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Öffentlich Rechtliche und KinderEin Medienhaus als Villa Kunterbunt

Der MDR bepreist jetzt Schlaflieder vom Kinderchor – das ist gut. Der ÖRR braucht mehr rote Zora und Pipi Langstrumpf.

Würde das Programm mal etwas bunter machen: Pipi Langstrumpf Foto: imago

D ie letzten Wochen ist ja manchmal der Eindruck entstanden, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten glichen einem Bewegungsraum in der Kita am Nachmittag. Alle sind ganz aufgeregt und brüllen durcheinander. Dass der MDR parallel „Schlaflieder mit dem MDR-Kinderchor“ anpreist, ließe sich jetzt prächtig verhohnepipeln.

„Wenn irgendwer aus der Medienblase das für ’n Sockenschuss hält, haben sie leider nichts begriffen“, sagt die Mitbewohnerin. Schließlich geht es um Lieder für Kinder von Kindern, begleitet vom MDR-Sinfonieorchester. Die 20 Titel gibt’s jetzt zum Streamen und Mitsingen in der ARD Audiothek und ARD Mediathek.

Noch mal, das ist öffentlich-rechtlicher Kernauftrag. Wenn sich die ganzen Groß­stra­te­g*in­nen aus der Politik mit ihren Forderungen, ARD und ZDF zu verschlanken, durchsetzen, wäre es dagegen um deren Chöre und Orchester traurig bestellt. Dabei läuft gerade da der direkte Kulturaustausch mit der Gesellschaft, den angeblich alle wollen. Hat schon mal jemand etwas von einem Kinderchor bei den Privaten gehört? Und auch die sattsam bekannten Exemplare wie die Thomaner oder Regensburgs Domspatzen und so weiter kommen nicht ohne satte Zuschüsse aus öffentlichen Kassen aus.

Kinder zahlen zwar keinen Rundfunkbeitrag, aber ihre Eltern. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gerade auch für sie da, selbst wenn Kinderprogramm heute hauptsächlich im KiKA stattfindet. Dafür sind die Nachrichten bei „logo“ ja im Allgemeinen verständlicher als bei der „Tagesschau“. Vielleicht gehört, um es mal mit Herbert Grönemeyer zu sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk eh in Kinderhände. Da wäre er besser aufgehoben als bei so manchen Kindsköpfen, die da gerade in der Medienpolitik und den Anstalten rumeiern.

Wir sind noch nicht soweit

Viel geiler wäre doch ein bisschen vom anarchisch-diversen Geist der frühen „Sesamstraße“ und von alten antiautoritären West-Legenden wie der „Rappelkiste“ oder „Krempoli“! Die „Rappelkiste“ kam vom ZDF, sendete 68er-mäßig klar gegen den Muff der Bewahrpädagogik und war mit Ratz und Rübe schon schwer Gender-okay. „Krempoli“ (ARD) spielte bei Opa Krempel auf dem Sperrmüllsammelplatz und hieß im Untertitel „Ein Platz für wilde Kinder“. Einfach mal machen!

So weit sind wir leider noch nicht. Aber immerhin kriegen ARD und ZDF jetzt von der Gesellschaft ein „Wieso, weshalb, warum?“ in den Bauch gefragt. Damit daraus eine öffentlich-rechtliche Villa Kunterbunt wird, brauchen wir aber auch die rote Zora mit ihrer Bande oder Pipi Langstrumpf, die den Laden weiter aufmischen. Und wenn wir uns ein Lied wünschen, dann „Zähneputzen, pullern und ab ins Bett!“ von Knorkator.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"