Null-Covid-Strategie in China: Eine Kleinstadt schreit um Hilfe
In Yingtan machen die Bürger schlimme Erfahrungen im Lockdown und berichten auf sozialen Medien. Chinas Staatsmedien schweigen darüber.
Auf einigen Fotos, die viral gehen, ist ein kleines Mädchen zu sehen, das – offenbar ohne ihre Eltern – auf dem Boden eines unverputzten Quarantänelagers sitzt. Auf anderen Bildern sieht man gebrechliche Chinesinnen und Chinesen ebenfalls auf dem Boden liegen, da sämtliche Feldbetten belegt sind. „Unsere Stimmen werden unterdrückt! Bitte schenkt uns Beachtung“, lautet einer der verzweifelten Hilfeschreie auf der Online-Plattform Weibo.
Nach wie vor verfolgt die Volksrepublik China eine konsequente „Null Covid“-Strategie, bei der selbst kleinste Ausbrüche des Coronavirus mit Lockdowns, Massentests und Quarantäne eingedämmt werden sollen. In den ersten zwei Jahren der Pandemie hat dies auch durchaus funktioniert, wenn auch die Opfer für das Individuum stets immens waren. Doch spätestens seit Omikron stoßen die chinesischen Maßnahmen an ihre Grenze.
Denn wer dieser Tage auf die Landkarte der Volksrepublik blickt, sieht einen Flickenteppich aus Dutzenden Städten, in denen sich derzeit kleinere Infektionsstränge ausbreiten. Laut Staatsmedien und nationaler Gesundheitskommission ist die Lage grundsätzlich unter Kontrolle. Von den Schattenseiten erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Doch wie verlässlich sind die offiziellen Angaben?
Erfahrungen und offizielle Statistik widersprechen sich
Wer den Bürgern aus Yingtan zuhört, bekommt Zweifel. „Die Schwere der Epidemie in Yingtan ist unvorstellbar und die tägliche Zahl neuer Fälle übersteigt die offiziellen Daten bei Weitem“, schreibt etwa ein Nutzer. Tatsächlich ist es nahezu unmöglich, solche Angaben unabhängig zu überprüfen – nicht zuletzt, weil die „Null Covid“-Strategie Reisen in Risikogebiete unmöglich gemacht hat.
Doch der Fall Yingtan zeigt, wie viel Energie Chinas Staatsapparat darauf verwendet, das wahre Ausmaß der Pandemie vor der eigenen Öffentlichkeit unter Verschluss zu halten. Die traditionellen Medien greifen die desolate Situation der Bewohner nicht auf. Und im Internet sorgt der Algorithmus dafür, dass sich kritische Meldungen nicht zu prominent verbreiten. Notfalls setzen die Zensoren den digitalen Löschstift an.
„Ohne die Infektion meiner Verwandten hätte ich nie gewusst, dass die epidemische Lage so ernst ist“, schreibt ein Anwohner auf Weibo: „Jeden Tag trifft es mehr als eine Person, die ich kenne.“
Laut offiziellen Statistiken halten sich die Coronazahlen in Yingtan hingegen in Grenzen. Am Mittwoch waren es 26 Infizierte, Dienstag nur 8. Ob die Lokalregierung bewusst manipuliert, lässt sich anhand anekdotischer Social Media Postings nicht belegen. Doch sie zeigen, wie tief bei manchen das Misstrauen gegen die Behörden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation