gespräch damit, dass Kurz „die demokratiehygienischen Grenzen“ überschritten habe.
Dokument von 1997 sorgt für Häme
Kurz wollte zu dem Vorwurf anfangs nicht Stellung beziehen. Schließlich gelang es aber dem EU-Korrespondenten des ORF, Peter Fritz, Kurz in Brüssel zu stellen. Er habe das „so nicht formuliert“, ruderte der Kanzler zurück und ging gleichzeitig in die Offensive, indem er einen runden Tisch zur Justizreform ankündigte. Alma Zadić, die grüne Justizministerin, machte gute Miene zum bösen Spiel, stufte das Treffen aber auf einen Gedankenaustausch zwischen Regierung und Staatsanwaltschaft zurück. Den Kanzler bezeichnete sie listig als „Verbündeten“ im Bemühen um ein ausreichendes Budget für ihr Ressort.
Vor dem Wochenende stach die ÖVP dann noch ein Dokument aus dem Jahr 1997 durch, aus dem hervorgeht, dass SPÖ-Politiker damals junge Parteifreunde auffordern wollten, Berufe in der Justiz zu ergreifen. In den sozialen Medien dominiert nun Häme über diese „Enthüllung“. Denn das seit neun Jahren bekannte Papier dient der Kanzlerpartei als Beweis für eine angebliche rote Unterwanderung – ungeachtet der Tatsache, dass die ÖVP vor der Grünen Zadić mehr als zehn Jahre die Justizminister selbst gestellt hatte, in deren Verantwortung die Ernennung von Staatsanwälten fällt.
Auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde unter einer ÖVP-Ministerin ins Leben gerufen. In ihr Visier sind Politiker fast aller Parteien geraten, und die ihr vorgesetzte Oberstaatsanwaltschaft hat ihr kürzlich in einer Evaluierung sogar „ausgezeichnete, teilweise sehr gute“ Arbeit attestiert. Der sonst in PR-Taktik unübertroffene Sebastian Kurz scheint sich diesmal verschätzt zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt