Ökologische Investments in EU: Kompass in Gefahr
Die EU will bewerten, ob Investments ökologisch sind. Viele Staaten wollen die Kriterien verwässern, die „Taxonomie“ steht auf der Kippe.
Am Mittwoch präsentierte die EU-Kommission den Mitgliedstaaten und dem Parlament intern ein Kompromisspapier zu diesem heißen Eisen. Gegen die ursprüngliche Fassung hatten Ende 2020 zehn osteuropäische EU-Länder protestiert. Nun machen andere Länder und Umweltgruppen aus ganz Europa mit Briefen und Unterschriften Druck, die Standards nicht zu verwässern. Schließlich geht es um eine entscheidende Frage: Wohin fließen Milliarden von Investitionen in den nächsten Jahren – weiter in Gaskraftwerke, Pipelines und fossile Heizungen oder in klimafreundliche Infrastruktur?
„Die Taxonomie ist der größte Hebel, um die Finanzströme endlich in grüne Bahnen umzuleiten“, sagt Christian Klein, Wirtschaftsprofessor an der Uni Kassel und Experte für nachhaltige Finanzwirtschaft. „Kein Wunder, dass die Lobbyisten der Fossilen jetzt so viel Druck machen.“
Die Idee der EU-Kommission: Mit einer Liste von „grünen“ Aktivitäten soll Klarheit geschaffen werden, welche Investments beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel helfen. Das soll Orientierung bieten und Greenwashing verhindern. Erarbeitet hat die Liste eine Gruppe unabhängiger ExpertInnen von der „Plattform für nachhaltige Finanzen“ bei der EU. „Die Taxonomie soll dabei helfen, Geld in grüne Bereiche zu lenken“, sagt ein Sprecher der zuständigen EU-Direktion für Finanzstabilität gegenüber der taz, „denn auf dem bisherigen Pfad ändert sich nichts.“
Noch Instrument zur Lenkung
Die Einstufung verpflichtet niemanden und verbietet keineswegs, weiter Geld in fossile Strukturen zu stecken. Wer will, kann weiter Kohle und Gas finanzieren – muss sich dann aber möglicherweise vor Banken und Aktienbesitzern rechtfertigen. „Die Taxonomie ist derzeit noch ein reines Instrument für Transparenz der Geldströme, nicht für deren Lenkung“, sagt auch Milena Ostrower, Finanzexpertin der Organisation Germanwatch.
„Aber sie könnte sehr viel mehr werden“ – irgendwann könnte die scheinbar harmlose Listen zur verpflichtenden Richtschnur für Investments werden. Denn die Kriterien gelten als „Goldstandard“, weil sie wissenschaftlich belegen, dass sie die Klimaziele fördern. Auch international will die EU als grüner Finanzplatz damit punkten. Großbritannien, Japan, China und die USA arbeiten an ähnlichen Projekten.
Der umkämpfte „delegierte Rechtsakt“ der EU nennt „technische Übersichtskriterien zur Entscheidung, ob eine wirtschaftliche Aktivität substanziell zum Klimaschutz beiträgt“, wie es im Titel heißt. Hinter der drögen Fassade verbirgt sich Sprengstoff: In zwei Anhängen von insgesamt etwa 850 Seiten werden „grüne“ Aktivitäten genannt: etwa die Produktion von Wasserstoff, erneuerbaren Energien, Moorvernässung oder Ladesäulen für E-Mobile. Aber nun auch: der Betrieb von Gaskraftwerken, wenn sie weniger als 270 Gramm CO2 pro erzeugter Kilowattstunde ausstoßen, wenn sie vor 2025 in Betrieb gehen, den CO2-Ausstoß gegenüber jetzigen Werken halbieren und in einer Region stehen, die bislang von Kohle abhängig ist.
Protest der südosteuropäischen Länder
Im ersten Entwurf der Kommission lag dieser Wert nur bei 100 Gramm – praktisch eine Absage an neue Gasprojekte. Denn dieser Wert ist nur zu erreichen, wenn CO2 aufgefangen und gespeichert wird, was teuer und nicht in großem Stil erprobt ist. Deshalb liefen die südosteuropäischen Länder Sturm. Ihr Argument: Gerade wenn sie sich von der klimaschädlichen Kohle lösen wollten, bräuchten sie mit Gas eine Zwischenlösung.
EU-Kommission und KlimaschützerInnen sitzen nun in der Zwickmühle: Akzeptieren sie die Aufweichung der Kriterien oder riskieren sie, dass die EU-Länder oder das Parlament die ganze Regelung kippen? Bis Ende April soll es eine Entscheidung geben, ab nächstem Jahr sollen die Regeln gelten. Andere heiße Eisen wie Details der Forstwirtschaft und die Frage, ob Atomenergie als nachhaltig gilt, sind erst einmal ausgeklammert. Aber auch viele beteiligte WissenschaftlerInnen fragen sich: Wäre der Kompromiss noch mit dem Ansatz vereinbar, klimafreundliche Investitionen zu definieren?
Verwässern würde den Kompass unbrauchbar machen
„Wenn die Kriterien verwässert werden, zerstört das die Grundidee der Taxonomie“, sagt Matthias Buck, EU-Experte der Agora Energiewende. „Es geht ja gerade darum, den privaten Investoren einen Kompass zu geben, welche Investitionen mit einer klimaneutralen Wirtschaft vereinbar sind. Sie müssen sich nicht dran halten, aber der Kompass muss verlässlich sein.“
Buck warnt davor, dass ein Verwässern der Taxonomie für die Staaten teuer werden könnte: „Die Kommission sieht einen Investitionsbedarf von zusätzlich 370 Milliarden Euro pro Jahr in der nächsten Dekade, um Gebäude, Verkehr, Industrie und Stromsystem in Richtung Klimaneutralität zu modernisieren.“
Ein möglichst großer Teil davon solle aus privatem Kapital kommen, um die Staatsfinanzen zu entlasten, so Buck: „Wenn die Taxonomie jetzt aus kurzfristigen Erwägungen verwässert wird, dann fließen vorgeblich grüne Investitionen in Projekte, die nicht in eine klimaneutrale Zukunft passen. Das heißt: Wir schaffen heute die Haushaltslöcher von morgen.“ Denn die nötigen Investitionen müssten dann von der öffentlichen Hand gestemmt werden.
Die Kommission allerdings denkt schon weiter. Während sie noch ihre „grünen“ Listen verteidigt, sitzen ihre Experten schon am nächsten heißen Eisen: einer Negativliste für eine „braune Taxonomie“: Die soll Investments auflisten, die dem Klima schaden. Selbstverständlich erst einmal ganz unverbindlich.
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