Öko-Bewegung in Weißrussland: „Wir äußern uns nicht politisch“
Umweltorganisationen haben eine schweren Stand in Weißrussland. Wer offen gegen den Bau des AKWs in Ostrowez protestiert, lebt gefährlich.
MINSK taz | Nirgendwo gibt es so viele Tschernobyl-Opfer wie in Weißrussland – doch der offene Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk in Ostrowez ist gering. „Wir leben schließlich in einer stark beschränkten Demokratie“, formuliert es Katsiarina Goutscharowa vom „Grünen Netzwerk“ mit unüberhörbarer Ironie. Ihre Organisation ist ein Zusammenschluss von 18 Umweltorganisationen und etwa 60 Experten, die sich gegenseitig stärken wollen, um politischen Einfluss auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu gewinnen.
Es sind Menschen aller Altersgruppen, die sich hier zusammengeschlossen haben; auch ein paar Juristen gehören dazu, die Aktivisten bei Prozessen unterstützen und Gesetzesvorlagen kommentieren. Die Organisation ist offiziell in Litauen registriert. „Sonst wären wir ganz schnell verboten“, so Goutscharowa, die in der Zentrale in Minsk arbeitet, wo es etwa zehn Hauptberufliche gibt.
Auch Irina Suchij von „Ökohaus“ gehört zum Grünen Netzwerk. Gleich nach Bekanntwerden der AKW-Baupläne für Ostrowez trommelte ihre Organisation Ende 2008 Wissenschaftler, NGO-Vertreter und Aktivisten aus Weißrussland und Russland in Kiew zusammen. Dort entstand die weißrussische Antiatomkraftkampagne Bajak. Es ist ein überschaubares Grüppchen, man kommuniziert übers Internet oder Skype, trifft sich an öffentlichen Orten oder in Privatwohnungen. Politisches am Telefon zu besprechen ist nicht ratsam in Weißrussland.
Auch Suchijs Partnerorganisationen vom „Grünen Netzwerk“ bekommen immer wieder deutliche Hinweise vom Regime, die Kooperation einzustellen. Die Drohungen sind nebulös, die Folgen nicht klar kalkulierbar: Wer in Weißrussland mit Flugblättern, Aufklebern an Bushaltestellen oder im Internet offen gegen das Atomkraftwerk protestiert, muss mit Repressionen durch den Geheimdienst rechnen, der sich hier immer noch KGB nennt. Festnahmen und Inhaftierungen von ein bis zwei Wochen sowie Geldstrafen haben sehr viele Aktivisten schon erlebt. Und weil im kommenden Jahr Wahlen anstehen, bei denen es über den Sieger keinen Zweifel gibt, rechnen alle mit einer Verschärfung der Situation.
Viele für die Umwelt engagierte Menschen in Weißrussland bestreiten deshalb explizit, dass ihr Handeln irgendetwas mit Politik zu tun haben könnte – so wie Doria Chumakowa. Sie engagiert sich beim „Zentrum für Umweltlösungen“ (Ecoidea), das vor etwa fünf Jahren mit Unterstützungsgeldern aus Skandinavien gegründet wurde und sich mit Energieeffizienz, Lebensmittelsicherheit und Giften in Kinderspielzeug beschäftigt. Obwohl die Organisation versucht, auf Gesetze Einfluss zu nehmen, meint die junge, gut Englisch sprechende Frau: „Wir äußern uns nicht politisch. Wir fokussieren uns auf Probleme.“
Chancen durch Energieeffizienz
Der ehemalige Deutschlehrer Dmitri Burentin vom „Zentrum für ökologische Lösungen“ spricht ohne Pause, wenn es um die Chancen durch Energieeffizienz geht. „Wenn wir das Geld für das neue Atomkraftwerk in die Modernisierung unserer Gaskraftwerke stecken würden, wäre das AKW überflüssig“, sagt er und schiebt pflichtschuldig nach: „Ich will das aber politisch nicht bewerten.“
Auch andere Fakten, die er aufzählt, sprechen eine klare Sprache: Im Vergleich zu westeuropäischen Ländern benötigen weißrussische Betriebe für die gleiche Wirtschaftsleistung etwa doppelt so viel Energie. Vor allem die hochdefizitären Staatsbetriebe verschwenden viel Strom, die Übertragungsleitungen verlieren riesige Mengen, und weil die Elektrizität für Privathaushalte hoch subventioniert ist, wird auch dort kaum gespart.
Jetzt versucht Burentins Organisation, EU-Geld für vier Pilotstädte im Norden des Landes aufzutreiben, um dort beispielhaft Energieeffizienzprojekte durchzuführen. Das Grüne Netzwerk versucht, durch Informationskampagnen einen umweltfreundlicheren Lebensstil zu fördern: Bisher fehlen in den meisten Wohnungen Thermostate, viele Bewohner regeln die Temperatur übers Fenster.
Vor allem Minsk ist eine extrem autogerechte Stadt, fast alle Straßen hier sind vier- oder sechsspurig, aber dank des billigen Benzins staut sich der Verkehr trotzdem. Wie stark die Lebensmittel mit Pestiziden oder Radioaktivität belastet sind, ist kaum herauszufinden; im ganzen Land gibt es gerade einmal sechs Biobauernhöfe. Darüber hinaus versucht das „Grüne Netzwerk“, Informationen von offiziellen Stellen zu bekommen und Einfluss auf Gesetze und Regierungs-beschlüsse zu nehmen.
Dabei beruft sie sich auf die Aarhus-Konvention, mit der sich Weißrussland international verpflichtet hat, die Öffentlichkeit über Umweltangelegenheiten zu informieren und an Entscheidungen zu beteiligen. „Wir werden allerdings dauernd ignoriert“, klagt Katsiarina Goutscharowa. Deshalb beschwert sich ihre Organisation regelmäßig bei internationale Gremien. Tatsächlich mauern weißrussische Staatsvertreter schon bei simplen Nachfragen zu Umweltbelangen – oder erweisen sich als komplett inkompetent.
Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit
So rühmt sich der Ort Schodino, nordöstlich von Minsk, in dem 60.000 Menschen leben, Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit zu sein. Angeblich haben hier alle Betriebe ein Energiesparprogramm, und nach einem Deutschlandbesuch soll der Bürgermeister Mülltrennung eingeführt haben. Die Leiterin der Wirtschafts-abteilung, Tatjana Sawadstaja, betont: „Die Agenda 21 ist Werbung für die Stadt, um ausländische Direktinvestitionen zu motivieren.“
Tatsächlich stehen auf den Straßen ein paar zerbeulte Abfalltonnen unterschiedlicher Farbe – doch was mit den sortierten Abfällen passiert, kann oder will sie ebenso wenig sagen wie die vier Kollegen aus anderen Ressorts, die zu einer Zusammenkunft mit einigen Pressevertretern geladen haben. Und welcher Betrieb schon wie viel Energie gespart hat? Und wodurch? Niemand hier weiß es. Und niemand fragt richtig nach.
Wo ausländische Gelder beteiligt sind, haben die weißrussischen Umwelt-organisationen wirksamere Hebel. So hat eine dänisch-schwedische Forscher-gruppe herausgefunden, dass 95 Prozent der EU-Hilfen an staatliche Stellen in Weißrussland fließen und nur 5 Prozent an zivilgesellschaftliche Institutionen. Nun verlangt das „Grüne Netzwerk“ Auskunft, welche Effekte die internationale Unterstützung jeweils hatte – und veröffentlicht die Antworten im Internet.
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