Objekttheaterfestival in Leipzig: Vom Mut, weiter Kunst zu machen
Beim Objekttheaterfestival „Figure it out!“ im Leipziger Westflügel wurde der aktuelle Stand der internationalen künstlerischen Arbeit in politischen Krisen gezeigt.

Dass Objekte hier ungestört durch die Gegend fliegen können, passt auch bestens. Denn nur ein paar Schritte entfernt richtet das Figurentheaterzentrum Westflügel die neueste Ausgabe des Festivals „Figure it out“ aus. Auch da fliegen Objekte durch die Gegend. Spielfiguren etwa, die die Comic-Helden Asterix und Obelix in der Show „Superheroes“ verkörpern. In „Sesame“, einer indisch-deutschen Koproduktion entlang der Narrengeschichten des Till Eugenspiegel, tänzeln aus Draht gefertigte Kleinstpuppen hoch über den Köpfen des Publikums.
In „À la carte“ hingegen war es in erster Linie die Imaginationskraft des Publikums, die Geschichten und Gegenstände über Zeiten und Orte bewegte. Die israelische Puppenspielerin Inbal Yomtovian hatte dafür eine Karte angefertigt, die die Umrisse aller Objekte abbildete, die sich an einem bestimmten Tag auf ihrem Tisch befunden hatten.
Den Objekten waren Zahlen zugeordnet, die das Publikum aufrufen konnte und die zu Geschichten führten, die mit den Objekten verbunden waren. Ein Laptop war darunter, ein Notizheft, aber auch Schlüssel zu einer nicht mehr existierenden Tür. Die Schlüssel führten einst in ein Haus der Großeltern der Performerin. Es existiert schon lange nicht mehr. Aufgrund der Erzählungen in „À la carte“ erstand es aber vor dem inneren Auge von vielen Zuhörenden.
Schnell mitten in der Weltpolitik
Yomtovian berichtete auch von der Plantage von Zitrusfrüchten, die einst ihrem Vater gehörte und auf der viele Jahre lang palästinensische Arbeiter tätig waren. Im Zuge der Hamas-Attacke verloren sie aber ihre Arbeit – und ihr Vater die Arbeitskräfte, die die Ernte einbringen konnten. Ihr Vater gab deshalb den Zitronen- und Orangenhain auf.
Und weil es auch anderen israelischen Landwirten so geht, weil palästinensische Arbeiter*innen nicht mehr in gleichem Maße wie früher als Erntehelfer tätig sein können, seien an deren Stelle nun Arbeitsmigrant*innen aus Asien getreten, erzählte Yomtovian später der taz. „À la carte“ begann als unschuldig wirkendes Spiel, führte aber schnell mitten hinein in die Weltpolitik, in die verstörenden Kriegsszenarien an vielen Orten des Globus.
Die Frage danach, wie Kunst, wie internationale künstlerische Zusammenarbeit in Zeiten von Polarisierung und kriegerischer Konfrontation überhaupt noch möglich ist, beschäftigte dann auch das begleitende Symposium. „Der eigenen Fantasie vertrauen und einfach weitermachen“, lautete der Ratschlag von Paweł Chomczyk.
Gemeinsam mit seiner Partnerin Dagmara Sowa – beiden traten auch in der Gemeinschaftsproduktion „Superheroes“ mit dem Leipziger Figurentheaterduo Wilde & Vogel auf – baute Chomczyk in einem Wald im Osten Polens, ganz nahe der Grenze zu Belarus, das Kunstzentrum Solniki 44 auf. Im dortigen Wald, umgeben vom Gesang der Vögel, so nahe aber auch an einer der europäischen Konfliktzonen der Gegenwart, dass deutschen Besuchern schon mal die Reisewarnungen des Auswärtigen Amts in die Mobilgeräte gerieten, vertrauen Chomczyk und Sowa eben der Kraft ihrer Fantasie.
Das Publikum für Proteste gegen Kürzungen mobilisieren
Das gab Mut. Wie auch der Bericht der kolumbianisch-argentinischen Künsterin Omayra Martínez Garzón. Denn als eine Strategie zur Rechtfertigung künstlerischer Arbeit auch in Zeiten größter Krisen wiesen mehrere Teilnehmer*innen des internationalen Symposiums auf die Notwendigkeit hin, das eigene Publikum für Proteste gegen Kürzungen stärker zu mobilisieren.
„In Argentinien sind die Menschen es gewohnt, gegen Maßnahmen der Regierung auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Mit unserem Lambe Lambe Theater gehen wir auch zu den Leuten. Wir können uns auf Marktplätzen, vor Kirchen, auf der Straße, überall eben aufbauen, und wir erreichen die Menschen in ihrem Alltag“, meinte Martínez.
Diesen Sprung nach draußen muss der Westflügel noch wagen, etwa zu den Mädchen hin, die nur ein paar Flaschenwürfe entfernt Bierball spielten. Die internationale Vernetzung, vom indischen Bangalore über das polnische Białystok bis hin nach Buenos Aires, ist bemerkenswert. Auch Nachwuchsförderung, etwa durch eine Sommerakademie, gehörte zum Festivalprogramm.
Und immerhin sehr einladend ist die Atmosphäre in dem ehemaligen Ballhaus, das zu DDR-Zeiten eine Ofenrohrfabrik war und sich den postindustriellen Charme der 1990er noch bewahrt hat. Hier macht sich die einzigartige Konstellation bezahlt, dass Compagnien wie Wilde & Vogel weiterhin im Haus produzieren, es durch ihre Projekte auch prägen, und parallel ein durch die Stadt Leipzig und das Land Sachsen unterstütztes Gastspiel- und Festivalprogramm möglich ist.
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