Notsituation Klimawandel: Klimakrise löst Schuldenbremse
Hohe Klimaziele bei harter Schuldenbremse – ein Gutachten zeigt Wege aus dem Bremer Dilemma. Besonders eine Lösung ist für alle Länder spannend.
Das Rechtsgutachten ist vor Abschluss ihrer Arbeit im Dezember noch von der Bremer Enquete-Kommission Klimaschutz beauftragt worden. Es ist ein Möglichmachergutachten – gleich mehrere Wege zeichnet es vor, einige davon landesspezifisch, andere wegweisend für ganz Deutschland. Dabei ist die Ausgangslage deprimierend: Bisher hatte Bremen für die nächsten Jahre in dem Bereich etwa 200 Millionen Euro jährlich als Haushaltsmittel vorgesehen; Reserven gibt es nicht, das Land ist hoch verschuldet.
Auf dem Kapitalmarkt gibt es zwar Geld, das man sich günstig leihen könnte; dank Negativzinsen macht der Bund mit seinen neuen Staatsschulden momentan sogar ein Plus. Vor neuen Schulden aber steht die Schuldenbremse, seit 2009 im Grundgesetz verankert. Bremen hat in die eigene Landesverfassung sogar eine noch strengere Variante aufgenommen.
Auf das Grundgesetz hat das kleine Land wenig Einfluss; die eigene Schuldenbremse könnte es aber ändern. Laut Bremer Landesverfassung ist es auch den landeseigenen Betrieben verboten, Schulden zu machen. Nur zwei Bundesländer handhaben das so streng. Anderswo, etwa in Hamburg, bauen einfach die Wohnungsgesellschaften die öffentlichen Gebäude – und zahlen ihren Kredit zurück, indem sie Miete von der Stadt kassieren.
Auch sonst verbietet sich Bremen Schlupflöcher: Das Land hat auch seinen beiden Städten Bremen und Bremerhaven Neuverschuldung verboten. Das müsste nicht so sein: Die Flächenländer geben ihren Kommunen keine solchen Vorschriften, dort dürfen Städte Schulden machen. Wenn das auch Bremen und Bremerhaven wieder erlaubt wäre, wäre viel gewonnen: Schließlich sind die Kommunen für viele klimarelevante Aufgaben zuständig.
Martin Michalik, CDU Bremen
Allerdings müsste dafür die Landesverfassung geändert werden, zwei Drittel der Abgeordneten in der Bremer Bürgerschaft müssten dafür stimmen. Komplett unmöglich ist das nicht, aber eine Mehrheit gibt es für den Vorschlag aktuell wohl nicht: Linke und SPD sind aufgeschlossen, die Grünen geben sich zögerlicher. Und auch die CDU, deren Stimmen man für eine Zwei-Drittel-Mehrheit bräuchte, wiegelt ab: Man hält dort eine Änderung schlicht nicht für nötig. „Wir können das innerhalb der Schuldenbremse stemmen, das zeigt das Gutachten ganz klar“, so Martin Michalik, klimawandelpolitischer Sprecher der Fraktion.
Und tatsächlich: Auch ohne etwas an der Verfassung, ja sogar ohne etwas an Gesetzen zu ändern, hat Bremen laut Wielands Gutachten Möglichkeiten – man muss nur die bestehenden Regeln neu lesen. Denn dass alle öffentlichen Unternehmen keine Schulden machen dürfen, liest der Rechtswissenschaftler aus der Landesverfassung gar nicht heraus. Wieland interpretiert den entsprechenden Artikel 131a, Absatz 5 so, dass die Unternehmen des Landes nur dann keine Schulden aufnehmen dürfen, wenn der Auftrag vom Land kommt und zusätzlich die Zinsen und Tilgungen für die Kredite aus dem Landeshaushalt kommen müssen.
Völlig neu ist diese Interpretation nicht. In der letzten Zeit hatte Bremen diese Möglichkeit sogar schon genutzt und Kita- und Schulbau so den städtischen Wohnungsbaugesellschaften überlassen. „Ich habe den Artikel schon immer so gelesen, dass das geht“, sagt der SPD-Abgeordnete Arno Gottschalk. „Aber es gab bisher eben auch Gegenstimmen.“ Dass jetzt ein renommierter Verfassungsrechtler genau so argumentiert, dürfte Zweifler überzeugen.
Klimawandel als Notsituation verändert alles
Wielands Gutachten geht über diese bremenspezifischen Fragen aber noch weit hinaus und stellt eine Grundsatzfrage: Kann der Klimawandel die Schuldenbremse sogar aushebeln?
Die Schuldenbremse im Bund sieht eine Ausnahmeregelung für „außergewöhnliche Notsituationen“ vor, damit Bund und Länder handlungsfähig bleiben. Weil niemand im Vorhinein sagen kann, was eine Notsituation eigentlich ist, gibt es keine abschließende Aufzählung, sondern nur drei Kriterien: Eine Notsituation muss „außergewöhnlich“ sein, ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Staates entziehen, und die Auswirkungen auf den Haushalt müssen erheblich sein.
Explizit nennt der Gesetzgeber in seinen Kommentaren die Finanzkrise von 2009 – aber auch als positive Referenzerfahrung die Deutsche Einheit. Aktuell findet die „Notsituation“ bei der Pandemiebekämpfung Anwendung; Bremen hat darüber seinen Bremenfonds mit ganzen 1,2 Milliarden Euro auflegen können.
Wieland stellt die These auf, dass auch die Klimakrise „eine außergewöhnliche Notsituation“ in diesem Sinne darstellt. Das ist naheliegend, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht 2021 Bund und Ländern angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe einen klaren Handlungsauftrag gegeben. Eine Pflicht also, die Bremen als Bundesland nicht beeinflussen kann. Und eine Pflicht, die zu erheblichen Investitionen führen wird.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts spricht für Wieland
Die Klimakrise, argumentiert Wieland, sei auch nicht der Normalzustand, sondern außergewöhnlich. Sie werde zwar lange andauern. Das aber habe auch für die Folgen der Deutschen Einheit gegolten.
Wieland ist nicht der erste, der sich der Frage stellt. Aber bisher hatten Juristen argumentiert, dass es aufgrund des Klimawandels keine unmittelbar drohenden Gefahrenzustände von erheblichem Ausmaß gebe. Das stimme nicht, meint Wieland: Die Flutkatastrophe aus dem Ahrtal zeige, dass die Auswirkungen schon heute zu spüren seien.
Noch wichtiger vielleicht: Die bisherigen Begründungen wurden vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstellt, also bevor die Pflicht zu handeln Verfassungsrang bekommen hat. Das Bremer Gutachten dürfte auch Entscheidungsträger im Rest der Republik aufhorchen lassen.
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