piwik no script img

ObdachloseIn der Kälte alleingelassen

Sämtliche Notunterkünfte sind wegen des Wintereinbruchs überfüllt. Auf Druck von Sozialverbänden und Opposition stellt die Stadt nun weitere Schlafplätze bereit.

Schlafen aus Angst lieber draußen: Obdachlose, hier bei den Landungsbrücken. Bild: dpa

Den meisten reicht schon der morgendliche Weg zur Arbeit, um über die Eiseskälte zu murren. Grundlos, bedenkt man, dass einige in dieser Kälte sogar draußen schlafen müssen. Weil in Notunterkünften kein Platz mehr ist, stehen Obdachlose nachts derzeit oft vor verschlossenen Türen. Die Sozialbehörde stellte im Rahmen eines Winternotprogramms zwar zusätzliche Schlafplätze bereit, dennoch ist die Situation für Obdachlose kritisch. "Dieser Mangel ist aber lange nicht das einzige Problem", sagt Michael Edele von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg.

Als Geschäftsführer des Dachverbandes der Hamburger Sozialverbände sieht Edele die Unterbringung von Obdachlosen in Mehrbettzimmern als risikoreich an: "Unter den Obdachlosen finden sich viele Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Diese gemeinsam unterzubringen ist für sie und für ihre Zimmergenossen gefährlich." Das Problem des Mangels an Schlafplätzen bestehe bereits seit letztem Sommer, das Notprogramm bräuchte man schon, um den Andrang bei normalen Witterungsbedingungen zu bewältigen. Verschärft würden die Probleme außerdem durch die Wohnungsnot, derzeit platzten die Notunterkünfte aus allen Nähten. Edele findet, die Behörde reagiere zu langsam und fordert von der Stadt, nachts öffentliche Räume wie Turnhallen und U-Bahnschächte zu öffnen.

Stephan Karrenbauer vom Straßenmagazin Hintz & Kuntz sieht noch einen weiteren Punkt, an dem es brenzlig wird. "Bei den Obdachlosen gibt es viele Vorurteile gegen diese Notunterkünfte. Von Gewalt untereinander ist da die Rede, auch von Drogenkonsum auf den Mehrbettzimmern. Viele finden das zu gefährlich und schlafen daher tatsächlich lieber draußen", sagt der Sozialarbeiter. In dieser Situation noch mehr Betten in den Zimmern aufzustellen, schrecke im Zweifelsfall Wohnungslose ab, die sich im Moment noch in die Notunterkünfte trauten. Besser wäre es zum Beispiel, Hotelzimmer anzumieten.

Das Winternotprogramm

Bis zum April 2011 stellt die Stadt dauerhaft 200 zusätzliche Schlafplätze zu Verfügung.

94 Plätze stellen Kirchengemeinden bereit.

In der Sportallee sind in einer Notunterkunft weitere 100 Betten aufgestellt.

Obdachlose Frauen können in Wohncontainern bei der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) sowie im "Frauenzimmer" übernachten.

Reguläre Anlaufstation für obdachlose Männer ist die Übernachtungsstätte "Pik As" mit 190 weiteren Schlafplätzen.

Im "Hamburg-Journal" des NDR behauptete Julia Seifert, Sprecherin der Sozialbehörde, die hohen Auslastungen der Notunterkünfte seien normal und bauten sich auch wieder ab. Als "tödliche Ignoranz" bezeichnete Joachim Bischoff von der Linkspartei die Einstellung der Sozialbehörde, SPD-Politikerin Ksenija Bekeris beurteilte die Äußerungen als "problemfremd" und "zynisch".

Inzwischen reagierte die Sozialbehörde. Sozialsenator Dietrich Wersisch (CDU) gibt ab dem heutigen Freitag den Tiefbunker am Hachmannplatz unter dem Hauptbahnhof als Notunterkunft frei. In der ersten Nacht wird hier für 30 weitere Personen Platz sein. In Zukunft können dort in Einzelzimmern bis zu 300 Menschen unterkommen, sagte Wersisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • WB
    Wolfgang Banse

    Obdachlosigkeit beheben

    Die Würde des Menschen ist unantastbar,dies trifft auch für Menschen ohne Obdach zu.

    Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe sollten im Alltag zum tragen kommen,was das Anbieten eines Daches über den Kopf betrifftohne Fremdleistungen,was die Kältehilfe betrifft,durch die Bezirksämter.

    Eine Gesellschaft zeigt sich dann sozial,wenn sie die Schwächsten mit ihrem Schicksal nicht allein überläßt.

    Jede und jeder ist nicht davon gefeit auch nicht Obdachlos zu werden.Man kommt schnell in die Obdachlosigkeit herein,nur nicht schnell wieder daraus.

    Nicht den Sozialarbeitern den Obdachlosen überlassen,sie auf einen Verschiebebahnhof zu übergeben,sondern jede und jeder einzelne ist gefordert,einen Beitrag zu leisten,im Bezug auf die Behebung der Obdachlosigkeit.

    Wolfgang Banse

  • RW
    Ralf Wünsche

    In welchem Lande leben Wir hier eigentlich ?

     

    " Christliches Abendland ?

     

    Wie ist das mit einer garantierten Menschenwürde ?

     

    Für dieses Land und eine deutsche Mehrheitsgesell-

    schaft darf sich nur schämen !

  • DB
    Dominik Braun

    In Hannover ist es so, dass U-Bahn Stationen die sonst geschlossen sind, ausnahmsweise offen gelassen werden. So müsste man das auch in Hamburg regeln. Definitiv sollten Transporter unterwegs sein und nach Obdachlosen ausschau halten und zumindest Decken verteilen und gezielt Einladungen für Unterkünfte aussprechen um ins Gespräch zu kommen um möglicherweise auch Vorurteile gegen diese Unterkünftige abzubauen. Desweiteren sollte selbstverständlich geprüft werden ob in Ausnahmefällen die Unterbringung in Einzel-Unterkünften möglich ist. Dabei halte ich die Idee mit den Hotels für garnicht mal so abwegig. Die werden doch jetzt dank der Bundesregierung sowieso entlastet, dann können die der Gesellschaft doch durchaus mal etwas zurückgeben.

     

    Kostenlose Hotelzimmer für Obdachlose. Das rettet leben und kommt in der Öffentlichkeit bestimmt sehr gut an.

     

    Dominik Braun

    DIE LINKE

  • T
    torben

    Wenn der Senator den Atombunker unterm Hauptbahnhof meint, so muß angemerkt werden, dass da zwar 30 Menschen hineinpassen, es dort aber definitiv keine Einzelzimmer gibt.

    Dies läßt sich leicht nachprüfen, der Schlüssel hängt in der Polizeiwache.