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Notunterkunft für Ukrai­ne­r*in­nen„Das System ist scheiße“

Ein Jahr nach Kriegsbeginn weiß Berlin nicht, wohin mit den Geflüchteten. Das Ankunftszentrum in Tegel wird für Viele ein „Zuhause“ auf Monate.

Leere Bänke, leerer Magen: Viele finden das Essen im Ankunftszentrum Tegel ungenießbar Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Es ist Mittagszeit, doch die Schlange an der Essensausgabe ist kurz. Höchstens die Hälfte der Tische, an denen knapp 300 Menschen sitzen könnten, ist besetzt. Nur wenige essen die Reis-Tomaten-Gemüse-Suppe, die heute im Ukraine-Ankunftszentrum Tegel serviert wird. Manche haben Brot, Aufschnitt und Obst aus Supermarkttüten auf den Tisch gepackt, andere sitzen einfach nur da, unterhalten sich leise oder starren auf ihr Handy.

Als die Reporterin einzelne Menschen in der gut beheizten Leichtbauhalle anspricht und nach ihren Erfahrungen als Kriegsflüchtling in Berlin befragt, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer. Immer mehr Frauen kommen und wollen erzählen. Die Verständigung ist schwierig, nur eine junge Frau spricht etwas Englisch und übersetzt, andere benutzen Google.

Der Tenor ist leicht zu verstehen: Alle finden das Essen schlecht bis ungenießbar. „Die Kinder spucken es wieder aus“, sagt eine Frau. Eine andere berichtet, dass sie ihr ganzes weniges Geld für Essen ausgeben müsse, weil ihre Kinder vom hiesigen Angebot „krank“ würden. Alle beklagen, dass sie schon zu lange hier seien, manche zwei, manche drei Monate – und dass keiner ihnen sage, wann sie eine Wohnung bekommen. Alle beschweren sich über fehlende, verzögerte oder nur teilweise Geldzahlungen von Sozialamt oder Jobcenter.

Regina Swetlana Berezhina hat in ihren drei Monaten in Tegel schon etwas Deutsch gelernt. Beim Sozialamt habe sie anfangs etwas Geld bekommen, aber das Jobcenter in Marzahn, bei dem sie alle Papiere abgegeben habe, rühre sich einfach nicht. Sie habe keine BVG-Karten und Angst, weil sie „schwarzfahren“ muss. Dass sie am „Info-Point“ Tickets bekommen kann, solange sie noch nicht im „Leistungsbezug“ ist, wie die Sprecherin des Betreibers Deutsches Rotes Kreuz auf Anfrage mitteilt, weiß sie offenbar nicht. Auch wie man Arbeit findet, wüsste Berezhina gerne, aber niemand könne es ihr erklären.

„Alles ist Stress“

Eigentlich dürfen Ukrai­ne­r*in­nen ab ihrem ersten Tag in der Stadt arbeiten – und eigentlich gibt es in Tegel die Johanniter, die für Beratung, Betreuung und Sprachmittlung zuständig sind und unter anderem Sozialberatung bei Fragen zu Aufenthalt, Leistungen oder Arbeitsmöglichkeiten anbieten.

Aber auch das ist offenbar zu Bere­zhi­na noch nicht durchgedrungen. „Alles ist Stress“, sagt sie. Und das nach der Flucht aus Cherson, wo sie alles hatte, eine schöne Wohnung, bis drei Bomben auf ihr Haus fielen. Eigentlich bräuchte sie Ruhe, müsste Kraft schöpfen für den Neuanfang – doch das geht in Tegel nicht, sagt sie.

Zum Beweis will sie der taz ihre „Schlafwabe“ zeigen. Rechts und links der Aufenthaltshalle, wo es außer dem Essensbereich auch abschließbare Spinde, einen WLAN-Raum mit Handy-Ladestationen und einen Kinder-Spielraum mit Betreuung gibt, führen überdachte Durchgänge in die Schlafhallen. In jeder von ihnen gibt es 360 Betten; je zwei Schlafhallen plus eine Aufenthaltshalle und top-moderne Sanitärhalle ergeben einen Block.

Vier solcher Blöcke – A, B, D, E – stehen nun vor Terminal C und bieten Platz für 3.200 Menschen. Ein fünfter Block F ist im Aufbau. Dazu gibt es knapp 1.000 Plätze im Terminal selbst, wo auch die Registrierung stattfindet und es eine Kleiderkammer gibt, einen Kiosk, eine „Pet-Station“ für Haustierbesitzer*innen. Derzeit leben in Tegel nach Behördenangaben rund 2.100 Menschen.

Die Flughafenterminals A und B, wo kurz nach Beginn des Ukrainekrieges das erste Ankunftszentrum vor allem als bundesweiter Verteil-Hub aufgebaut wurde, sind inzwischen geräumt, sie waren der Beuth-Hochschule als Erweiterungsbau zugesagt worden. Der zuständigen Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) und dem Landesflüchtlingsamt (LAF) passte das gar nicht: In einer Zeit, wo sich täglich bis zu 150 Ukrai­ne­r*in­nen im Ankunftszentrum melden, von denen knapp die Hälfte eine Berlin-Zuweisung bekommt, mussten rund 2.000 Betten abgebaut werden.

„Zwischen Ankommen und Bleiben“

Jetzt ist der Umzug vollbracht: Auch zwei provisorische Zelte neben Terminal C mit 800 Betten, aber ohne Spinde, Aufenthaltsmöglichkeiten und WLAN sowie mit schlechteren Sanitäranlagen, habe man leer gezogen, erklärt die stellvertretende Einrichtungsleiterin Christina Färber. Die neuen Leichtbauhallen seien ein echter Fortschritt, findet sie: „Die Stimmung ist deutlich besser, seit die Menschen aus den Zelten hierher ziehen konnten.“ Eines der beiden Zelte würde Färber gerne zum „Ausnüchterungszelt“ umwidmen, erzählt sie.

Denn „natürlich“ gebe es ein Problem mit Bewohner*innen, die zu viel trinken, „wohl als Folge dieses Zwischenlebens hier, zwischen Ankommen und Bleiben“. Es komme bisweilen auch zu Gewalt unter Bewohner*innen. Bislang habe man das händeln können, so Färber, „bei Vorfällen ist jemand vom Leitungsteam 24/7 erreichbar“.

Regina Swetlana Berezhina auf ihrem Bett in der „Schlafwabe“, in der sie seit 3 Monaten lebt Foto: Foto: Stefanie Loos

Berezhina führt die taz in ihre Schlafhalle in Block D. Mit Leichtbauwänden und Vorhangtüren abgeteilt stehen hier in jeder „Wabe“ sieben Doppelstockbetten und ein Stahlregal. Das sei für die Koffer gedacht, hatte Christina Färber zuvor erklärt. In Berezhinas Wabe sind die Regale allerdings mit Ikonen, Hy­gie­neartikeln und Wäschestapeln gefüllt. Die Koffer stehen davor und machen den Raum noch enger.

Berezhina teilt sich das Doppelstockbett hinten rechts mit ihrer halbwüchsigen Tochter, die mit Kopfhörern auf dem oberen Bett sitzt und den Besuch zu ignorieren versucht. Gegenüber auf dem unteren Bett liegt Berezhinas Lebensgefährte, sitzen kann er dort nicht, dafür ist das Bett zu niedrig. Vor Bere­zhinas Bett steht ein Hundekorb, Mischling Joy springt sein Frauchen an, Katze Mars bleibt gleichgültig auf dem Bett liegen. „Man kann hier nicht schlafen, zu laut“, sagt die Ukrainerin und zeigt auf die dünnen Wände. Wenn ihr nur jemand sagen würde, wann sie hier rauskommt …

Doch genau das kann zurzeit niemand. Ein Jahr nach Kriegsbeginn weiß Berlin nicht, wohin mit den Flüchtlingen. Insgesamt leben inzwischen rund 60.000 Ukrai­ne­r*in­nen in Berlin, wie Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Dienstag mitteilte. Erste Schätzungen aus dem vorigen Jahr, wonach es rund 100.000 seien, haben sich damit als deutlich zu hoch erwiesen. Wohl auch, so Kipping, weil nicht wenige trotz des Krieges wieder zurückgegangen seien. Einen Platz finden mussten dazu noch über 14.000 Asylbewerber*innen, die 2022 nach Berlin verteilt wurden – 50 Prozent mehr als 2021.

Provisorisches „Zuhause“

Zwar ist die überwiegende Mehrheit der Ukrai­ne­r*in­nen privat untergekommen, bei Freunden oder Familien­angehörigen, engagierten Gast­ge­be­r*in­nen oder „normalen“ Vermietern, sodass derzeit nur rund 4.200 von ihnen in LAF-Heimen leben müssen: Dennoch komme das Amt bei den hohen Zugangszahlen einfach nicht hinterher, sagt Sprecher Sascha Langenbach: „Wir können derzeit nur die Erstaufnahme sichern, die Menschen sicher und warm versorgen, aber wir sind weit entfernt von den Standards unserer qualitätsgesicherten Unterkünfte.“

Auch solche hat das Amt im letzten Jahr geschaffen: 10.000 neue Plätze in modularen Neubauten, reaktivierten Containerdörfern, umgebauten Hotels. Insgesamt sind es mittlerweile gut 32.000 Plätze, aber alle sind belegt.

Und so bleiben die Neuankömmlinge immer länger in neuen Notunterkünften hängen: die Ukrai­ne­r*in­nen in Tegel, die Asyl­be­wer­be­r*in­nen im Ankunftszentrum Reinickendorf und im Hangar 2 des Ex-Flughafens Tempelhof. „Zwischen 3 und 13 Wochen“, gibt Langenbach die Verweildauer für Tegel an, wobei nach den Berichten der Geflüchteten eher Letzteres zutreffen dürfte.

Als Regina Berezhina die taz an der Vorhang-„Tür“ ihrer Schlafwabe verabschiedet, möchte sie eine Sache unbedingt noch loswerden: „Die Menschen, die hier arbeiten, sind alle sehr nett und hilfsbereit. Aber das System ist scheiße!“

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  • Wieso klappt es in Berlin gar nicht, wenn es in anderen Bundesländern zwar nicht optimal, aber doch immerhin "ausreichend" funktioniert. Könnte es an einer schlechten Regierung liegen? Flughäfen können warten, Menschen in Not nicht!