Obdachlosigkeit in Berlin: „Die Räumung musste nicht sein“

Das Obdachlosen-Camp am Mariannenplatz wurde vom Bezirk geräumt. Lutz Müller-Bohlen von der Sozialgenossenschaft Karuna kritisiert das Vorgehen.

Warum? fragt dieser Bewohner des Camps am Mariannenplatz nach dem Grund der Räumung Screenshot: Karuna Sozialgenossenschaft

taz: Herr Müller-Bohlen, am Freitag wurde das Obdachlosen-Camp am Mariannenplatz geräumt. Sie waren dort mit der Sozialgenossenschaft Karuna lange aktiv und kennen die Leute. Musste die Räumung sein?

Lutz Müller-Bohlen: Aus meiner Sicht nicht. Es gibt ja einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, alternative Flächen zur Verfügung zu stellen, und das war bis vor wenigen Wochen auch Konsens.

Dass man erst andere Flächen sucht, die man den Obdachlosen anbieten kann?

Es gab einen Plan für die Flächen um die Thomas-Kirche herum, der mit allen Beteiligten – von der Kirche, über das Grünflächen-Amt bis zur Polizei – abgesprochen war. Der Plan sah vor, dass die Obdachlosen einmal die Woche ihre Zelte umstellen müssen, um Grünflächenpflege zu ermöglichen. Das fand ich ein tragfähiges Vorhaben. Aber das ist vom Bezirk wohl wieder aufgehoben worden. Zu einem späteren Zeitpunkt, als wir von Karuna uns ein Stück weit zurückgezogen hatten, weil der Bezirk dann das Diakonische Werk beauftragt hatte, mit einem Streetworker den BewohnerInnen die Entscheidung des Bezirks zu übermitteln. Wir wollten uns da nicht weiter einmischen.

Warum dieser Plan nicht umgesetzt wurde, wissen Sie nicht?

Nein, wir sind selber von der Räumung überrascht worden. Ich habe erst Donnerstag Abend von einem der Bewohner davon erfahren, der wiederum auch erst am Donnerstag durch einen Zettel am Zelt davon erfahren hat. Wir waren dann Freitag Morgen präsent und haben mit unserer Buslinie vier Obdachlose zu anderen Plätzen gefahren.

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) verteidigte am Montag die Räumung: „Wildes Campen in öffentlichen Grünanlagen ist nicht gestattet.“ Auch habe es zunächst „Hilfsangebote und Informationen zu alternativen Übernachtungen“ durch den Bezirk gegeben. Nach einer „ausreichenden Übergangszeit“ sei geräumt worden.

Am Freitag hat der Bezirk das Camp am Mariannenplatz geräumt. Betroffen waren laut Karuna 15 Zelte. Laut einem Bewohner, mit dem die taz gesprochen hat, hing an seinem Zelt einen Tag vorher ein Info-Zettel. In einem Youtube-Video von Karuna erklären mehrere BewohnerInnen, mit ihnen habe niemand vom Bezirk vorher über Hilfen oder Alternativen gesprochen. (Sum)

zu welchen?

Verschiedene Orte im Bezirk, wo sie übergangsweise ihr Zelt aufschlagen können. Wir bleiben in Absprache mit dem Bezirk mit den Leuten in Kontakt und versuchen längerfristige Orte für sie zu finden.

Was haben Ihnen die BewohnerInnen erzählt?

Alle haben gesagt, dass sie von der Ankündigung am Donnerstag überrascht worden seien. Darunter waren auch polnische Landsleute, die kein Deutsch sprechen, aber nicht nur. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit bekommen hätten, um die Sache zu klären und andere Lösungen zu finden. Es wäre nicht zwingend gewesen jetzt zu räumen.

57, leitet die Buslinie Karuna-Mobil, die täglich bekannte Obdachlosen-Treffs abfährt und die Menschen auf Wunsch irgendwo hin fährt.

Hintergrund des Bezirksbeschlusses, alternative Flächen für wilde Camps zur Verfügung zu stellen, ist die Idee des Senats, „safe places“ für Obdachlose einzurichten – Orte mit sozialen Angeboten, die eben nicht geräumt werden. Glauben Sie, das könnte die Lösung sein?

Wir von Karuna sind ja starke Verfechter dieser Idee. Aber diese Flächen sind nicht leicht zu finden. Und sie müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, etwa was Wasser, was Toiletten anbelangt. In Seattle, wo sich unser Chef das angesehen hat, müssen die Obdachlosen zum Beispiel nach drei Monaten den Platz wechseln. Man muss auch verhindern, dass in dieser Zeit aus 10 Zelten 30 werden – wie in der Rummelsburger Bucht zum Beispiel. Das wilde Camp ist ja inzwischen auf rund 100 Leute angewachsen.

Könnte die Bucht theoretisch so ein safe place sein?

Nein. Die fangen jetzt hier an mit Schachtarbeiten, um Fernwärme zu legen. Und irgendwann soll hier gebaut werden. Das macht die Situation für die BewohnerInen höchst dramatisch. Alle haben Angst, wohin sie dann gehen sollen. Wir sitzen gerade zusammen, überlegen, was zu tun ist. Ich denke, dass die BewohnerInnen bald eine Resolution mit Forderungen beschließen werden.

Auch die Obdachlosen, die seit Monaten am Bahnhof Lichtenberg campieren, sind selbst beim Bezirk vorstellig geworden. Was wollen sie?

Sie sind im Gespräch mit dem Bürgermeister, haben eine Liste mit Flächen vorgelegt, wo sie sich vorstellen können zu leben – und wo es eben nicht zu Konflikten mit AnwohnerInnen kommt, weil es nicht so ein Hotspot wie der Bahnhof ist. Das ist wunderbar, wenn die Leute selber anfangen sich Gedanken zu machen, wie sie ihre Situation ändern können.

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