piwik no script img

■ ÖkolumneMarx und Markt Von Meinhard Schröder

Der Kapitalismus boomt und erklimmt neue Stufen bei der Errichtung des Weltmarktes. Und trotz heftiger Krisen und zweier Weltkriege ist der Kapitalismus auch in seinem „imperialistischen“ Stadium nicht verfault, nicht unter den Schlägen der revolutionären Klassen und Völker zusammengebrochen.

Vielmehr ist der Realsozialismus, als das Gegenmodell, an seinen inneren Widersprüchen gescheitert, an seiner Unfähigkeit, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und die Gesellschaft mittels einer rationalen Planung im Einklang mit den Interessen der Individuen zu organisieren.

Die deutsche Post, einst für Lenin Vorbild für den Sozialismus in Rußland, wird umgekrempelt: Schluß mit dem Beamtenschlendrian (dem TOM auf der „Wahrheit“-Seite dieser Zeitung alle paar Tage seinen sarkastischen Nachruf widmet) und – dank der neuen Konkurrenz – Reduzierung der Arbeitszeit für die Tätigkeiten bei der Post auf das neue gesellschaftlich notwendige Maß. Nie gekannte Kundenfreundlichkeit springt nebenbei auch noch heraus.

In etlichen Betrieben halten neue Formen der Arbeitsorganisation Einzug: Delegation von Befugnissen von oben nach unten, verstärkte Kooperation und Verantwortung von Arbeitsgruppen auf unterer Ebene. Eine solche effektivere Arbeitsorganisation führt nicht nur zu schlankeren Befehlshierarchien, sondern stärkt auch die Würde der arbeitenden Menschen – und läßt erahnen, wie die freie Assoziation der Produzenten aussehen könnte.

Die Revolution durch den Computer hat alle gesellschaftlichen, insbesondere aber die industriellen Bereiche erfaßt und wirkt als Gesundbrunnen.

Ist Marx also ein toter Hund?

Die von ihm beschriebenen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus sind keineswegs aufgehoben: Keine staatlichen Konjunkturprogramme haben die zyklischen Krisen beseitigt, die als Reinigungskuren untrennbar mit diesem Wirtschaftssystem verbunden sind. Das Arbeitslosenheer, die industrielle Reservearmee, wächst. Und wenn es in einem Land reduziert werden kann, so entsteht es neu in einem anderen.

Rosa Luxemburg sah in der Einbeziehung neuer Völker (der Kolonien) eine der wichtigsten Tendenzen, die dem Fall der Profitrate zeitweise entgegenstehen. Die Etablierung neuer Branchen, wie der Informations- und der Kommunikationstechnik, scheint in der gleichen Richtung zu wirken. Historisch gesehen aber fällt die Profitrate, weil das Verhältnis des auf die Arbeitskraft aufgewandten Kapitals zu dem für Maschinen aufgewandten abnimmt in dem Maße, wie die menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt wird.

Die Welle des Neoliberalismus hat die staatliche Schuldenmacherei zur Konjunkturstützung erfolgreich angegriffen und erneut den freien Markt zur obersten Maxime erhoben. Sämtliche Fesseln, die dem freien Wirken der Marktkräfte angelegt wurden, sollen fallen. Die Neoliberalen ernten Zustimmung, weil sie geringere Steuerlast, einen schlanken Staat und die Privatisierung als lahme Enten verrufener staatlicher Unternehmen betreiben.

Sind wir also den Segnungen wie den Übeln der Marktkräfte hilfos ausgeliefert?

Mit dem revolutionären Impuls der Arbeiterbewegung wurden die Sozialgesetze und der Achtstundentag erkämpft. Dieser revolutionäre Impuls und die dahinter stehende Utopie sind verlorengegangen. Aber die Umweltbewegung hat gezeigt, daß auch ohne revolutionären Impuls wichtige Erfolge gegen schrankenloses Profitstreben erreicht werden können.

Die Debatte um den Benzinpreis und die Ökosteuer kann – endlich in Gesetze gegossen – zu neuen Rahmenbedingungen für den Markt führen. Diese Diskussion ist gut für ein neues Denken, das durch die Vorstöße des Neoliberalismus blockiert war. Erscheinen auf diesem Sektor Alternativen denkbar, praktikabel, ja sogar fruchtbar, warum sollten nicht auch endlich fruchtbare Diskussionen über Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit jenseits von ABM in Gang kommen? Zumal ein wesentliches Element der Ökosteuer die Senkung der Lohnnebenkosten ist, die – ganz brav und marktkonform – jenseits staatlicher Programme die Einstellung von mehr Beschäftigten erleichtert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen