Öffentlich-Rechtliche bei Videoportalen: ZDF bemerkt YouTube
Nun hat auch das ZDF einen YouTube-Kanal. Die User interessiert vor allem "Kerner-wirft-Herman-raus" und King Orgasmus One bei Maischberger.
![](https://taz.de/picture/409025/14/herman_01.jpg)
196 Millionen Mal werden täglich Filme aufgerufen - wer etwas Schriftliches oder Fotos sucht, geht über Google, wer kurze Moving Images will, über YouTube. Dass das eine - YouTube - seit Oktober 2006 dem anderen - Google - gehört, stärkt diese Position nur: Wo, wenn nicht bei YouTube, kann jede Band einen Clip, jeder Comedian einen Sketch, jeder Mensch einen Film an die Öffentlichkeit bringen?
Dass das Fernsehen dabei nicht unbedingt auf der Strecke bleiben muss, ist das verzweifelte Mantra der altmodischen TV-MacherInnen - schließlich habe man Standortvorteile durch Anspruch, Formatlänge und Etabliertheit. Trotzdem versuchen auch die öffentlich-rechtlichen Sender, in der Konkurrenz um die meistgeschauten Videos mitzuhalten: Bislang fanden sich unter den 65.000 täglich neu hochgeladenen Filmchen nur zufällig Beiträge, die ursprünglich bei ARD oder ZDF zu sehen waren. Seit ein paar Wochen hat das ZDF seinen eigenen YouTube-Kanal eröffnet, auf dem laut Sender pro Woche 10 bis 15 Magazinbeiträge und Videotrailer eingestellt werden sollen. Und zwar "pfiffige, ironische und interessante Clips", die "eine Generation erreichen sollen, die nur noch schwer für das Echtzeitfernsehen zu begeistern ist".
Doch trotz so viel Einsicht ist die Idee kaum mehr als ein zu spät angehängter Güterwaggon: Alles, was für die sehr jungen UserInnen von Interesse ist, wird bereits ohnehin regelmäßig von ihnen ins Netz gebastelt. Und den "eigenen Kanal" hat im Übrigen jeder, der ein Video bei YouTube einstellt - vermutlich wird also auch jetzt nicht per Stichwort "ZDF" nach potenziell interessanten Beiträgen gesucht.
Denn was interessant für die - unübersehbar große, dennoch gar nicht so unhomogene - YouTube-Gemeinde ist, hat mit dem Angebot der Öffentlich-Rechtlichen nicht so viel zu tun. Wenn es allein nach Clip-Zahl ginge, könnten ARD wie ZDF gleich einpacken: Fast jedes private Programm punktet mit mehr Einträgen, den Topscore der Vollprogramme besetzt RTL mit über 14.000 Clips. Noch höher liegen Musikkanäle wie Viva und MTV - Letzterer verzeichnet Dank internationaler Verbreitung rund 280.000 Filmchen. ZDF und ARD spielen dagegen mit mageren 2.000 bzw. 4.000 downloadbaren Qualitätsfetzen also vermutlich genau die Geige, die sie auch im täglichen Leben der YouTube-UserInnen spielen: die letzte.
Und die ständig wachsende Konkurrenz an immer mehr und immer ausgefuchsteren, speziell für YouTube produzierten Filmen, die von Großkonzern-Werbung, Wahlspot, Dokusoap bis zu Softsex alles beinhalten können, macht es für die konventionellen Themen der "alten" Fernsehsender nicht leichter.
Dennoch könnten ARD und ZDF von YouTube lernen. Denn es besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was die Öffentlich-Rechtlichen bewusst für die unbekannte Jugend produzieren - und was jene mysteriösen ZuschauerInnen wirklich sehen wollen. Wer versucht, das öffentlich-rechtliche Programm bei YouTube nachzuvollziehen, findet ein erstaunlich unterhaltsames Konglomerat, das selbstredend komplett ohne "Musikantenstadl" auskommt, dazu wenig Innen- und Außenpolitik und viel "Eva-Herman-fliegt-bei-Kerner-raus" und King Orgasmus One bei Maischberger.
Und das inklusive der ellenlangen Threads mit User-Meinungen von "voll geil" bis "unfassbar", die vor allem bei Themen wie den gebeutelten ComputerspielerInnen einen schönen Eindruck davon liefern, was bei den Menschen ankommt und hängen bleibt: Üblich ist erboste Kritik ob der - so findet man - einseitigen und kritischen Reportagen über die "World of War"- und "Counterstrike"-HeldInnen - die bestimmt manchmal berechtigt ist, oft aber auch gruselig wenig Wissen über journalistische Berichterstattung offenbart, die normalerweise ja schon beide Seiten beleuchten sollte.
YouTube fordert eben nicht den passiven Zuschauer, sondern den aktiven Multiplikator, es ist kein Fernsehen, es ist "mein Fernsehen". Und so werden beide TV-Arten, das Fernsehereignis in Echtzeit und das ausgewählte und ausufernde Konservegucken, noch sehr lange nebeneinander bestehen.
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