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Öffentliche Bibliotheken in BerlinGeistige Tankstellen für alle!

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Dass die Berliner Bibliotheken geschlossen wurden, widerspricht der Idee, Bücher weiter zugänglich zu halten. Online-Angebote sind kein Ersatz.

Die Regale sind voll, die Gänge leer: Berliner Bibliothek im Lockdown Foto: Annette Riedl/dpa

D er Lockdown hat auch schöne Seiten: zwischen Buchdeckeln. Wenn sonst fast nichts mehr geht und der Nieselregen zusätzlich auf die Seele schlägt, hat man immerhin mal Zeit zum Lesen. Das spendet Trost, das regt Geist und Fantasie an. Umso bedauerlicher, dass ausgerechnet jetzt alle Berliner Bibliotheken geschlossen wurden.

Ohne Vorwarnung. Ohne triftige Begründung. Eine kurze Mitteilung am Freitagnachmittag, dann war Feierabend bei den öffentlichen Büchereien bis mindestens 14. Februar. Das heißt, auch für die Winterferien in der nächsten Woche können sich die SchülerInnen nichts mehr ausleihen.

Ist dieser harte Lese-Lockdown wirklich nötig? So berechtigt die Sorge um die Gesundheit der Angestellten und der NutzerInnen in den Bibliotheken ist: Die Gefahr kam ja nicht gerade überraschend, anders als bei der ersten Coronawelle vor fast einem Jahr. Hätten sich die zuständigen Behörden diesmal nicht besser vorbereiten können?

Nicht mal Abholung am Ausgabeschalter

Natürlich kommt ein Normalbetrieb zwischen engen Buchregalen und mit gemütlichen Leseecken zur Zeit nicht infrage. Aber zumindest Ausgabeschalter an den größten Bibliotheken für online bestellte Bücher müssten sich doch auch mit coronabedingt eingeschränktem Personal organisieren lassen.

Stattdessen verweisen Bibliotheksverwaltung und Senat jetzt nur noch auf das Online-Angebot. Das ist besser als nichts, und man kann Bücher natürlich auch auf dem iPad lesen – wenn man denn eins hat. Aber dass auch kleine Kinder nur noch auf Bildschirme glotzen müssen, kann niemand ernsthaft wollen.

Die Bibliotheksschließung sollte deshalb keine Dauerlösung sein. Schon gar nicht in einer Stadt, deren linker Kultursenator Klaus Lederer die Buchläden zu Recht als „geistige Tankstellen“ schützt. Diese sind deshalb zum Glück noch offen. Doch da zu tanken, kostet Geld, das nicht alle haben. Die Bibliotheken müssten uns also erst recht lieb und teuer sein.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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3 Kommentare

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  • Die öffentlichen Bibliotheken in Berlin waren mehrheitlich seit letztem Mai wieder geöffnet. Im Verbund lassen sich insgesamt 780 (!) physische Medien ausleihen, die zur Zeit auch automatisch verlängert werden. Wer sich nicht spätestens im Dezember angesichts der steigenden Inzidenz mit ausreichend Medien eingedeckt hat und noch dazu darauf besteht, in einem Shutdown alle 2-3 Wochen in die Bibliothek zu rennen, möglichst mit der gesamten Familie, handelt mehr als unsolidarisch gegenüber allen Bibliotheksangestellten und der Gesellschaft. Gehen Sie auch jeden Tag einkaufen? Ich hoffe doch sehr, dass nicht. Ich persönlich habe meine privaten Kontakte außerhalb der Arbeit auf null reduziert, schon seit Beginn der Pandemie, und bin in den letzten Monaten nur mit Bauchschmerzen und Angstattacken zur Arbeit gekommen, weil der Bezirk die Bibliotheken um jeden Preis offen hielt. Die Entscheidungen kommen immer von oben, von Leitungen, die nicht jeden Tag an der Theke sitzen müssen. Für uns bedeutet das jeden Tag voller ÖPNV, hunderte Kontakte, in einer Einrichtung, die nicht zur Grundversorgung gehört. Noch dazu wurden wir pünktlich zum Anstieg der Inzidenz im letzten Jahr wieder aus dem "Homeoffice" geholt, die Büros enger belegt und hatten seither noch mehr nahe Kontakte mit Kolleg*innen auf der Arbeit. Es ist ein Gefangensein in der Hilflosigkeit, vom Arbeitgeber täglich dem Ansteckungsrisiko ausgesetzt zu sein und vielen Nutzer*innen zu begegnen, die unsere Regeln nur halbherzig befolgen und über unsere Einschränkungen empört sind und die Empörung lautstark äußern. Bitte verstehen Sie meine Erleichterung angesichts der Entscheidung, nun endlich zu schließen.

  • Alle möglichen Einrichtungen und Branchen beanspruchen eine besondere Bedeutung für sich. Auch in diesem Artikel. Es wäre glaubwürdiger, wenn dann auch mal gegenübergestellt würde, dass und welche Maßnahmen getroffen worden sind oder getrofen werden könnten, um die Infektionssgefahr in der Einrichtung zu reduzieren, und wie das kontrolliert werden soll.

    Bei online zur Ausleihe bestellten Büchern, die durch eine Luke ins Freie gereicht werden, hätte ich z.B. keine Bedenken, bei Ausleiheschaltern (mit Warteschlangen?) im Innenraum dagegen schon.

    Im übrigen: Wären nicht auch mal ein paar "nicht notwendige" Bedürfnisse dran, die sich aber infektionsvermeidend gestalten lassen, wie z.B. Gastronomie im Freien mit Abstandseinhaltung an Tischen?

    Und haben wir nach den neuerlichen Versäumnissen des Gesundheitsministers seit kurz vor Weihnachten überhaupt noch einen Spielraum für Lockerungen in dem kurzen Zeitfenster zwischen Reduzierung der Zahlen als Voraussetzung besserer Nachverfolgbarkeit zur Eindämmung durch Quarantäne und dem Anstieg der neuen Variante, solange keine effektiven Quarantnen erfolgen?

  • "Ohne Vorwarnung. Ohne triftige Begründung."

    B.1.1.7. ist der Grund, und Vorwarnung gab es die letzten Wochen zu Hauf.