piwik no script img

„Notwehr“ der VerbraucherKakerlaken in der Lieblingskneipe?

Wenn Behörden Hygienemängel in Restaurants finden, bleibt diese Information bislang oft verborgen. Eine Online-Plattform will das ändern.

Keine angenehmen Trinkpartner Foto: dpa

Berlin taz | Kakerlaken im Lieblingsrestaurant oder in der Bäckerei? Seit Jahren wird jeder vierte Lebensmittelbetrieb, der kontrolliert wird, beanstandet, erklärt Oliver Huizinga von der Verbraucherorganisation Foodwatch. VerbraucherInnen erführen davon „in der Regel“ nichts. Diese „Geheimniskrämerei“ der Behörden soll jetzt ein Ende haben.

Zusammen mit der Initiative „Frag Den Staat“ startete die Organisation am Montag „Topf secret“: Auf dem Onlineportal lässt sich herausfinden, wie es um die Hygiene in Gastronomie und Nahrungsmittelwirtschaft steht. Die Grundlage ist das Verbraucherinformationsgesetz VIG. Danach können BürgerInnen Auskunft verlangen, tun es jedoch selten. Eine Website will es nun einfach für jeden machen.

Wer die Seite aufruft, kann ein beliebiges Restaurant oder irgendeinen Lebensmittelbetrieb über eine Suchmaske oder per Klick auf einer Straßenkarte aussuchen. Man gibt Namen, E-Mail- und Postadresse ein. Topf secret stellt einen vorbereiteten Text dazu. Dann geht alles als Anfrage an die zuständige Behörde. Topf secret sei eine „Notwehrmaßnahme“ sagt Huizinga. „Je mehr Menschen mitmachen und Anträge stellen, desto mehr Infos kommen ans Licht.“ Schmuddelbetrieben soll das Handwerk gelegt werden.

In Dänemark funktioniert das System

Das kann funktionieren. In Dänemark zum Beispiel hängen in Bäckereien, Metzgereien und Restaurants gut sichtbar an der Ladentür oder im Schaufenster glücklichere, weniger glückliche oder traurige Smileys. Grinst er, ist alles bestens. Lacht er verhalten, fanden die Kontrolleure kleine Hygiene-Mängel, guckt er traurig, ging es um Schlampereien, für die es mindestens eine Geldstrafe gab. Schon wenige Jahre nach der Einführung 2002 hat sich die Quote der beanstandeten Betriebe halbiert.

Und in Deutschland? Im Berliner Bezirk Pankow gab es die Hygiene-Smileys mal für kurze Zeit. Dagegen zogen zwei Unternehmen, die mies abgeschnitten hatten, vor Gericht – und bekamen Recht. Denn „Informationen über festgestellte Verstöße“ dürften veröffentlicht werden, Bewertungen nicht. SPD und Union haben sich in ihrem Koalitionsvertrag nur darauf verständigt, „eine übersichtliche und eindeutige Verbraucherinformation zu Hygiene und Lebensmittelsicherheit“ zu schaffen. Den Betrieben soll überlassen bleiben, ob sie diese nutzen.

Arne Semsrott von Frag den Staat hofft nun auf den Druck der Verbraucher über „Topf secret“. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband sprach bereits vom „Mitmach-Internetpranger“. Semsrott: „Wenn die Bundesregierung in Zukunft die Veröffentlichung aller Kontrollergebnisse vorschreibt, schalten wie unsere Plattform gerne wieder ab.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die angebliche „Geheimniskrämerei“ der Behörden hat gute Gründe. Gründe, mit denen man Leuten, die in ihrem Essen schon einmal ein Haar gefunden haben, das nicht aus ihrer eigenen Perücke stammt, besser nicht kommen sollte. „Erst ich, dann eine Weile nichts – und ganz weit hinten vielleicht ein paar andere“, das ist des Deutschen Lieblingseinstellung.

    Dass das Informationsfreiheitsgesetz seltener genutzt wird, als seine Schöpfer sich erhofft hatten, ist für mich (auch) eine gute Nachricht. Es bedeutet nämlich, dass die meisten deutschen Institutionen noch immer so gut funktionieren, dass ihnen zu trauen ist. Außerdem bedeutet es, dass der deutsche Michel seine Selbstwahrnehmung noch nicht ganz verloren hat. Er ahnt zumindest, dass er kaum was weiß und selber auch genügend Fehler macht – und hält sich also mit dem (Ver-)Urteilen zurück. Wenn es nach den „Topf-secret“-Initiatoren geht, muss sich das dringend ändern, fürchte ich. Hauptsache Macht. Scheiß auf die Konsequenzen!

    Ich kann Leute, die zur „Notwehr“ aufrufen, obwohl die „Not“ noch gar nicht wirklich eine ist, einfach nicht ausstehen. Die Menschen sind schon gestresst bzw. abgestumpft genug . Selbst anonym zu bleiben, während andere bloßgestellt werden, ist eine echte Arschlochleistung. Außerdem gibt es auch ohne „Topf secret“ schon genügend Leute, die sich auf Basis von Misstrauen profilieren wollen .

    Übrigens: Dass das Prinzip in Dänemark tatsächlich funktioniert, glaube ich nicht. Wer einmal einen Trauer-Smiliey an der Wand kleben hat, kann seinen Laden nämlich dicht machen. Vorurteile sind unglaublich zäh. Man wird sie kaum je wieder los. Und was es mit den Städten macht, wenn alle Läden, die schon mal erwischt wurden beim Fehler machen, aufgeben müssen, weiß ich als Stadtplaner einfach zu gut.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation