piwik no script img

Nutzung von OnlineplattformenAltersgrenze für Social Media? In der Wissenschaft umstritten

Die Politik diskutiert, Apps wie Tiktok und Instagram gesetzlich erst ab 13, 14 oder 16 Jahren zu erlauben. Forscher:in­nen warnen vor einer dünnen Faktenbasis.

Unter 16 und auf Social Media unterwegs? Das würden einige Po­li­ti­ke­r:in­nen gerne verhindern Foto: vPlainpicture

Berlin taz | Die Forderungen nach einer Altersgrenze für die Nutzung von Social-Media-Plattformen werden lauter – doch in der Wissenschaft ist umstritten, ob so ein Verbot sinnvoll wäre. Und es gibt Zweifel an der Umsetzbarkeit.

Auch wenn in der politischen Diskussion gerne behauptet werde, dass man gute Erfahrungen mit Social-Media-Altersgrenzen gemacht hätte – entsprechend umgesetzte Verbote gebe es bisher nicht, sagte Stephan Dreyer, Medienrechtsexperte vom Leibniz-Institut für Medienforschung bei einem Briefing des Science Media Centers. Dazu komme: „Deutschland kann mit deutschem Recht nur Anbieter aus Deutschland oder aus dem außereuropäischen Ausland regeln.“ Die Plattformen, um die es bei der Debatte geht, wie Tiktok oder Meta mit Facebook und Instagram, haben ihren EU-Sitz allerdings in Irland. Es bräuchte also, wenn, eine europäische Lösung.

Den Anstoß für die Debatte gab Australien, das im vergangenen Jahr eine Altersgrenze von 16 Jahren beschlossen hatte. Umgesetzt ist diese aber noch nicht, da noch geklärt werden muss, wie das Alter der Nutzenden nachgewiesen werden soll. Im Juni forderte nun Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) eine Altersgrenze.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov sprachen sich in der vergangenen Woche mehr als 70 Prozent der Menschen in Deutschland für ein Mindestalter aus. Bei der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen lag die Zustimmungsquote immer noch bei 65 Prozent. Klar dagegen positioniert hat sich etwa der Deutsche Lehrerverband. Verbandspräsident Stefan Düll nannte die Idee „realitätsfern und auch nicht sinnvoll“.

Junge Menschen in der Krise

„In der Tat erleben wir eine globale Krise der psychischen Gesundheit von jungen Menschen weltweit“, sagte Isabel Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe Internetnutzungsstörungen vom Universitätsklinikum Tübingen bei dem Briefing. Allerdings seien die Einflüsse vielfältig: Die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen könnten eine Rolle spielen, ebenso die Bedrohung durch den Klimawandel und globale Krisen.

Dass Kinder und Jugendliche aufgrund noch geringer Impulskontrolle weniger reflektieren könnten, wie sie sich sicher verhalten und ob bestimmte Inhalte oder Verhaltensweisen von anderen problematisch seien, das könne man zwar annehmen, so Brandhorst. „Aber die Forschung gibt das, wenn man ehrlich ist, nicht her.“ Und: Eine mangelnde Regulierung des eigenen Social-Media-Verhaltens sei auch bei Erwachsenen zu beobachten.

Dennoch spricht Brandhorst sich grundsätzlich für eine Altersgrenze aus. „Ich glaube, dass wir mit so einem Verbot auch eine Diskussion in der Gesellschaft anstoßen können und vielen Eltern Rückendeckung geben, die ihren Kindern Social Media mit einem äußert schlechten Bauchgefühl erlauben.“ Denn der soziale Druck sei da.

Wo bleiben die Rechte der Kinder und Jugendlichen?

Anne-Linda Camerini, die an der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften in Lugano forscht, ist da skeptischer: Durch Tabuisierungen könnten Angebote erst recht interessant und Verbote umgangen werden. Sie skizzierte einen Vorschlag jenseits einer Altersgrenze: Die Plattformen müssten deutlich stärker in die Pflicht genommen werden in Sachen Jugendschutz, zum Beispiel was Moderation und Löschung von Inhalten angeht.

Jurist Dreyer kritisiert, dass in der ganzen Debatte die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu kurz kommen. „Wir haben es bei gesetzlichen Totalverboten mit sehr signifikanten Eingriffen in die Grundrechte zu tun.“ Die Plattformen erfüllten „auch viele positive Merkmale, wenn es um Information, Kreativität, sozialen Austausch und so weiter geht“.

Auch Dreyer spricht sich daher für mildere Mittel aus: Plattformen könnten über ihre Algorithmen gegensteuern, wenn ein:e Nut­ze­r:in dort zum Beispiel immer politisch radikalere oder extrem körperschönheitsbezogene Inhalte konsumiere – und Alternativen anbieten. Als weitere Alternative zu einer Altersgrenze samt Verbot seien auch Basis-Accounts ohne potenziell problematische Funktionen denkbar, wie die direkte Kontaktaufnahme durch unbekannte Dritte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ist normal. Je dünner die Faktenlage desto lauter das Getöse, desto mehr plakaties Framing von 'Experten' die keine wirkliche Ahnung haben und jede noch so wenig aussagekräftige an den Haaren durch die Manege ziehen. Und desto schneller springt der Mob drauf an. So issues eben.

  • Es geht doch nicht um Kinder und Jugendliche. Wie will man denn 15 Jährige von 16 oder 17Jährige sicher unterscheiden?

    Das (vergebliche) Experiment versuchen sie ja gerade in Australien. Die bisherigen Versuche (bis Dezember haben die Antipoden dort ja noch Zeit) ist nicht gerade vielversprechend was das betrifft.

    Das funktioniert nicht - außer man nutzt zentrale Stellen wo sich alle über 16 zwangsweise registrieren müssen - mit entsprechendem Missbrauchspotential von Privatwirtschaft bis übergriffigen Staat welcher dann zuordnen kann wer hinter welchem Account steckt um bei missliebiger Meinung gegenüber den Weisheiten der Regierung Bedenken in der Netzöffentlichkeit anzumelden.

    Das ist auch der Hintergrund über die aktuelle Kampagne die im Schland gefahren wird.