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ÖPNV und Klimaschutz in BerlinBäume blockieren Straßenbahn

Eigentlich soll die Tram zur Jungfernheide bald in die Planfeststellung gehen. Aber jetzt stellt sich der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf quer.

An der Turmstraße endet die Tram derzeit – und eigentlich soll in ein paar Jahren weitergebaut werden Foto: IMAGO / Jürgen Ritter

Berlin taz | Dass sich beim ökologischen Umbau in Stadt und Land manchmal Zielkonflikte ergeben, etwa zwischen Arten- und Klimaschutz, ist nichts Neues. Gerade hat sich im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf allerdings eine neue Front aufgetan. Auf der einen Seite steht das Interesse am Ausbau des ÖPNV, auf der anderen der Wunsch nach urbaner Klimaresilienz. Protagonisten sind derzeit der grüne Umweltstadtrat Oliver Schruoffeger und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Es geht um die Verlängerung der Straßenbahnstrecke vom U-Bahnhof Turmstraße zum S- und U-Bahnhof Jungfernheide. Für diesen knapp vier Kilometer langen Abschnitt läuft das Planungsverfahren schon seit etlichen Jahren. Nach der Prüfung unterschiedlicher Trassenführungen und der entsprechenden Beteiligung von Öffentlichkeit und Behörden entschied sich die Senatsverkehrsverwaltung 2019 für eine Variante, die über Turm- und Huttenstraße sowie die Kaiserin-Augusta-Allee zum U-Bahnhof Mierendorffplatz und dann über die Osnabrücker Straße zum Tegeler Weg am Spreeufer führt.

Am Montag teilte Schruoffeneger jedoch per Pressemitteilung mit, dass das Bezirksamt eine neue Trassenführung fordert. Diese solle über den etwas weiter nördlich gelegenen Straßenzug Gaußstraße – Olbersstraße, nicht aber über den Mierendorffplatz führen. Begründung: Für die geplante Strecke müssten „viele Straßenbäume gefällt werden“, die durch Beschattung und Verdunstung zur Kühlung der Umgebung beitrügen. Das zeige ein aktuelles Gutachten. „Anwohnerinnen und Anwohner müssten dann ihre täglichen Wege auf deutlich aufgeheizten Straßen zurücklegen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Auf der vom Bezirksamt nun präferierten Trasse – die auch Bestandteil des ursprünglichen Prüfungsverfahrens war – seien dagegen nur „wenige, junge Bäume betroffen“. Deren Fällung habe geringere klimatische Auswirkungen. Angeführt werden sogar konkrete Zahlen, die sich aus dem Gutachten ergäben. So lägen die Kosten für den Verlust der Ökosystemleistungen des Baumbestandes nach derzeitigem Planungsstand in zehn Jahren bei über vier Millionen Euro, im Falle der Alternativroute jedoch nur bei 300.000 Euro. „Die Menschen vor Ort tragen die Kosten in Form von geringerer Lebensqualität und gesundheitlichen Belastungen“, so Oliver Schruoffeneger.

„Große Verwunderung“

Der BUND reagierte am Mittwoch in Form einer harschen Replik: „Mit großer Verwunderung“ nehme man Schruoffenegers „Einlassungen“ zur Kenntnis. Das begründet die Organisation mit einer aktuellen Antwort der Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt auf eine Anfrage aus der SPD-Fraktion. Die Abgeordnete Ülker Radziwill hatte sich auf bereits zuvor von Schruoffeneger getätigte Aussagen bezogen und gefragt, ob in der Kaiserin-Augusta-Allee tatsächlich „hunderte klimawirksame Bäume“ durch die Tramstrecke gefährdet würden.

„Nein“, antwortete Umwelt-Staatssekretärin Britta Behrendt, diese Befürchtung sei schon deshalb nicht zutreffend, „da der Abschnitt keine hunderte Bäume umfasst“. Vielmehr müssten in der Kaiserin-Augusta-Allee lediglich zwei Bäume gefällt werden. Der Anspruch an die Planung sei es, Baumfällungen „ein absolutes Minimum“ zu reduzieren.

Planung zurückgeworfen

Das eigentliche Problem, an dem der BUND Anstoß nimmt: Behrendt führt aus, dass eine Änderung der Streckenführung zum jetzigen Zeitpunkt eine Verzögerung des ganzen Projekts „um bis zu sechs Jahre“ zur Folge hätte. Die Planungskosten würden erneut anfallen, zudem sei die Erschließungswirkung der Alternativstrecke deutlich schlechter.

BUND-Landesgeschäftsführerin Gabi Jung findet es „äußerst bitter, dass sich nun ausgerechnet ein Bezirksstadtrat der Grünen dem nötigen schnellen Ausbau der Straßenbahn in Berlin in den Weg stellen will“. Der BUND mache es sich „wahrlich nicht leicht bei der Abwägung von Baumfällungen für neue Straßenbahnstrecken“, aber die neue Strecke sei ein „großer Gewinn für die Verkehrswende“, und die Zahlen, die Schruoffeneger suggeriere, stimmten nicht. Der Politiker, so Jung, reihe sich damit, „ob gewollt oder nicht, in die Reihe der Verkehrswende-Blockierer vornehmlich der CDU, aber auch in Teilen der SPD ein“.

An dem Verfahren zur Trassenfindung war das Bezirksamt seinerzeit beteiligt worden und hatte keine Einwände erhoben. Auf Anfrage der taz sagte Stadtrat Schruoffeneger am Mittwoch jedoch, man beziehe sich auf ein aktuelles Gutachten der BVG. Dieses weise zwar nur einige Bäume aus, die der Trasse ganz sicher weichen müssten, aber auch etliche andere, die der Tram potenziell im Weg stünden. Dass eine neue Streckenführung die Planung zurückwerfe, sehe er auch, aber: „Wenn es zum Planfeststellungsverfahren kommt, wird jemand klagen – und dann ist das Ganze zum Scheitern verurteilt.“

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