Oberbürgermeisterwahl in Potsdam: Ein cooler Moderator
Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs muss in die Stichwahl gegen Hans-Jürgen Scharfenberg von der Linken. Der hat keine Chance
Kurz nach 19 Uhr reckt Jann Jakobs (57) beide Daumen nach oben. Ich habe es gepackt, lautet die Botschaft seiner Geste - jetzt schon gepackt, obwohl noch eine Stichwahl nötig sein wird. Die Genossen, die am Sonntagabend nach der Wahl zum Potsdamer Oberbürgermeister in die SPD-Geschäftsstelle gekommen sind, sehen das genauso. "Das 41er Ergebnis ist super, es wird reichen für Jann und eine zweite Amtszeit als OB", glucksen im Vorgarten die SPD-Raucher mit Weißweinschorle. Klar ist: OB-Konkurrent Hans-Jürgen Scharfenberg (Die Linke) hat mit seinen 33,1 Prozent nicht den Hauch einer Chance. Darauf Prost.
Dass Jakobs in der Folge des Abends den Ball flach zu halten sucht, ist Rhetorik. Es werde bis zur Stichwahl ein "hartes Stück Arbeit", mobilisiert der amtierende Oberbürgermeister. Doch nonverbal signalisiert Jakobs, dass die Wahl gelaufen ist. Entspannt und lässig, mit offenem Hemdkragen, nimmt Jakobs später im Rathaus Scharfenberg beiseite und macht ein paar Späßchen mit ihm. Wer der Gewinner am 3. Oktober sein wird, weißt du genau, sagt seine gesamte Körpersprache: "Nämlich ich."
An Coolness hat es Jakobs in seinen acht OB-Jahren nie gemangelt. Jetzt steckt auch gelebtes Selbstbewusstsein dahinter. Unter ihm ist Potsdam zur Boomtown avanciert, und der OB hat ein beachtliches Standing in der Stadt - rechts wie links.
Als Jakobs 2002 die Amtsgeschäfte von Matthias Platzeck übernahm, "wunderten" sich in der SPD doch einige über ihn, wie es damals Regine Hildebrandt ausdrückte. Sie hielten Platzecks Schuhe für den zurückhaltenden Ostfriesen, der 1993 ins barocke Arkadien gekommen war, für zu groß. Die Oberbürgermeisterwahl gewann Jakobs dann auch mit gerade mal 122 Stimmen Vorsprung vor Scharfenberg. In der Politik machte der Neue anfangs reichlich Miese: 2003 ging die Kulturhauptstadt-Bewerbung daneben, 2004 kappte die Bahn den ICE-Haltepunkt Potsdam. Die Wirtschaftskraft der Stadt stagnierte, Wohnraum stand leer, Potsdam hatte ein Neonaziproblem. Jakobs verlor darüber nicht die Nerven. Der "sanfte Bürgermeister", wie die Lokalpresse den Parteilinken taufte, behielt sie, krempelte die Ärmel hoch und gab den Moderator.
Potsdams Reiche, Mächtige und Schöne ärgerte er nicht, er setzte auf Partizipation, auch finanzielle. Teile der Plattenbauten und der Altstadt wurden saniert, an der Autobahn wurde Lärmschutz errichtet. Die Arbeitslosenquote sank auf 9 Prozent, in Berlin und im Land Brandenburg liegt sie bei 17 Prozent.
Trotz Sanssouci und alten Gemäuers warb Jakobs dafür, dass Familien mit Kindern in die Stadt ziehen. Kitas wurden gebaut, die Hochschulen erweitert. Als Kontrapunkt zu den Schlössern und Gärten baute Jakobs den Kultur- und Wirtschaftsstandort Schiffbauergasse aus.
Nur 2006 war ein wirklich kritisches Jahr für den OB. Nach dem Baustopp für ein neues Stadtbad kassierte er bei der Abstimmung über die Schlossrekonstruktion im Rathaus die zweite Niederlage. Scharfenberg forderte den OB zum Rücktritt auf. Auch Matthias Platzeck nannte den Beschluss "verheerend" - womit Jakobs gemeint war. Aus der Ruhe brachte ihn das nicht. Er sehe "keinen Anlass, einen Rücktritt in Erwägung zu ziehen", sagte er damals der taz.
Jakobs zog schlau die Fäden, 2007 wurde das Stadtschloss-Njet per Volksabstimmung gekippt. Seither darf sich Jakobs auch rühmen, die einzige ostdeutsche Stadt mit Bevölkerungswachstum zu führen. Das kommt gut an in der Residenz im Schatten Berlins - der Stadtschulte als Motor und Integrator der Stadtentwicklung. "Die Stadt für alle", lautete sein Wahlslogan. Was auch meint: Wenn einer den Streit über die Nutzung der Uferwege in Babelsberg schlichtet, dann nur ein OB Jann Jakobs.
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