Öffentlich-rechtliches Jugendangebot: Ohne Mama und Papa
Am 1. Oktober wird „Funk“, das „Content-Netzwerk von ARD und ZDF“, ein Jahr alt. Die Klicks auf YouTube und Facebook steigen.
Eigentlich könnte Funk morgen wieder ausziehen. Die Spuren des öffentlich-rechtlichen Angebots, das vor einem Jahr in den Bonifaziusturm am Mainzer Hauptbahnhof eingezogen ist, zu entfernen, dürfte maximal zwei Minuten dauern.
Draußen, am grauen Briefkasten wurde das Adressfenster gar nicht erst ausgefüllt. Ein Aufkleber von Funk und zwei kleine Papierstreifen hinter Tesa müssen reichen. Auf dem einen steht: „funk, Florian Hager, Sophie Burkhardt, Kristin Blum“ und noch drei Namen. Wie bei einer Zweck-WG, die sich eh dieser Tage wieder auflösen müsste.
Im Foyer hängt über dem Feuermelder ein DIN-A4-Zettel: „Herzlich Willkommen“, das Funk-Logo, „das Content-Netzwerk von ARD und ZDF“, ein Pfeil, „im 22. Stock“. Stilecht an der nackten Wand befestigt mit zwei Klebestreifen.
Herzlich willkommen in der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, bei der Avantgarde von ARD und ZDF.
Zukunft von ARD und ZDF?
Beides weisen die GeschäftsführerInnen Sophie Burkhardt und Florian Hager – ja, die vom Klingelschild – weit von sich: „Avantgarde passt nicht, weil wir fünf Jahre zu spät dran waren“, sagt Hager. Und sind Sie die Zukunft von ARD und ZDF? „Wir schaffen eine Erweiterung, wir haben den Auftrag, 14- bis 29-Jährige an Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heranzuführen.“
Das klingt nicht nach crazy Start-up-Atmosphäre, sondern nach Besuch des Seminars: Diplomatie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk I: Wie beschwichtige ich die private Konkurrenz. Hager weiß natürlich, dass Funk, dieses „Content-Netzwerk“, besonders beäugt wird von den Verlegern und privaten TV-Anbietern.
Florian Hager führt mit Sophie Burkhardt die Geschäfte bei Funk
Bis heute halten sich die privaten Konkurrenten die Option offen, doch mal von der EU-Kommission überprüfen zu lassen, ob das, was Burkhardt und Hager da treiben, tatsächlich noch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gehört.Funk gibt nämlich Videoproduktionen in Auftrag, betreut sie redaktionell, nimmt sie ab – und veröffentlicht diese bei YouTube und Facebook.
Die Verbreitung über eine eigene App gibt es zwar auch, und sie ist wichtig, um publizistisch unabhängig zu sein und nicht wegen eines entblößten Nippels von Facebook oder YouTube bestraft zu werden, aber die Abrufzahlen über die eigenen Kanäle sind marginal.
Kampf um Aufmerksamkeit
Im Grunde produziert Funk Inhalte und spielt sie über die Seiten der US-Konzerne Facebook und Google aus, die im Kampf um Aufmerksamkeit natürlich auch in Konkurrenz zu den privaten Anbietern stehen. Ist das die Aufgabe von ARD und ZDF?
Ja, sagt Burkhardt, auch wenn sie um das Dilemma weiß. Aber das seien nun einmal die Orte, an denen die Diskurse stattfänden, nicht nur die der 14- bis 29-Jährigen, aber deren im Besonderen. „In einer sich mehr und mehr spaltenden Gesellschaft muss man als öffentlich-rechtlicher Rundfunk doch dorthin, wo sich Diskurse mitführen lassen“, sagt Burkhardt.
Und nebenbei können die alten, behäbigen Öffentlich-Rechtlichen – die für Funk zwei Digitalkanäle sterben ließen und so 43,7 Millionen Euro Jahresetat freimachten – lernen, wie moderne Bewegtbildproduktion, -vermarktung und -verbreitung funktioniert.
Das eine ist schnell erklärt: Die Produktion sollte schlicht extern stattfinden.
Und die Vermarktung und Verbreitung? Da wird’s etwas komplizierter und es lohnt sich ein Blick in den großen Büroraum. Es gibt keine festen Arbeitsplätze mehr, die Schreibtische sind simple Platten auf zusammengeschweißten Rahmen, ein paar Sitzecken, wenige verglaste Besprechungsräume, ansonsten wird das U-förmige Stockwerk dominiert von einer Art Minitribüne, die auf eine Wand aus 16 Bildschirmen ausgerichtet ist.
Es geht um Daten
Hier laufen die Daten ein: Welches Format läuft wie gut? Welches hat die meisten Views? Welcher Kanal die meisten Abonnenten? Wie lange wird was geguckt? Balken- und Tortendiagrame, Kurven, Zahlen. Es erinnert an die Bildschirmwände, die Daytrader immer vor ihren Nasen haben. Denn in dieser Mischung aus rau und kuschelig, die kleine geile Firmen immer so anziehend finden und für die sich auch die Funk-MacherInnen entschieden haben, geht es am Ende immer: um Daten.
„Dadurch, dass wir viele Formate auf vielen Kanälen anstoßen, können viele Daten gewonnen werden, wir können Gesetzmäßigkeiten erkennen“, erklärt Burkhardt. Wie verändern sich die Zugriffszahlen, wenn ich das Vorschaubild ändere oder die Überschrift? Wie sammle ich all die Views und Klicks, wie mach ich ZuschauerInnen zu AbonnentInnen?
Dafür geht Funk mittlerweile sogar so weit, Facebook dafür zu bezahlen, dass es die Inhalte in die Timelines von Menschen spült, die Funk oder die angeschlossenen Fan Pages eigentlich nicht abonniert haben. Performance Marketing heißt das. Das Ziel: außerhalb der eigenen Blase bekannt werden. Bislang ist das laut Hager aber ein sehr kleiner Test.
Zahlen mehr als verdoppelt
Nach elf Monaten sind 256 Millionen Videoabrufe bei YouTube und 90 Millionen Abrufe bei Facebook zusammengekommen – gerechnet auf alle Kanäle, die zum Netzwerk Funk gehören. Insgesamt haben vier Millionen NutzerInnen die Kanäle auf YouTube abonniert, 600.000 Page Likes hat Funk gesammelt.
Ist das viel? Der Trend geht zumindest leicht nach oben: Nach einem halben Jahr hatte Funk 103 Millionen Abrufe bei YouTube und 44 Millionen bei Facebook. In den fünf Monaten danach konnten sie beide Zahlen mehr als verdoppeln.
Burkhardt und Hager ziehen deshalb auch erst mal nicht aus. Sie finden es gut hier. Nah am Bahnhof, nur 11 Euro Miete pro Quadratmeter, und Mama (ZDF) und Papa (SWR) sind zwar in der Nähe, aber sitzen nicht immer mit am Tisch. Ganz so wie es sich auch ein Großteil der Zielgruppe wünscht.
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