Öko-Radikale: Steinchen im Ventil

Neuerdings gilt das Luftablassen bei teuren Geländewagen als subversive Aktion. Wie Umweltschützer nach neuen Formen politischer Militanz suchen.

BMW bietet manchem Öko-Radikalen ein Ventil zum Luft ablassen Bild: dpa

Nach dem Anzünden von Autos gibt es einen neuen Trend im Versuch, politische Zeichen zu setzen: In der Hauptstadt Berlin lassen Unbekannte neuerdings bei teuren Autos, darunter vielen Geländewagen, die Luft aus Reifen heraus. Damit die BesitzerInnen dann am Morgen vor ihrem platten Auto auch wissen, worum es geht, klemmt ein Flugblatt hinter der Windschutzscheibe, in dem auf den hohen Kohlendioxidausstoß der Karosse hingewiesen wird.

Seit Anfang Juli zählte die Polizei 94 Fälle dieses politisch motivierten Luftablassens, in der Regel bei "hochmotorisierten Pkws", darunter vielen Sport- und Geländewagen, berichtet Bernhard Schodrowski, Sprecher der Berliner Polizei. Auf den Flugblättern empfehlen die militanten Umweltschützer dann beispielsweise, heute mal zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu gehen und darüber nachzudenken, vielleicht ein kleineres Auto mit geringerem Verbrauch anzuschaffen, schildert Schodrowski. Die Aktivisten durchstechen die Reifen in der Regel nicht, sondern klemmen etwa ein Steinchen in ein Ventil, um so die Luft langsam abzulassen.

Die militanten Umweltaktivisten wagen sich im Unterschied zu den Brandstiftern auch in die teureren Bezirke Berlins. Die "Luftattacken" werden sowohl in den nobleren Berliner Bezirken Steglitz und Zehlendorf registriert als auch in Friedrichshain und Kreuzberg. Die Brandstiftungen an Autos gehen hingegen vor allem in Friedrichshain und Kreuzberg, also den "Szenebezirken", über die Bühne, heißt es bei der Polizei.

Dass nun nicht nur Mercedes-Limousinen, sondern auch die als Geländewagen aufgemotzten Sport Utility Vehicles (SUV) Ziele der politisch motivierten Luftablasser sind, hängt mit derem hohen Spritverbrauch zusammen. Um etwa einen VW Touareg oder die noch schwerere Statuskarosse Marke Hummer über die asphaltierte Straße zu bewegen, braucht es schon ordentlich Kraftstoff.

Obwohl diese Autos mit ihrem Jeep-Design also Naturnähe, etwa das Fahren über Schotterpisten, zu signalisieren scheinen, dienen sie in Wirklichkeit dem genauen Gegenteil: Kaum ein Nutzer dieser SUVs rumpelt tatsächlich mit diesem Wagen durch die freie Natur. Stattdessen gleiten die Eigner komfortabel auf hohen Sitzen über den Asphalt der Städte und hoffen auf ein abenteuerliches Image. Dabei mähen die massiven Kühler die Umgebung um wie ein Panzer, wenn es zum Unfall kommt.

Die umweltpolitischen Ziele der anonymen "SUV-Hasser" werden daher durchaus als "ehrenwert" bezeichnet vom World Carfree Network, einer Organisation, die sich für eine autofreie Gesellschaft einsetzt. Scharf aber distanzieren sich die WCNler von dieser Methode. "Luft ablassen löst kein Klimaproblem", heißt es in einer unlängst veröffentlichten Pressemitteilung der WCN. Die Methode des Luftablassen sei zudem "perfide und lebensgefährlich".

Denn wenn die Luft über das präparierte Ventil erst langsam entweiche und ein Fahrer ahnungslos in sein Auto steige, losfahre und erst bei hoher Geschwindigkeit merke, dass der Reifen platt ist - dann könnte es "Unfälle mit dramatischem Ausgang geben, bei denen weitere Unschuldige zu Schaden kommen", so die WCNler. Auch vermeintlich schonende Verfahren eines politischen Aktivismus haben also ihre Tücken. Die Polizei ermittele nach den Luftattacken wegen "Sachbeschädigung", erklärt Schodrowski. Da am Tatort Bekennerschreiben zurückbleiben, schaltet sich auch der Staatsschutz ein.

Der Staatsschutz ermittelt ebenfalls beim Abfackeln von Autos. Das ist schon länger in Verruf geraten, nachdem sich sogar die Militante Gruppe (MG) davon distanziert hatte, dass im Zuge der Protestaktionen zum G-8-Gipfel auch Klein- und Mittelklassewagen angezündet wurden. Die Polizei in der Hauptstadt zählte seit Anfang dieses Jahres immerhin 78 politisch motivierte Brandanschläge auf Autos. Oft werden dabei zuerst die Reifen entflammt und darüber der Wagen in Brand gesteckt. Dabei gelte nicht jedes brennende Auto sofort als Anschlag, betont Schodrowski. Aber durch die Art der Brandstiftung könne man politisch motivierte Täter erkennen.

Wer in Berlin ein Auto besitzt, das irgendwie nach teuer aussehen könnte, ist ohnehin auf der Hut. "Ich habe mir sicherheitshalber einen Tiefgaragenplatz gemietet", erzählt die Fahrerin eines großen silbergrauen BMWs, die in Friedrichshain wohnt. Sie hat sich den Wagen nicht selbst gekauft, sondern müsse das Auto fahren. Der Arbeitgeber hat es ihr als Dienstwagen zur Verfügung gestellt.

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