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Öffentlicher Suizid einer trans* ­FrauErmittlungen zu Ella kritisiert

Bei der Selbstverbrennung einer trans Frau schloss die Berliner Polizei ein politisches Motiv direkt aus. Doch einen Grund hatte sie dafür nicht.

Ella Nik Bayans Grab wurde bereits zweimal geschändet Foto: Jürgen Ritter/imago

Berlin. taz „Man verbrennt sich nicht ohne Grund öffentlich auf dem Alexanderplatz“, sagt Vasili Franco. Er ist innenpolitischer Sprecher der Grünen. „Es wäre schlüssig anzunehmen, dass damit auf Missstände in der Gesellschaft hingewiesen werden sollte“, sagte Franco der taz.

Die aus dem Iran stammende trans Frau Ella Nik Bayan hatte sich dort im September vergangenen Jahres selbst angezündet. Die Polizei hatte bei diesem Suizid eine politische Motivation dennoch ausdrücklich ausgeschlossen.

Für Franco ist das unverständlich. Zumal es dafür auch keinerlei Belege gab, wie nun eine Antwort der Innenverwaltung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten zeigt: „Dem Senat liegen zu der Motivlage und den weiteren Hintergründen, die zu der Tat führten, keine Erkenntnisse vor“, heißt es darin, die gesamte Antwort liegt der taz vor. Warum also hatte die Polizei einen politischen Hintergrund ausgeschlossen, obwohl Selbstverbrennungen nicht nur im Iran als Protestmittel dienen?

Auf Nachfrage der taz rudert die Polizei nun teilweise zurück. „Wir können eine politische Motivation nicht ausschließen, es gibt jedoch keine Hinweise darauf“, sagte ein Polizeisprecher.

Selbstverbrennung dient durchaus auch als Protestmittel – nicht nur im Iran

Für den Abgeordneten Vasili Franco gibt es im Fall Ella Nik Bayan allerdings „genügend Anhaltspunkte“ für eine politische Tat. Da wäre zum einen die jahrelange Unsicherheit über den Ausgang ihres Asylverfahrens. 2015 kommt die queere Iranerin nach Deutschland, wo sie nach Magdeburg verteilt wird. Freun­d*in­nen von Bayan berichten von transfeindlichen Angriffen und Diskriminierungen, denen die 40-Jährige immer wieder ausgesetzt war. Ihr Asylantrag wird nach zwei Jahren abgelehnt, wobei ihre Transgeschlechtlichkeit im Bescheid nicht einmal erwähnt wird.

Kein Anspruch auf medizinische Leistungen

Bayan klagt gegen die Entscheidung, weitere anderthalb Jahre später erhält sie dann ihre Anerkennung. Jahre, in denen ihre geschlechtliche Transition auf Eis liegt, da Geflüchtete bis zu ihrer Anerkennung keinen Anspruch auf medizinische Leistungen über Notfallmaßnahmen hinaus haben.

Erst 2019 kann Bayan eine Hormontherapie beginnen, im selben Jahr zieht sie nach Berlin. Grünen-Politiker Vasili Franco kritisiert die Einschränkung der medizinischen und psychologischen Betreuung von nicht anerkannten Geflüchteten als „Ungleichbehandlung eines Zweiklassensystems“, das abgeschafft gehöre. Er vermutet einen Zusammenhang mit dem Suizid, laut Antwort der Senatsinnenverwaltung liegen jedoch „keine Erkenntnisse für eine derartige Kausalität vor“. Dass die Ermittlungen zu dem Fall nach drei Tagen eingestellt wurden, hält Franco für „bedauerlich“.

Ebenfalls bedauerlich findet der Innenpolitiker, dass die transfeindlichen Straftaten, die im Zusammenhang mit Bayans Suizid begangen wurden, bis heute nicht aufgeklärt sind. So wurden in Chatgruppen Bilder ihres verbrannten Leichnams verbreitet, die von Unbekannten im Krankenhaus angefertigt wurden. Laut Senatsinnenverwaltung führt die Polizei in dem Zusammenhang vier Ermittlungsverfahren, von denen eines bereits wieder eingestellt wurde und ein weiteres gegen unbekannt geführt werde. „Ich bin wenig zuversichtlich, dass da noch was passiert“, sagt Franco. An Neujahr sowie am 4. Januar wurde zudem das Grab der trans Frau von Unbekannten geschändet. „Das ist eine Form von Hasskriminalität gegen trans Personen, die wir nicht hinnehmen können“, so Franco.

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3 Kommentare

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  • Bei Suizid wird so lange ermittelt, bis eine Straftat ausgeschlossen werden kann und das war hier offenbar nach 3 Tagen der Fall. Die Motivation geht dann eigentlich niemanden etwas an, außer Freunde und Unterstützer, aber nicht die Polizei oder die Medien.

    Weiter darf Herr Franko natürlich jederzeit sachdienliche Hinweise geben, wer hinter den Taten steckt, die nach ihrem Tod begangen wurden - allerdings sind Friedhöfe nicht videoüberwacht und daher dürfte es nicht gerade einfach sein, die Täter nachträglich zu finden, wenn sie sich nicht zufällig irgendwo damit "rühmen"....(abgesehen davon weiß ich auch, wer GEGEN Videoüberwachung plädiert).

  • Man sollte kein Problem herbeireden, wo keins ist.



    Für die Selbstverbrennung gab es sicherlich Motive, vllt. auch politische. Aber es ist bei einem Suizid nicht Aufgabe der Polizei, diese zu untersuchen, sondern auszuschließen, dass Fremdverschulden vorliegt. Das scheint hier nicht so zu sein.



    Insofern wäre es nun die Aufgabe der Medien, politische Motive zu eruieren und öffentlich zu machen, anstatt sich i.d. Sache auf Nebenschauplätze zu fokussieren. Und es wäre Aufgabe der Politik, aus den Ergebnissen Schlüsse zu ziehen.



    Nicht für jedes Elend ist die Polizei verantwortlich.

  • Die Einschätzung der Polizei ist im vorliegenden Selbstmord vollkommen Belanglos, da kein Straftatbestand vorliegt. Mangels Straftatbestand schidet auch eine Einschätzung als politische Tat aus.

    Ob ein Selbstmord politisch ist oder nicht ist doch vollkommen egal. Darüber mag der Blätterwand rauschen, ist jedoch nichts, was die Polizei ermitteln müsste.