Ökonom Pedro Páez über Finanzkrisen: „Europa kann von Südamerika lernen“
Sparpolitik, Währungskrise: Die Länder Lateinamerikas haben durchgemacht, was Europa mit seinem Euro-Debakel möglicherweise noch droht.
Die Länder des südlichen Amerikas haben ihre Lehren gezogen aus ihren Finanzkrisen und Lösungsalternativen entwickelt. Einige davon stammen von Pedro Páez. Im Interview plädiert Páez für eine strategische Allianz zwischen Europa und Südamerika. Ein Gespräch über hoffnungsvolle Auswege aus der vermeintlichen Alternativlosigkeit.
taz: Herr Dr. Páez, seit Jahren beobachten Sie die erfolglosen Versuche der Euro-Länder, Griechenland mit Hilfe von Sparprogrammen, Bankenrettung und Privatisierungen vor der Pleite retten. Woran sind Ihrer Meinung nach die bisherigen Versuchen der Eurozone gescheitert diese Krise zu lösen?
Pedro Páez: Ich möchte kein Schulmeister sein, aber mich erschreckt, dass bei der Euro-Krise mit den gleichen substanzlosen Mythen und Argumentationen gearbeitet wird, die sich in Südamerika bereits vor 30, 40 Jahren als falsch erwiesen haben: „Ihr lebt über Eure Verhältnisse”, „Ihr müsst Euch disziplinieren.” Das sind Moralpredigten, um den Menschen das Gefühl einer kollektiven Schuld einzutrichtern, um so massive Sparprogramme zu rechtfertigen.
Dabei belegen die vielen Erfahrungen aus Lateinamerika, Südost-Asien und Afrika wie töricht diese Politik ist. Selbst die Untersuchungen vom IEO, des unabhängigen Evaluierungsbüros des Internationalen Währungsfonds (IMF), bestätigen das.
Wenn die Bilanz der Austeritätspolitik so katastrophal ist, wieso werden immer wieder Sparprogramme durchgesezt, die sich letztlich als schädlich für die Gesamtwirtschaft erweisen?
Europa sollte zur Kenntnis nehmen, dass erst die rigide Sparpolitik die Krise des Staatshaushaltes in vielen Ländern zu einem chronischen Problem gemacht hat.. Austeritäts-Befürworter stört das aber offenbar nicht: Sie machen neue Kredite von „Strukturreformen” in den Bildungs-, Gesundheits- und Rechtssystemen abhängig. Das politische Ziel ist dabei immer das gleiche: Es geht nie um eine wirkliche Tilgung der Schulden, sondern darum, die Bevölkerung durch eine unendliche Kreditspirale in ewiger Knechtschaft zu halten. Das ist aber kaum mehr als das unverhüllte Bemühen einer kleinen spekulativen Oligarchie, eine unhaltbare Dikatur einzurichten. Diese Oligarchie predigt eine Agenda von Schulden und noch mehr Schulden, von Spekulation und noch mehr Spekulation. Das mag für diese Leute kurzfristig effektiv und profitabel sein, langfristig führt das aber unvermeidlich zu Destabiliserung, Chaos und Krieg.
1999 steckte Ecuador in einer vergleichbar verzweifelten Lage wie Griechenland. Ecuador war hoch verschuldet, der IWF forderte harte Einschnitte…
Ich würde Griechenland nicht mit Ecuador, sondern eher mit dem US-Bundesstaat Alabama vergleichen. Die Größe von Alabamas Wirtschaft ähnelt der von Griechenland, nur ist Alabama nicht seit fünf Jahren, sondern seit über 20 Jahren praktisch pleite. Dennoch habe ich bislang von niemandem gehört, der die Zugehörigkeit Alabamas zu den Vereinigten Staaten in Frage stellt… (lacht).
Der Vordenker aus Ecuador zählt zu den einflussreichsten Ökonomen Südamerikas. Mit Nobelpreisträger Joseph Stiglitz enwickelte er Vorschläge für die Reform des globalen Finanzsystems. Mitglied der UNO-Expertenkommission über die Reformierung des internationalen Währungs- und Finanzsystems. Leiter der Marktaufsichtsbehörde Ecuadors
Dabei ist die wirtschaftliche Ausgangslage in Europa Im Vergleich zu jedem anderen anglo-amerikanischen Land viel besser und auch die Staatsschulden sind nicht das wahre Problem. Das wahre Problem sind die untragbaren Finanzspekulationen: Finanzderivate haben das globale Kapitalsystem vergiftet und die Nationalstaaten dazu gezwungen, die eigenen Bankensysteme mit Steuergeldern vor der Pleite zu retten.
Der einzige Weg, der aus diesem Teufelskreis herausführt ist, mit entschlossenen Maßnahmen die Realwirtschaft wieder zu beleben. Anstatt weiter Billionen in einen Finanzzirkus zu stecken, der die globale Krise verursacht hat, sollten wir dieses Geld in produktive Bereiche investieren.
Das fällt vielen Regierungen aber schwer, gerade weil die öffentliche Verschuldung durch die Finanzkrise so gestiegen ist.
Um große Banken zu retten war es möglich, innerhalb von Stunden Milliarden zu mobilisieren. Warum sollte es Europa nicht möglich sein, Geld für Projekte bereitzustellen, die echte Jobs schaffen und Lösungen für die realen Probleme liefern? Wir haben genug technisches Wissen und Geld, um das zu schaffen.
Es sind aber nicht nur Regierungen die davor zurückschrecken. Es ist auch der Einfluss mächtiger Kapitalinteressen und transnationaler Konzerne, die versuchen das zu blockieren. Wirklich umwälzende Innovationen bedrohen die Besitzstände des monopolistischen Kapitals und seine profitablen Geschäftsmodelle. Um diese zu schützen, versuchen diese Akteure echte Innovation und die Verbreitung von Wissen zu behindern: etwa mit Hilfe von Gesetzen für geistiges Eigentum, mit Patenten und Verboten.
Die Gesellschaften müssen diesem absurden Treiben ein Ende setzen. Wir können wegen der Gier von ein paar Bänkern nicht auf Chancen verzichten, die neue Jobs und neue Infrastrukturen schaffen und dabei helfen, die großen und wirklich drängenden Probleme der Menschheit zu lösen.
Auf Griechenland übertragen: würden Sie ein Investitionsprogramm für das Land für sinnvoll halten?
Nicht nur für Griechenland. Es geht darum, für ganz Europa neue wirtschaftliche Perspektiven durch Kooperationen mit Ländern des Südens und des Ostens zu entwickeln. Denken Sie etwa, welche Chancen in einer „Neuen Seidenstraße” steckten. Allein deren territoriale Ausdehnung von Portugal bis nach China wäre für lange Zeit Basis für Frieden und Wohlstand in der ganzen Welt. Es gibt so viel zu tun: der Bau von Straßen- und Schienenprojekten zwischen den Kontinenten, die Transformation der Energiemärkte, die Entwicklung der Gesundheitssysteme, die Zusammenarbeit bei der Produktion von Lebensmitteln und dem Abbau von Bodenschätzen…
Die Deutsche Regierung hat offenbar große Bedenken, was den Kurs betrifft, den Sie beschreiben. Schon bei der Währungsunion waren der Bundesregierung Prinzipien wie Liberalisierung und Wettbewerb wichtiger als Kooperation. Der „Freie Markt” hat Vorrang vor sozialen und fiskalpolitischen Zielen. Muss Frau Merkel jetzt also umdenken?
Ich möchte ihr keine Ratschläge erteilen, aber ein Blick in die deutsche Geschichte könnte helfen: in den 50er und 60er Jahren erlebte Deutschland sein Wirtschaftswunder. Die damals regierenden Christdemokraten waren klassische Verfechter des Freien Marktes. Doch ihre Entscheidungen beugten sich nicht dem Druck nach kurzfristigen Gewinnen, wie ihn die Spekulanten heute ausüben. Langfristige Investitionen in die Infrastruktur standen nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Freien Marktes.
Die Ordoliberalen Politiker bevorzugten Projekte, von denen der Staat wie auch die Unternehmen langfristig profitierten. Diese Prinzipien - die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor - haben sich seit Jahrhunderten bewährt - auf lokaler, nationaler und auf internationaler Ebene. Sie ermöglichen es, auf eine Art in die Zukunft zu investieren, die der Produktivität, der Wettbewerbsfähigkeit, sowie Wohlstand und Friedens zu Gute kommt - wohlgemerkt: innerhalb eines kapitalistischen Systems. Leider sind diese Erfahrungen jedoch einer allgegenwärtigen Amnesie zum Opfer gefallen, die der ganzen Welt aufgezwungen wurde.
Es bleibt etwas im Vagen, wenn Sie spekulative Kapitalinteressen kritisieren. Machen Sie es sich da nicht etwas zu einfach? Immerhin streiten sich in der Eurokrise demokratisch gewählte Regierungen.
Natürlich, aber Sie dürfen nicht ignorieren, dass das Establishement über die gesellschaftlichen Bereich sehr gut vernetzt ist: von der politischen Ebene über die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Medien bis hin zur kulturellen Sphäre.
Dabei bedarf es gerade in Europa nicht viel, um die strategischen Bedürfnisse der Bevölkerung zu finanzieren, denn Sie verfügen etwa mit der Europäischen Entwicklungsbank über die dafür nötigen Institutionen.
Europa sollte dabei auch mit Menschen aus anderen Kulturen und Regionen gemeinsam an Lösungen arbeiten. Lateinamerika ist noch in der glücklichen Lage, dass es gerade in mehreren Ländern dafür nicht nur den politischen Willen gibt, sondern auch das nötige Geld. Wenn Lateinamerika jedoch weiter das Opfer der Willkür und Feindseligkeit der internationalen Finanzmärkte bleibt, kann sich dieses Zeitfenster schon sehr bald wieder schließen. Zur Zeit sind die Chancen einer strategischen Allianz zwischen Europa und Lateinamerika jedenfalls sehr vielversprechend. Wir haben jetzt die Gelegenheit, unumkehrbar die Weichen für mehr Menschlichkeit, Demokratie, Frieden und Wohlstand zu stellen.
Europa könnte prüfen, wie Ecuador seine Schuldenkrise gemildert hat. Ihr Land konnte nachweisen, dass die Forderungen vieler Gläubiger rechtswidrig waren. Wie ist Ihnen das gelungen?
2008 durchleuchtete eine staatliche Kommission die Auslandschulden Ecuadors der letzten 30 Jahre. Dabei kam heraus, dass etwa ein Drittel dieser Schulden von 11 Milliarden US-Dollar illegal waren. Es gab illegale Vertragsabschlüsse mit internationalen Gläubigern, rechtswidrige Vertragsänderungen und Zinsen weit über Marktniveau. Präsident Rafael Correa entschied damals, den illegalen Anteil der Schulden nicht zurückzuzahlen. In Griechenland wäre eine vergleichbare Prüfung sicher sinnvoll.
Wir leben in einer Zeit mit enormen geopolitschen Spannungen und Eliten, die im Grunde in einer verzweifelten Lage stecken, weil ihr Spekulations-Dogma am Ende ist. Um das drohende Szenario von noch mehr Chaos und Krieg abzuwenden, müssen wir aufwachen. Es liegt an den Gesellschaften, wieder die Kontrolle zu übernehmen und drängendsten Bedürfnisse ihrer Bevölkerung an erste Stelle setzen. Die gute Nachricht ist dabei, dass es viele praktikable Wege gibt, um die Probleme zu lösen. Es gibt immer Alternativen. Wir müssen es nur schaffen, aus diesen ‚Ozeanen der Unmöglichkeiten’ wieder aufzutauchen, mit denen man unsere Gedanken und unsere Vorstellungskraft zu ersticken versucht.
Herr Páez, Sie haben die südamerikanische Entwicklungsbank „Banco del Sur” und ihre Handelswährung „Sucre” konzipiert. Wie unterscheidet sich Ihr Konzept von dem anderer Entwicklungsbanken?
Die Grundlage für die „Bank des Südens” ist das demokratische Mandat. Über die Projekte und Prioritäten der Bank entscheiden unmittelbar demokratisch legitimierte Vertreter, nicht Technokraten aus irgendwelchen Institutionen.
Der Sucre ist eine regionale Rechnungswährung, mit der die südamerikanischen Länder gegenseitig erbrachte Leistungen miteinander verrechnen können. Wenn also ein Land etwa Rohöl für ein Million Sucre liefert und für den gleichen Betrag Lebensmittel erhält, fließt unterm Strich kein reales Geld. Das regt nicht nur den Handel an, sondern verringert auch die Abhängigkeit des Handels vom US-Dollar.
Weltweit wird der Handel in der Regel mit dem US-Dollar abgerechnet. Wir wollen unsere wirtschaftliche Entwicklung von diesem mächtigen Monopol lösen. Der Sucre könnte auch den internationalen Handel anregen: Europa und Südamerika würde sehr davon profitieren, wenn sie ebenfalls eine Rechnungswährung nach dem Vorbild des Sucre vereinbaren würden. China hat das schon lange erkannt: Es unterhält bereits mit elf Ländern so einen Vergütungsmechanismus.
Ihre Pläne mögen fortschrittlich sein, aber die Realität scheint ja ganz schön hinterher zu hinken: In Ihrem Heimatland Ecuador ist der US-Dollar seit 2001 das alleinige Zahlungsmittel und der Sucre-Handel macht nur einen winzigen Betrag der Wirtschaftsleistung der beteiligten Länder aus. 2013 wurde mit dem Sucre Handel im Wert von gerade einmal 830 Millionen US-Dollar betrieben.
Schönreden hilft natürlich nichts. Wir haben noch immer mit großen Hindernissen zu kämpfen. Aber am wichtigsten bleibt die Suche nach neuen Ansätzen und Ideen gegen das Dogma der „Alternativlosigkeit”.
Mit dem Dollar als Landeswährung ist Ecuador in eine Falle getappt, weil wir heute keinen Einfluss mehr auf die Währungspolitik, die Liquiditätspolitik oder den Wechselkurs haben. Der Dollar ist aber nur ein Mittel zum Zweck und nicht das zentrale Problem. So lange wir alternative Mechanismen entwickeln, die uns helfen, die Würde und die Beteiligung der Menschen zu sichern, sind wir auf dem richtigen Weg.
Der Sucre ist auch schon deshalb ein Erfolg, weil er bewiesen hat, dass das Prinzip funktioniert. Kaum einer wollte das glauben: Jetzt wissen wir, dass internationaler Handel auch jenseits des Dollar-Monopols möglich ist. Dabei ist das ja im Grunde nichts Neues: Schon die Hanse hatte vor 900 Jahren Instrumente, die mit dem Sucre vergleichbar sind, nur wird unser System mit Hilfe der Telematik und der Informatik unvergleichlich flexibler einsetzbar und nützlicher sein.
Die Welt braucht keine Monopole mehr und der Sucre ist ein Beispiel für die Chancen und Vielfalt an Alternativen, die vor uns liegt. Ich hoffe, dass auch in Europa die Einsicht darin wächst.
Dr. Páez , vielen Dank für das Gespräch.
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