Ökonom über Corona-Folgen: „Für Kleinunternehmen hammerhart“
Trotz Corona müssen wir keine Wirtschaftskrise wie vor zwölf Jahren erwarten – sagt Ökonom Marcel Fratzscher. Eng werde es aber für kleine Betriebe.
taz: Herr Fratzscher, die Weltwirtschaftskrise 2008 wurde von einer Situation verursacht, in der niemand mehr Risiken richtig einschätzen konnte. Ist die Situationen mit heute vergleichbar?
Marcel Fratzscher: In vielerlei Hinsicht ist das nicht vergleichbar. Damals gab es ein grundlegendes Problem im Finanzsystem mit einer systemischen Bedeutung für die Volkswirtschaft. Heute geht es um einen Einbruch in der Realwirtschaft, der aber nicht strukturell bedingt ist. Die Hoffnung ist, dass der Abschwung jetzt deutlich milder, kürzer und weniger disruptiv ist. Ich bin positiv, dass es nicht so schlimm kommen wird wie vor 12 Jahren.
Durch die niedrigen Zinsen haben sich gewaltige Risiken aufgebaut. In den USA etwa gibt es viele überschuldete Öl- und Gasförderer, die nur wegen billiger Zinsen überleben konnten. Ist das nicht fatal?
Ja, natürlich. Klar ist, dass das, was jetzt passiert, Unternehmen in die Insolvenz treiben wird. Da sind einige Branchen besonders exponiert: Reiseunternehmen, Exportunternehmen, die Teile globaler Lieferketten sind, Luxusgüter, bei denen die Nachfrage besonders einbricht.
Am Donnerstag muss die Europäischen Zentralbank Maßnahmen gegen die Krise verkünden. Doch viele Ökonom*innen warnen seit Jahren, die EZB könne wegen der Nullzinspolitik nicht mehr auf Krisen reagieren.
Marcel Fratzscher, 49, ist einer von Deutschlands bekanntesten Ökonomen. Er leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin
Man sollte die EZB nicht unterschätzen, sie kann noch eine Menge tun. Die Kritik an der angeblich handlungsunfähigen Zentralbank höre ich seit zehn Jahren. Ich erwarte, dass die EZB den Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen legen wird. Sie kann beispielsweise Geschäftsbanken sagen: Wenn ihr Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergebt, dann bekommt ihr von uns die dafür notwendige Liquidität deutlich günstiger als sonst. Dafür gibt es bereits ein Programm, das die EZB ausweiten kann. Dass sie die Zinsen nochmals senken wird oder zusätzliche Anleihen von großen, börsennotierten Unternehmen kauft, das halte ich für nicht sehr wahrscheinlich.
Hilft das Restaurants, Caterern, Handwerkern, Masseuren, denen jetzt die Aufträge wegbrechen?
Den Kleinstunternehmen hilft das fast nichts. Die brauchen keine Kredite, um ihre Rechnungen zu zahlen. Für sie ist die Situation natürlich hammerhart. Denen kann man über Kurzarbeitergeld helfen, falls sie Angestellte haben. Man könnte auch ihre Steuerlast auf die Zukunft schieben. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen: Diese Unternehmen werden hart getroffen. Ihnen ist nur geholfen, wenn die Krise schnell vorbei ist. Länger als zwei, drei Monate können viele Cafébesitzer oder Handwerker eine solche Situation kaum überbrücken.
Die FDP sagt: Jetzt auch den Soli für die oberen Einkommen abschaffen. Bringt das was?
Nein. Die Soli-Abschaffung für die unteren 90 Prozent der Einkommen wird ja bereits auf 1. Juli vorgeschoben, das hilft auch ein wenig. Wenn man den Soli auch noch für die Spitzenverdiener abschafft, dann kostet das neun Milliarden und ist zur Bekämpfung der Krise komplett ineffizient. Kleinen Handwerkern und Selbstständigen wird das kaum helfen. Auch der Konsum wird nicht angekurbelt, weil Spitzenverdiener in der Regel das meiste sparen, wenn sie entlastet werden. Sinnvoller wäre es, die unteren Einkommen zu entlasten, die geben das für den Konsum aus. Wir haben vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer temporär zu senken. Das würde allen zugute kommen.
Muss man sich von der Schuldenbremse verabschieden, um auf die Krise reagieren zu können?
Empfohlener externer Inhalt
Ja. Man macht Fiskalregeln, damit man in guten Zeiten gut haushaltet, um in schlechten Zeiten der Wirtschaft und den Menschen helfen zu können. Und wenn das jetzt keine Notsituation ist, was dann? Die Bundesregierung verabschiedet jetzt ein wachsweiches Konjunkturprogramm mit drei Milliarden mehr Investitionen im Jahr, das ist nicht wirklich ein Impuls. Gleichzeitig will die Bundesregierung die schwarze Null halten. Das ist das völlig falsche Signal in Zeiten, in denen die Wirtschaft eine deutliche und starke Unterstützung des Staates braucht.
Viele denken gerade: Es ist doch gut, dass wir wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen, um Menschenleben zu retten. Stimmt diese Gleichung so?
Die Zahl der Infizierten radikal zu minimieren, würde Maßnahmen wie in China bedeuten: Quarantäne und Ausgangsverbot für mehrere Wochen. Da würden aber Bürgerinnen und Bürger sagen, dass das ihre Freiheitsrechte zu sehr beschneidet. Eine zu starke Einschränkung des öffentlichen Lebens würde auch andere Kranke und Bedürftige treffen oder die Lebensmittelversorgung einschränken. Es gibt also eine Abwägung, die sicherlich nicht leicht ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite