: Oasen der Lebendigkeit
■ Studentische Cafés: Hier ist das wahre Unileben, hier beginnen politische Karrieren
Semesterbeginn. Scharen von StudienanfängerInnen irren durch das Labyrinth Hochschule. Wo ist der Seminarraum? Welche Kurse muß ich belegen? Bin ich zu blöd, oder geht es anderen genauso?
Auch mir stellten sich diese Fragen, als ich mein Studium vor einigen Jahren an der Freien Universität (FU) begann. Antworten bekam ich weder von den Profs, noch fand ich sie im Vorlesungsverzeichnis. Die Vermittlung studentischen Geheimwissens findet anderswo statt. Als ich mich zum ersten Mal in ein buntbemaltes Häuschen hinter dem Hauptgebäude traute und auf einem versifften Sperrmüllsofa den Humorforschungstheorien eines reichlich durchgeknallten Philosophiestudenten lauschte, ahnte ich: Die Uni besteht aus mehr als den Hörsälen.
Es gibt sie fast an jedem Fachbereich: die studentischen Cafés. Hier spielt sich das studentische Leben ab. Wer neu an der Hochschule ist, findet Anschluß. Ein paar Stunden in einem Café können mehr bringen als jede zwangsverordnete Studienberatung. Ältere Studierende geben Tips zum Studium, Lehrveranstaltungen werden kritisiert, die letzten Geheimnisse der Hochschule gelöst (zum Beispiel, warum alle Bücher aus der UB auf Seite 48 gestempelt sind). Sie fördern die Interdisziplinarität. Seit ich mich in den Cafés herumgetrieben habe, weiß ich, daß man am politikwissenschaftlichen Institut afrikanische Zeitungen lesen kann oder was ein Physikerfrühstück ist.
Und natürlich die Politik. Viele politische Karrieren begannen mit scheinbar harmlosen Diskussionen bei Kaffee und Bier. Plötzlich landet man im Fachbereichsrat oder im StudentInnenparlament. Zu Streikzeiten mutieren die Cafés zu Protestzentralen, wo Flugblätter geschrieben, Demos vorbereitet, Krisensitzungen abgehalten werden.
Gerade deshalb betrachten Hochschulleitungen die „studentischen Kommunikationsräume“, wie sie offiziell heißen, manchmal mit Argwohn. Viele Räume konnten der Verwaltung erst im Zuge solcher Auseinandersetzungen abgerungen werden. Bei „mißbräuchlicher Nutzung“ droht die Schließung. Damit ist zwar kurzfristig ein Ärgernis beseitigt, langfristig aber ein Stück Kultur an der Hochschule zerstört.
Studentische Cafés sind Oasen der Lebendigkeit. Interessante Wandbemalungen und skurrile Möbelansammlungen bringen Abwechslung in die funktionale Hochschularchitektur. Studierende machen hier die Hochschule zu einem Teil ihrer Lebenswelt. Wer ein Café neu streicht, sich um die Kaffeevorräte oder den Abwasch kümmert, übernimmt Verantwortung für seine Hochschule, identifiziert sich letztlich mit ihr.
Das eingangs erwähnte buntbemalte Häuschen, das „Schweinemensa“ genannt wurde, ließ die Unileitung ein Jahr später unter Polizeischutz abreißen. Es werde nicht mehr gebraucht. Ulrike Gonzales
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