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Ökonom Fratzscher über Griechenland„Alexis Tsipras hat recht“

Die griechischen Schulden sind nicht tragfähig, sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher. Besser wäre es, die Kredite neu zu verhandeln.

Dass Griechenland unter Alexis Tsirpas den Euroraum verlässt, ist unwahrscheinlich. Bild: reuters
Ulrike Herrmann
Interview von Ulrike Herrmann

taz: Herr Fratzscher, der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras will einen Schuldenschnitt. Sollte sich Europa darauf einlassen?

Marcel Fratzscher: Nein, Europa sollte sich nicht darauf einlassen, auch wenn Tsipras recht hat, dass die griechischen Schulden nicht tragfähig sind.

Was schlagen Sie also vor?

Wir sind für ein anderes Modell: Man strukturiert die Kredite so, dass die Zinsen an das Wachstum in Griechenland gekoppelt sind. In der Krise muss das Land keine Zinsen zahlen. Wenn es jedoch zu einem Aufschwung kommt, muss etwa ein Viertel der Mehreinnahmen als Zinsen gezahlt werden. Drei Viertel würden in Griechenland bleiben.

Was wäre der Vorteil?

Die Griechen hätten selbst ein Interesse daran, ihr Land zu reformieren. Bisher wird die ganze Schuld aufs Ausland abgeschoben nach dem Motto: Wir sind nur wegen Europa in der Krise. Gleichzeitig wäre es absurd, wenn die Troika auch noch in den nächsten zehn Jahren alle drei Monate nach Athen fährt und der dortigen Regierung auf die Finger klopft. Es muss sich für die Griechen lohnen, Eigenverantwortung zu übernehmen.

Außer Hotelbetten hat Griechenland bisher kaum Exportprodukte. Braucht das Land nicht zusätzliche Hilfskredite, um wieder zu wachsen?

Nein. Griechenland hat bereits unglaublich hohe Summen erhalten, mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Land hat eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung – und wäre für Investoren interessant. Das Problem ist die Bürokratie. Sie muss abgebaut werden. Auch kann es nicht sein, dass viele Berufszweige geschützt sind und niemand von außen hineinkommt.

Bild: dpa
Im Interview: Marcel Fratzscher

44, leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Wenn Tsipras und die EU sich nicht einigen: Rechnen Sie mit einem Austritt Griechenlands aus dem Euro?

Nein. Für Griechenland wäre es eine Katastrophe. Das weiß Tsipras. Es käme zu einer enormen Kapitalflucht, weil die Sparer ihre Konten räumen. Alle griechischen Banken wären pleite.

Und was würde dieses Szenario für Deutschland bedeuten?

Ein „Grexit“ würde auch für Deutschland teuer. Die öffentlichen Kredite an Griechenland betragen knapp 70 Milliarden Euro. Zudem würde die gesamte Eurozone destabilisiert, weil sich jeder fragen würde, ob Spanien oder Italien auch irgendwann die Währungsunion verlassen.

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17 Kommentare

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  • Dann sollte euer toller Ökonom vielleicht mal Zeit.de lesen. Da kann man nachlesen das die USA nur unwesentlich weniger in % des BIP für Ihren Schuldendienst zahlen als Griechenland.

     

    Griechenland zahlt nämlich effektiv einen sehr viel geringen Zinssatz als die USA.

  • "… der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras will einen Schuldenschnitt.…

    Nein, Europa sollte sich nicht darauf einlassen, auch wenn Tsipras recht hat, dass die griechischen Schulden nicht tragfähig sind.

    Wir sind für ein anderes Modell:…"

     

    Jetzt wird mir doch noch klarer, warum sich so hartnäckig das Gerücht hält,

    Herrhausen sei im Auftrag der WTO et al gehimmelt worden - weil er für die Fälle der Nichterwirtschaftbarkeit des Schuldendienstes einen Schuldenschnitt vorgeschlagen hatte;

    welches Auto fährt eigentlich

    Alexis Tsiapras?

     

    (ps Alexander 'Alekos' Panagoulis nahm ja bekanntlich auch den

    Alexander Dubćek-exit)

     

    Ps: Danke für Ihren Kommentar. Er wartet auf Freischaltung. Bitte haben Sie Geduld und senden Sie ihn nicht mehrfach ab. - ok -

     

    mit F.K.Waechter - NÖ WIESO!

  • Habe eben gelesen, dass ein Herr Hüther vom DI (nicht DIW) die Lage in Griechenland für "ertragbar" hält.

    Für die mit Millionen gefütterten Wirtschafts-A...-Kriecher wie Weideman, Junkers und Co, ist es unwichtig ob irgendwo in der Welt, hier also Griechenland, Menschen immer mehr in Not und Elend abstürzen.

     

    Hauptsache irgendwelche (gefälschten!) Zahlenkolonnen lassen sich umdeuten.

     

    Auf die Jobs dieser Wirtschaftsterroristen müssen endlich Menschen (ja, M E N S C H E N) gesetzt werden, die noch Verstand haben. Beachte: Verstand kommt von "verstehen",

  • Das fängt schon mal gut an:

     

    27. Januar, 06.53 Uhr: In einem Interview mit der französischen Zeitung "La Tribune" äußerte sich der designierte Finanzminister Giannis Varoufakis sehr offenherzig zu der Rolle, die Deutschland für die griechische Politik zukünftig spielen wird: "Was immer die Deutschen sagen, am Ende werden sie immer zahlen", sagte Varoufakis dort in einem Interview.

     

    http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/griechenland-wahl-im-live-ticker-euro-gegner-vorne-syriza-chef-tsipras-gewinnt-wahl-in-griechenland_id_4429878.html

    • @Biene Maya:

      "Därr Fokoss moss es ja schlääßläch wässen!"

       

      ;-)

    • @Biene Maya:

      Er sagte allerdings nicht dazu, wohin die Deutschen zahlen. Das Geld landet nämlich nicht in Griechenland, sondern immer bei Frankfurter Großbanken.

      • @Rainer B.:

        Tja, das hat der Michel bis heute nicht begriffen.

      • @Rainer B.:

        Dachten Sie das Geld wird im Bollerwagen nach Griechenland gezogen? ;-)

  • Wichtig wäre, welche Art von "Reformen" Fratzscher den Griechen empfiehlt. Generell sind sich Politik und Presse ja einig, dass "Reform" eine radikale Kürzung der staatlichen Ausgaben, evtl. verbunden mit Privatisierungen, bedeuten muss. Dieses Verständnis von "Reform" und seine Folgen für die Bevölkerung scheinen es zu sein, was die Griechen mit der bisherigen Politik unzufrieden gemacht hat. Weiß nicht, ob Fratzschers Vertagungs- und Motivationsvorschlag da grundsätzlich was ändert.

    • @Einer von vielen:

      Fratzscher will lediglich die Abhängigkeit Griechenlands verfestigen. Ein Ausbeuter mehr.

  • lustig solang Gr in der krise müssen sie keine Zinsen bezahlen, hallo, das ist natürlich eine wunderbare Motivation, man sieht die Jungs über den Bilanzen gebeugt, unten wirds immer rot sein, dafür sorgen dann schon die Wirtschaftsberater, die die Bilanzen vor Griechenlands €u Eintritt frisiert haben, wir haben vielleicht Experten, jede Hausfrau muss mit ihrem Geld auskommen, bei Staaten trifft das weniger zu!

    • @Georg Schmidt:

      Nur wird es mit Griechenland ohne Wachstum nicht aufwärts gehen. Die können kein Nullsummenspiel fahren.

  • "Schulden [...], die 180 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ..."

     

    Sind diese 180 Prozent verteilt auf 100 Jahre (1,8 % / Jahr) oder jährlich zu 180 Prozent rückzahlbar?

    • @Arcy Shtoink:

      Weder noch. Zu unterscheiden sind Zinszahlungen und Tilgung. Der Durchschnittszins aller Kredite an GR soll z.Z. ca. 2,44% betragen - was einen ausgeglichenen Haushalt bei einem Primärüberschuss von ca. 4,5 % bedeutet.

      Die Tilgung der Hilfen von IWF und EFSF bzw. ESM soll erst in mehreren Jahren beginnen, allerdings werden in 2015 einige noch ausstehende alte Kredite (jetzt überwiegend in Händen von Hedgefonds, aber teils auch von der EZB aufgekauft) fällig - eine Nichtrückzahlung würde alle Kredite fällig stellen bzw. Insolvenz bedeuten.

      • @HELMUT FALLSCHESSEL:

        nachdem Schäuble so besorgt ist, dass die MÄRKTE, wer immer die auch sind, ruhig gestellt werden, wird er schon den Sparstrumpf au!fmachen, die Politik von ihm und seiner Chefin ist einfach eine Katastrophe!