OECD-Studie: Deutschland gehen die Ingenieure aus
Misst man den Anteil an Hochqualifizierten, schneidet Deutschland schlecht ab. Die OECD empfiehlt, nicht nur auf die Akademiker zu starren, sondern allen die Möglichkeit zum Aufstieg zu geben.
Am Ende des Tages hagelte es verzweifelte Vorschläge. Die Bildungssprecherin der Unions-Fraktion, Ilse Aigner, will mehr Frauen für Technik begeistern. Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Hans-Peter Meidinger, wünscht, sich mehr um die Studienabbrecher zu kümmern. Und Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) rief einen "Bildungsherbst" aus. Bund und Länder müssten jetzt umgehend über Strategien nachdenken, um mehr junge Leute an die Hochschulen zu bringen.
Das war die Reaktion auf etwas, das die Bildungsforscher der OECD nun seit Jahren vortragen: einen gravierenden Akademiker- und Ingenieursmangel in Deutschland. Gestern wiederholten sie den Befund, der sich in einem Satz zusammenfassen lässt: "In den Ingenieurwissenschaften ist die Absolventenquote unter das Niveau der Bestandssicherung gefallen." Das heißt, das Land ist nicht mehr in der Lage, Ingenieure, die demnächst in Rente gehen, durch junge Absolventen zu ersetzen.
"Bildung auf einen Blick" heißt die Studie der OECD, und die Statistiker aus Paris haben sich diesmal einen neuen Dreh ausgedacht, damit der Mangel begreifbar wird: Sie vergleichen den Anteil der Akademiker in den Altersgruppen der über 25- und über 55-Jährigen. Da steht Deutschland dann schön blöd da: Auf 100 vor der Pensionierung stehende Ingenieure kommen hierzulande nur 90 Berufsanfänger - im OECD-Durchschnitt sind es aber 190. Und auf 100 aussteigende Lehrer folgen hier gar nur 60 Neueinsteiger.
Anders als anderen Ländern ist es Deutschland damit bisher nicht gelungen, den Mangel an akademischen Fachkräften bildungspolitisch zu beheben. Den Jahresbericht der "Organisation for Economic Co-Operation and Development", kurz OECD, der neben 23 europäischen Ländern die USA, Kanada, Japan, Australien und Südkorea angehören, stellte OECD-Generalsekretär Angel Gurria vor.
Dabei hatte die OECD richtig gute Nachrichten dabei: Die Nachfrage nach Bildung wächst. Und Bildung lohnt sich - das sind die Kernaussagen des Reports. Höher Qualifizierte verdienen im Durchschnitt um die Hälfte mehr und sind seltener arbeitslos als Geringqualifizierte. Auch hier steigen die Zahlen der Studienanfänger: Während 1995 noch 26 Prozent eines Jahrgangs studierten, waren es 2005 bereits 36 Prozent. Allerdings lohnt auch hier der Blick über die Grenzen. Denn im OECD-Durchschnitt stieg deren Anteil im gleichen Zeitraum von 37 auf 54 Prozent.
Deutschland hinkt also in der internationalen Bildungsentwicklung immer noch hinterher. Und es sind die bekannten Faktoren, welche die OECD zur Erklärung heranzieht: Zu sehr bestimmt in Deutschland die soziale Herkunft über den Bildungserfolg, zu früh werden SchülerInnen auf unterschiedliche Oberschulformen verteilt. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien würden häufig an Schularten mit niedrigem Leistungsniveau verwiesen, kritisierte OECD-Generalsekretär Angel Gurria bei der Vorstellung des Berichts. Die Folge: Nur 16 Prozent der Studierenden in Deutschland hätten "einen Vater, der Arbeiter ist", so Gurria. Dagegen finden sich unter den Studierenden mehr als doppelt so viele Akademikerkinder wie in der Gesamtgesellschaft. Auffällig ist in Deutschland, wie wenig sich junge Menschen offenbar von einem Studium versprechen: Nur 21 Prozent der fünfzehnjährigen Deutschen halten eine Hochschulausbildung für sich für wünschenswert. Im OECD-Mitgliedsland Südkorea sind es 80 Prozent. OECD-Generalsekretär Gurria hält diese niedrige Quote für "besorgniserregend".
Denn die Daten zeigen auch, wie positiv sich steigende Bildung auf die gesamtwirtschaftliche Lage einer Gesellschaft auswirkt. Während sich in Deutschland die Arbeitslosigkeit unter Geringqualifizierten zwischen 1991 und 2005 von 7,4 auf 20,2 Prozent fast verdreifachte, sank sie in den Ländern, in denen die Zahl hochqualifizierter Arbeitskräfte zunahm.
Bei aller Kritik, die der Report beinhaltet, fand Angel Gurria auch lobende Worte: Deutschland habe sich als ein für die OECD-Diagnosen "überaus empfängliches Land gezeigt", sagte er. Es habe sich "den Herausforderungen, vor denen das deutsche Schulsystem im Hinblick auf Chancengerechtigkeit steht, in beispielhafter Weise gestellt".
Ganz so positiv sehen das freilich nicht alle. "Das Bildungshaus brennt an allen Ecken und Kanten", sagte die Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestages, Ulla Burchardt, SPD. Es sei an der Zeit ist, dass die Bundesregierung endlich entschiedene Maßnahmen ergreife. "Es reicht nicht, die Bildungsforschung zu intensivieren", sagte Burchardt und spielte damit auf die einzige Methode an, mit der Annette Schavan den Akademikermangel bisher bekämpft habe. Die Bildungsministerin ist am Zug, sagte Burchardt. "Das Parlament wartet darauf."
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