Obdachlosigkeit: Leere kleine Häuser

taz-Serie „Was macht eigentlich …“: In Friedrichshain-Kreuzberg stehen mehrere Wohnboxen für obdachlose Menschen. Aber das Projekt liegt auf Eis.

Little Homes , auch Wohnbox genannt

Little Homes: Seit Wochen sind sie leer und verschlossen Foto: Clara Zink

BERLIN taz | Die Holzhütten bieten 3,20 Quadratmeter Platz und stehen auf Europaletten. Jede Hütte enthält eine Matratze, ein Regalbrett, einen Feuerlöscher und ein Erste-Hilfe-Set. Gerade jetzt könnten diese kleinen Wohnboxen wieder Menschen vor Kälte schützen, die nirgendwo anders unterkommen können oder wollen. Drei davon stehen auch schon seit Anfang des Jahres am Ostbahnhof, und im Sommer kamen drei weitere am Mariannenplatz dazu.

Nur: Seit Wochen sind sie leer und verschlossen. Grund dafür ist vor allem ein Streit zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dem Verein Little Home e. V., der die Boxen zur Verfügung stellt.

Ins Leben gerufen wurde das Projekt „Safe Place“ vom Bezirk – mit dem Ziel, wohnungslosen Menschen existenzielle Sicherheit, einen Rückzugsraum und Schutz vor „schwierigen Witterungsbedingungen und gewalttätigen Übergriffen“ zu bieten. So steht es im Konzeptpapier vom Januar 2023. Dafür sollen die verschließbaren Holzhäuser „an vertrauten Orten“ der potenziellen Nutzer*innen“ aufgestellt werden.

Besonders viel Wert wird auf das sozialpädagogische Personal gelegt, das die Be­woh­ne­r*in­nen im Rahmen des Projekts bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen soll. Langfristig soll den Menschen so eine Wiedereingliederung ins Regelsystem ermöglicht werden.

Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb fragen und haken wir noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich …?“ rund um den Jahreswechsel 2023/24 erzählen wir einige Geschichten weiter.

Eine kleine Oase

Als Kooperationspartner nennt das Konzeptpapier den Little Home e. V., der 2016 von dem Restaurantfachmann Sven Lüdecke in Köln gegründet wurde. Seither gingen der Verein und sein Gründer durch die Medien: Die Wohnboxen sollen Menschen übergangsweise ein Dach über dem Kopf bieten, als „kleine Oase auf dem Weg zur weiteren Resozialisierung“ wird sie auf der Homepage des Vereins bezeichnet. Über 130 Menschen sollen laut Verein dadurch mittlerweile wieder festen Wohnraum gefunden haben. Deutschlandweit stehen Little Homes in über 24 Städten.

Auch im Rahmen des Safe-Place-Projekts in Friedrichshain-Kreuzberg sind die Wohnboxen als Übergangslösung gedacht: „Die Konzeption geht von einer Dauer von zwei Jahren aus“, sagt Oliver Nöll (Linke), Sozialstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. „Danach streben wir eigentlich die Vermittlung in regulären Wohnraum an.“

Das Projekt sollte weiter ausgebaut werden, bereits im Januar wurde in einem „Letter of Intent“ die Zusammenarbeit mit Neukölln angekündigt. Umgesetzt wurden diese Pläne bisher nicht. Tatsächlich liegt das Projekt nach nicht einmal einem Jahr wieder auf Eis.

Dabei lief es nach Meinung des Sozialstadtrats zunächst gut an. Zwar habe keine der Personen, die in den Little Homes untergekommen sei, bislang in eine eigene Wohnung vermittelt werden können. Jedoch sei es gelungen, alle mit Regelleistungen nach den Sozialgesetzbüchern I und XII zu versorgen, also im Bereich der Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. „Außerdem konnten alle Be­woh­ne­r*in­nen krankenversorgt und bei Amtsangelegenheiten unterstützt werden“, so Nöll.

Rote Karte bei Regelverstoß

Auch Sven Lüdecke spricht von einem guten Start. Anfangs sei man mit den So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen sowie den Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Sozialamts gut zurechtgekommen, und das Projekt sei gut angenommen worden. Der Little Home e. V. verschenkt die Wohnboxen an ihre Bewohner*innen, behält sich aber vor, im Falle von Regelverstößen gelbe und rote Karten zu verteilen und den Schenkungsvertrag unter Umständen aufzuheben. Sowohl in dem Vertrag als auch in der Hausordnung des Vereins sei das so festgehalten, erklärt Lüdecke.

Im Sommer dieses Jahres sei es dann zu einem solchen Regelverstoß gekommen: Eine Person soll aus ihrer Wohnbox heraus uriniert haben. Für Lüdecke ist die Situation nach diesem Vorfall „gekippt“. „Nachdem die Sozialarbeiter nicht reagiert haben, haben wir die rote Karte ausgegeben und das Haus verschlossen“, sagt er. Über den Menschen, dem der Schenkungsvertrag seiner Wohnbox entzogen wurde, sagt er: „Wir haben beim Bezirk von Januar bis Juni nachgefragt, was mit dieser Person passiert ist? Außer persönlichen Gesprächen wurde aber nichts erreicht.“

Stadtrat Nöll bewertet den Vorfall anders: Das Verhalten des Bewohners sei etwas, „womit man rechnen muss in diesem Personenkreis, der jahrelang auf der Straße gelebt hat. Der Verein war hier aber der Meinung, man müsse den Menschen sofort rauswerfen.“

Von Lüdecke komme der Vorwurf, das Sozialamt packe die Be­woh­ne­r*in­nen in Watte, sagt Nöll: „Er hat da eher den Ansatz, man müsse die Menschen – ich zitiere wörtlich – ‚mit harter Hand anfassen‘. Dem haben wir nicht zugestimmt und in diesem Zuge kam es zu den Verwerfungen.“ Auch unter den Be­woh­ne­r*in­nen habe die Situation für Unruhe und Unsicherheit gesorgt, sagt Nöll. Eine Person habe ihre Wohnbox am Ostbahnhof im Zuge des Konflikts verlassen.

In der Wohnungslosenhilfe umstritten

Der sozialpolitische Ansatz, der den Wohnboxen zugrunde liegt, ist in der Wohnungslosenhilfe umstritten. In einem Positionspapier aus 2019 kritisiert beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die Etablierung von Tiny Houses als Antwort auf mangelnde Wohnraumversorgung: Sie befürchtet, dass auf diese Weise gerichtlich bestätigte Mindeststandards für die Unterbringung wohnungsloser Menschen unterlaufen werden und ein Zwei-Klassen-System des Wohnens entstehen könnte.

Projekte wie Little Home fänden bei wohnungslosen Menschen nicht etwa Anklang, „weil die ‚Little Homes‘ so großartig sind, sondern weil die Alternativen dazu ziemlich beschissen sind“, sagt Stefan Schneider, Geschäftsführer der Wohnungslosen Stiftung, die sich für die Selbstorganisation wohnungsloser Menschen einsetzt. Man müsse sich selbst fragen: Würde ich in so einer Hütte wohnen wollen? „Du würdest wahrscheinlich sagen: ‚Nee, kann ich mir nicht vorstellen.‘“ Aber für obdachlose Menschen sei es dann offenbar doch gut genug.

Natürlich gehe es auch darum, eine sinnstiftende Struktur für diese Personen zu finden, sagt Schneider. „Aber ich würde immer sagen: Eine Wohnungslosenhilfe muss mit einer Wohnung anfangen.“

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