"Novemberkind" startet in Kinos: Zwischen Drama und Roadmovie
In Christian Schwochows Debüt "Novemberkind" wird die Suche nach der vermeintlich ertrunkenen Mutter zur Reise in die deutsch-deutsche Vergangenheit.
Vor dem Etikett "Ostfilm" scheint sich der Regisseur Christian Schwochow zu fürchten. "Novemberkind" sei kein solcher, betont er stets. Er hat schon allein deswegen recht, weil die Nöte und Sehnsüchte seiner Figuren Ländergrenzen überwinden. Dabei verschränkt sein Film die Genres Roadmovie und Familiendrama, schickt seine Figuren per Schiff, Auto, Motorrad und Zug auf die Reise. Die Hauptfigur Inga (Anna Maria Mühe) lebt in Malchow, im Osten Deutschlands. Sie arbeitet als Bibliothekarin, knattert vergnügt mit ihrem Motorrad durch die Landschaft, springt in den kalten See und schaut immer mal wieder bei ihren Großeltern vorbei, die sie aufgezogen haben. Kleine Szenen voller Menschlichkeit, die sich zur Idylle formen.
Der Konstanzer Literaturprofessor Robert (Ulrich Matthes) durchstößt den schönen Schein und stellt die Biografie der jungen Frau auf den Kopf. Die lebt ihr Leben nämlich in der Gewissheit, dass ihre Mutter einige Jahre nach ihrer Geburt in der Ostsee ertrunken sei. Dass alles anders ist, erfährt sie nun von Robert. Seine Spannung bezieht der Film aus dem schon rein äußerlich als Gegensatzpaar fungierenden Schauspielern Matthes und Mühe. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, dem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen.
In ruhigen Einstellungen und nicht nur der Jahreszeit geschuldeter Kühle fokussiert die Kamera von Frank Lamm immer wieder landschaftlich schöne Trostlosigkeiten. Stück für Stück puzzelt sich für Inga ein neues Leben zusammen, dann spult der Film zurück, erzählt in Rückblenden, was damals, zu DDR-Zeiten, wirklich geschah.
In den grobkörnigen, leicht sepiafarbenen Bildern aus der Vergangenheit ist es wiederum Anna Maria Mühe, die Ingas Mutter verkörpert. Unaufgeregt und unsentimental erzählt der Film ihre Geschichte. Das Drehbuch für seinen Debütfilm schrieb Schwochow gemeinsam mit seiner Mutter, der Journalistin Heide Schwochow. Ihre generationenübergreifende Zusammenarbeit spiegelt sich in den Lebensläufen der Figuren, die immer auch eine Frage des Geburtsjahres sind. Robert begleitet Inga zwar auf ihrer deutsch-deutschen Recherche, nutzt ihre Geschichte aber heimlich für ein Romanprojekt.
"Novemberkind" mag einen Tick zu dialoglastig sein; viel wird erklärt, indem es ausgesprochen wird. Doch das ist eine Kleinigkeit angesichts der anrührenden Dramaturgie und Inszenierung. Einmal meldet sich Inga bei ihrem leiblichen Vater, der Arzt ist, zur Sprechstunde an. Beide wissen, wer der jeweils andere ist.
Der Vater doktert trotzdem scheinbar ungerührt an seiner Tochter herum, die starr vor Schmerz einfach nur da steht und kühle, traurige Blicke aussendet. Diese und andere Szenen leben nicht zuletzt von der Leinwandpräsenz der jungen Schauspielerin Anna Maria Mühe, die mit frappierender Natürlichkeit agiert. Zum Ende hin sehen wir dann Roberts Arbeitszimmer, in dem er seinen Roman entwirft. Auf weiße Zettel hat er die großen Worte Schuld, Liebe, Heimat und Identität geschrieben. Das sind auch die Fixpunkte von "Novemberkind". Wahrscheinlich wird Robert die Geschichte von Inga nie aufschreiben. Muss er auch nicht, ersetzt der feinnervige Film seinen Roman doch spielend.
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