Novelle der Berliner Bauordnung: Mehr Grün, weniger Flächenverbrauch
Noch vor den Wahlen soll die Berliner Bauordnung novelliert werden. Doch nun gibt es plötzlich Streit um den Entwurf von Bausenator Sebastian Scheel.
Eine Allerweltsforderung, eigentlich. Schließlich wollen alle die Stadt der kurzen Wege und eine gemischte Stadt. Selbst die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey würde das wohl unterschreiben, auch wenn sie ihre Wählerstimmen inzwischen am liebsten dort holen will, wo die Wege lang sind und die Stadt überhaupt nicht so recht gemischt: außerhalb des S-Bahn-Rings.
Doch plötzlich wurde aus der Allerweltsforderung in der Urania ein Streit. Sebastian Scheels Gesprächspartnerin Christine Edmaier wollte das mit der Mischung so nicht stehen lassen. „Das Thema Gewerbe und Wohnen beschäftigt uns schon länger“, betonte die Präsidentin der Berliner Architektenkammer. „Wir haben versucht, da in der Bauordnung was zu machen. Das hat nicht geklappt.“ Früher sei es in Kreuzberg üblich gewesen, in Fabriketagen zu leben, erinnerte Edmaier. „Heute ist das nicht mehr vorgesehen.“
Zur grünen Handschrift im Entwurf der neuen Bauordnung gehört die Pflicht zur Dach- und Fassadenbegrünung. So soll mindestens ein Fünftel der Grundstücksfläche begrünt oder bepflanzt werden. Bei flachen Dächern ist eine Intensivbegrünung vorgesehen, bei steilen Dächern eine Extensivbegrünung.
Auch Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter und Fledermäuser schreibt der Entwurf vor. „Vogelschlagereignisse“ an Glasgebäuden sollen reduziert werden.
Um den Ausbau der Dachgeschosse oder Aufstockungen bis zu zwei Stockwerke auf Bestandsgebäuden zu erleichtern, entfällt die Pflicht, in solchen Fällen einen Aufzug neu zu bauen. (wera)
Die Bauordnung also. Ländersache ist sie und soll noch in dieser Legislaturperiode novelliert werden. Nicht nur ein bisschen wie 2018, als das Bauen mit Holz erleichtert wurde, sondern grundsätzlich. Derzeit kursiert ein Entwurf von Scheels Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom Januar 2021, der der taz vorliegt. Das Thema Mischung von Wohnen und Arbeiten spielt darin keine Rolle.
Nicht nur eine Stellschraube
Doch das ist nicht der einzige Punkt, den die Architektenkammer am Entwurf für das neue Regelwerk kritisiert. Auch der Abriss von Bestandsgebäuden zugunsten teurer Neubauten wird im Entwurf der Novelle nicht thematisiert. Schon im vergangenen November monierte die Architektenkammer in einer Pressemitteilung deshalb: „In jedem Fall sollte der genehmigungsfreie Ersatz von Bestandsgebäuden durch Neubauten gleicher Abmessungen wieder gestrichen werden, da die negativen Folgen bereits in vielen Stadtteilen sichtbar geworden sind.“ Bei der Veranstaltung in der Urania am 3. Mai forderte Edmaier sogar eine Abrissverbot. „Das Ersetzen von günstigem Wohnraum durch Eigentumshäuser geht nicht“, sagte sie zur Begründung.
Hintergrund der Forderung ist die Diskussion um einen neuen Gebäudeeffizienzerlass, der den Abriss vor allem von Mietwohnungen aus den fünfziger Jahren aus Klimaschutzgründen erleichtern soll. Dagegen hatten schon der Bund Deutscher Architekten und die Deutsche Umwelthilfe protestiert – und für mehr Kreislaufwirtschaft beim Bauen plädiert.
Doch ist die Bauordnung tatsächlich das Regelwerk, in dem politische Forderungen wie diese verankert werden sollten? Die Architektenkammer selbst hatte ihre Pressemitteilung vom November mit „Wie politisch soll eine Bauordnung sein?“ überschrieben. Im Gespräch mit der taz räumt Christine Edmaier ein, dass es nicht die eine Stellschraube gebe, an der man drehen könne. „Alleine beim Thema Mischung müssten viele Paragraphen geändert werden, das ist im Grunde wie das Gendern, das sich durch alle Bereiche zieht“, sagte Edmaier. „Dennoch ist das wichtig.“
Berlin ist Vorreiter
Einen anderen Blick auf das Thema hat der grüne Sprecher für Baupolitik im Abgeordnetenhaus, Andreas Otto. Er verweist darauf, dass in der Baunutzungsverordnung bereits eine neue Kategorie eingeführt worden sei, um dem Thema Mischung von Wohnen und Arbeiten Rechnung zu tragen. „Bisher gab es da immer nur Wohngebiete, Kerngebiete oder Mischgebiete“, sagt Otto. „Jetzt gibt es auch das Urbane Gebiet, das heißt, dass es nun möglich ist, den Wohnanteil in Quartieren mit viel Gewerbe zu erhöhen.“ Ein Beispiel dafür seien das Dragonerareal oder die Siemensstadt 2.0.
Otto selbst begrüßt den Entwurf der neuen Bauordnung. „Da ist viel grüne Handschrift dabei“, lobt er und nennt als Beispiel die Pflicht zur Dach- und Fassadenbegrünung. Auch das Verbot von Schottergärten will Otto noch in der Bauordnung verankern. An einem Punkt aber haben sich die Grünen bislang nicht durchsetzen können. So soll im Entwurf von Scheel der Abstand zu Bestandsgebäuden bei einem Neubau wie bisher mindestens 0,4 mal Gebäudehöhe betragen. So sieht es auch die Musterbauordnung des Bundes vor, eine Richtlinie, an die sich die Länder halten sollten. Im Koalitionsvertrag mit SPD und Linken hatten die Grünen allerdings 0,5 mal Gebäudehöhe verankern können. „Darüber müssen wir noch einmal sprechen, wenn der Entwurf vom Senat beschlossen wird und ins Parlament geht“, kündigte Otto an.
Die Architektenkammer wiederum will an der Ziffer 0,4 festhalten. Dies würde die Verdichtung im Innenstadtbereich erleichtern und damit auch den Flächenverbrauch reduzieren, heißt es zur Begründung. Tatsächlich ist dieser in den vergangenen Jahren wieder leicht gestiegen. 2018 betrug er in Berlin 62 Hektar pro Jahr. Bis 2030 will Berlin den Flächenverbrauch auf 30 Hektar senken, 2050 soll dann eine Netto-Null stehen, das heißt, das Ziel einer Flächenkreislaufwirtschaft erreicht sein.
Gleichwohl lobte auch Christine Edmaier die Berliner Bauordnung. „Berlin ist da in jedem Fall der Vorreiter“, sagte sie der taz. So gebe es in Berlin, anders als in anderen Bundesländern, keine Stellplatzverordnung mehr. Wer in Berlin baut, muss keine Stellplätze für PKW nachweisen. Autofreies Wohnen ist also möglich. Erzwingen kann es die Bauordnung aber nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?