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Öffentlicher Streit unter HipHoppernKomm, grab deinen toten Kumpel aus

Einst ritualisiert, um Bandenkriege zu zivilisieren, längst sind sie kapitalisiert: aus aktuellem Anlass eine Kulturgeschichte des US-HipHop-Beefs.

Roxanne Shanté, Sängerin des ersten „Diss-Songs“ „Roxannes Revange“ Foto: David Corio/Redferns

Rapper:Innen wetteifern ständig darum, ihre Musik zu verbessern und Erfolge und die Glaubwürdigkeit zu steigern. Es ist alles Teil eines Masterplans vom Aufbau und der Verteidigung des eigenen Rufs. Die Konkurrenz untereinander ist groß. Ihre Meinungsverschiedenheiten, Beefs genannt, entstehen aus gescheiterten Geschäftsbeziehungen, geografischen Allianzen oder schlicht Eifersucht.

Wie ritualisiert dieses Messen mit Sprüchen, Drohungen, dem Andeuten von subtiler Gewalt und der Möglichkeit einer Eskalation im Zeitalter von Social Media und Onlinefernsehen inzwischen geraten ist, zeigte vor wenigen Tagen die Sendung „Verzuz TV“, gestreamt von Apple Music, Instagram und Tidal.

Das ursprünglich für DJs gegründete Format ließ am 19. November die US-Rapstars Gucci Mane und Young Jeezy gegeneinander antreten wie zwei Profiboxer bei einem Titelkampf. Allein bei Instagram folgen diesem Spektaktel an die 400.000 Follower.

Was in den frühen 1970ern als Befriedung der Straßenkämpfe zwischen New Yorker Gangs in der Bronx diente, fand mit der Zeit seinen Weg zurück zur realen Gewalt und ist im Zeitalter von Social Media Teil des Vermarktungswahnsinns im Internet geworden.

1971 fand das „Hoe Avenue Peace Meeting“ statt, die mächtigsten Gangs der New Yorker Bronx trafen sich, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Die Banden tauschten gewalttätige Auseinandersetzungen gegen friedfertige Rap-Battles in den New Yorker Parks ein und streuten so die Saat für eine HipHop-Bewegung, die über New York hinaus in die ganze Welt expandieren würde.

Roxannes Rache

In den frühen 1980ern verlagerten sich die Dispute der Rapper von der Straße auch auf Tonträger. Es wurden nun sogenannte „Diss-Songs“ komponiert, Schmählieder, um die Abneigung gegenüber Konkurrenten musikalisch wirkmächtig zu untermalen.

Obwohl das Genre, damals wie heute, von Männern dominiert wird, sind die Hauptfiguren im ersten großen Rap-Streit zwei Frauen. 1984 veröffentlichte das Kollektiv U.T.F.O. den Song „Roxanne, Roxanne“, er wurde zum Radiohit. Darauf sagten U.T.F.O. einen Auftritt in einer Radiosendung ab, die von den New Yorker Rap-Legenden Mr. Magic, Marley Marl und Tyrone Williams moderiert wurde. Ihren Unmut über die Absage äußerte das Trio, indem es die 14-jährige Rapperin Roxanne Shanté rekrutierte, um den Diss-Song „Roxannes Revenge“ aufzunehmen, als Anspielung auf U.T.F.O.s Hit.

„Roxannes Revenge“ verkaufte allein in New York über 250.000 Exemplare. U.T.F.O. engagierte wiederum die Rapperin The Real Roxanne, die ein Rachelied aufnahm, das auch erfolgreich war. So wurden die „Roxanne Wars“ geboren. Andere Künstler:Innen mischten sich ein, es entstanden bis zu 100 Lieder, bevor die Fehde schließlich nachließ.

Mutter aller HipHop-Schlachten

Mitte der 1990er Jahre wurde HipHop zum Big Business, damit eskalierte auch erstmals ein Beef zwischen zwei Rappern von der symbolischen Ebene zurück zur Gewalt: Der Konflikt zwischen dem kalifornischen Rapper Tupac und seinem New Yorker Konkurrenten The Notorius B.I.G. gilt als Mutter aller HipHop-Schlachten.

Es ging um größere Streitigkeiten wie Ostküste versus Westküste und die Rivalität zwischen New York und Los Angeles. Neu an diesem Streit waren die vielen Ebenen und Plattformen, auf denen er ausgetragen wurde. Es hagelte Diss-Songs, gegenseitige Provokationen in den Medien, und es gab handfeste Gewalt.

Der Beef im HipHop-Genre erlebte eine krasse neue Qualität, die weit über musikalische Anfeindungen hinausging und bis hin zum Mord reichte. Es wurde wiederbelebt, was die Bandenchefs in den 1970ern gerade durch friedfertige Rap-Battles am Mikrofon verhindern wollten. Der Streit erreichte im September 1996 seinen brutalen Höhepunkt, als Tupac aus einem vorbeifahrenden Auto in Las Vegas erschossen wurde. Sechs Monate später stirbt B.I.G. bei einer Schießerei in Los Angeles. Wie die beiden Taten zusammenhängen, ist bis heute nicht richtig aufgeklärt worden.

10.000 Dollar Kopfgeld

Es sollte nicht der letzte Konflikt unter Rappern sein, bei dem Menschen ums Leben gekommen sind. Öffentliche Rivalitäten generieren Reichweite, das haben neben den Rappern auch Unternehmen und Streamingdienste verstanden. Eine Rapper-Fehde die nicht über Social Media ausgetragen wird, ist heutzutage unvorstellbar.

Auch das Aufeinandertreffen bei „Verzuz TV“ von Gucci Mane und Young Jeezy, die ihr musikalisches Duell auf einer kleinen Bühne ohne Zuschauer ausgetragen haben, hat eine Vorgeschichte. Das Zerwürfnis der beiden begann bereits 2005 und forderte ebenfalls ein Menschenleben: Damals waren Jeezy und Gucci in einen Streit um Rechte für ihren gemeinsamen Song „Icy“ verwickelt.

Im Zuge dessen setzte Jeezy ein Kopfgeld von 10.000 Dollar auf Gucci Mane aus. Woraufhin eine Stripperin Gucci Mane in einen Hinterhalt lockte. Gucci konnte sich erfolgreich gegen vier Angreifer wehren und erschoss einen der Männer. Die Staatsanwaltschaft war sich sicher, dass er aus Notwehr handelte, und sprach ihn frei.

Im Wald vergraben

Angeblich soll Gucci Mane die Leiche im Wald vergraben haben, was bis heute ein unbestätigter Mythos bleibt, mit dem Gucci Mane weiterhin spielt und den er während des Battles auf „Verzuz TV“ aufgriff, als er in Richtung Jeezy sagte: „Komm, grab deinen toten Kumpel aus!“ Eine makabre Provokation.

Das Event wurde von 1,8 Millionen Zuschauer:Innen gestreamt und erzielte 4 Millionen Klicks auf Youtube. Gute Werbung für die Künstler, aber auch für Apple und die anderen Provider, die einen blutigen Streit als Möglichkeit nutzen, um Marketing zu betreiben. Zumal die Black Community seit Jahrzehnten unter Bandenkriminalität und bewaffneten Konflikten leidet. Ihre Probleme in den USA werden von großen Konzernen instrumentalisiert, um Gewinne zu erzielen.

Wenigstens haben Gucci Mane und Young Jeezy ihren Disput, ganz im Sinne des Hoe Avenue Peace Meeting, musikalisch geklärt und am Ende des Streams Frieden geschlossen. Und die Sessel-Voyeure vor den Bildschirmen hatten das nächste heiße Thema, was sie mit ihren „Friends“ teilen konnten.

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