: Normalzustand Krieg?
■ Bomben auf Bagdad (5): Die rot-grüne Bundesregierung muß der Politik der USA viel entschlossener entgegentreten als bisher
Das Regime Saddam Husseins gehört zu jenen, die in grausamster Art und Weise gegen Demokratie und Menschenrechte verstoßen. Niemand kann die Bilder der kurdischen Giftgasopfer in Halabjah, die Massenflucht der Kurden nach dem zweiten Golfkrieg und die Folterkeller Saddams vergessen. Solange die Baath-Partei die Zügel in der Hand hält, wird das Foltern und Morden anhalten.
Jeder kennt seit Jahren die Aufrüstungspolitik Saddams, die die militärische Basis für die Hegemonialpolitik des Irak bilden sollte. Alle wissen, daß Saddam nicht zu trauen ist und er immer neue Wege suchen wird, um seine Macht zu sichern. Aber reicht dies aus, um den militärischen Aktionismus der USA und Großbritanniens gegen Irak als Normalzustand zu akzeptieren? Warum wird das einseitige, völkerrechtswidrige Handeln von Staaten widerspruchslos hingenommen? Warum wird damit in Kauf genommen, daß die UNO weiter geschwächt und der Aufbau einer globalen kollektiven Sicherheit unmöglich gemacht wird? Zeigt nicht das Scheitern der USA als Weltpolizist im Irak, daß nur die Gemeinsamkeit der internationalen Staatengemeinschaft eine Antwort auf derartige Regimes geben kann? Ist der rotgrüne Schwur auf die Kontinuität der Außenpolitik eine Rechtfertigung dafür, politische Spielräume während des Aufbaus einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu nutzen?
Sie nicht zu nutzen, wäre ein fataler Fehler. Wir können uns nicht einfach wegducken. Wenn es um Krieg und Frieden geht, ist eine klare Positionierung notwendig: Nicht nur, weil Ramstein als US- Basis genutzt wird, sondern vor allem, weil der politische Scherbenhaufen, der Folge dieses militärischen Abenteuers ist, uns alle angeht. Der politische Grundkonsens, das Gewaltmonopol der UNO zu wahren, wird zerbrochen. Hier kommt die Debatte über die neue Nato-Strategie ins Spiel: Wird sich die Nato zu ihrem 50jährigen Jubiläum für die Selbstmandatierung von Militäreinsätzen oder für die Bindung an ein Mandat der UNO entscheiden?
An dieser Frage entscheidet sich, ob eine Zivilisierung der Staatenbeziehungen möglich bleibt oder ob die Politik wieder stärker von den nationalen Interessen des jeweils Stärkeren bestimmt wird.
Trotz der schwierigen Startbedingungen von Rot-Grün wäre es erforderlich gewesen, daß die Bundesregierung sich zumindest ähnlich kritisch wie die französische Regierung verhalten hätte. Eine klare Positionierung zu den amerikanisch-britischen Luftschlägen ist ebenso unerläßlich wie ein Neuansatz in der Nahostpolitik. Es gibt keine einfachen Rezepte – aber es stünde unserer Regierung gut an, den politischen Scherbenhaufen nun mit aufzusammeln. Dazu gehört es auch, die Nato-Partner USA und Großbritannien zu kritisieren. Für eine Wertegemeinschaft sollte Kritik vollkommen normal sein, allenfalls in einem anachronistischen Militärbündnis gäbe es Gründe, den eigenen Standpunkt zu verschweigen.
Die Brüskierung Kofi Annans durch die USA, indem sie seinen Rat vom 1512.98, der Diplomatie noch eine Chance zu geben, ignorierten und „Desert Fox“ starteten, wiegt mindestens ebensoschwer wie die Brüskierung des Sicherheitsrats insgesamt. Und – der tatsächliche Erfolg der Unscom, das Potential von Massenvernichtungswaffen des Irak weitestgehend aufgedeckt und vernichtet zu haben, wird nicht dadurch aus der Welt geschafft, daß die USA ihn schlichtweg leugnen. Die USA mußten so argumentieren, um die Luftangriffe zu rechtfertigen.
Die Folgen sind dramatisch: Erstens, weil die UNO seit den Angriffen keine Möglichkeiten mehr hat, irakische ABC-Waffen zu zerstören. Diese Option haben jetzt nur noch die USA – mit neuen Angriffen. Zweitens, weil darüber hinaus auch durch den Mißbrauch der Unscom zu Spionagezwecken ein wertvolles internationales Kontrollsystem irreparabel beschädigt wurde. Der einzige Weg, wo auch immer in dieser Welt durch international abgesicherte Verifikationen Tötungspotential zumindest zu kontrollieren, dürfte vorerst versperrt sein.
Die politische Situation im Irak heute gleicht der in Absurdistan: Die Irakpolitik der Amerikaner ist gescheitert. Saddam geht gestärkt aus dem „Viertagekrieg“ hervor und verschärft die Repressionen gegen die immer schwächer werdende demokratische Opposition im eigenen Land. Die Sanktionen haben nicht Saddam geschwächt, sondern das Volk. Wir haben nicht das Recht, Zigtausende von Kindern verhungern zu lassen, während der Unterdrücker wohlgenährt die Leiden seines Volkes mitansieht und es auch noch schafft, die Verantwortung dafür weit von sich zu weisen. Und auch die Sicherheit des kurdischen Volkes im Norden Iraks ist nicht durch die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Irak zu gewährleisten, sondern eher durch die internationale Unterstützung bei der Vorbereitung der geplanten Wahlen für diesen Sommer. Über den Schutzzonen finden heute wieder Luftkämpfe statt. Sinnvoller wäre es, die Schutzzonen endlich durch ein völkerrechtliches Mandat abzusichern, um die Menschen zukünftig nicht nur vor Angriffen der irakischen Luftwaffe zu schützen, sondern auch vor den bislang tolerierten völkerrechtswidrigen Angriffen des türkischen Militärs.
Die Bundesregierung sollte die Nato-Partner USA und Großbritannien auffordern, die militärischen Zwangsmaßnahmen zu beenden. Es wurden keine überzeugenden politischen Ziele für den „Viertagekrieg“ benannt, dies ist auch für weitere Angriffe nicht zu erwarten. Die internationale Staatengemeinschaft muß aus den Fehlern der Vergangenheit lernen: Wer auf eine UN-Mandatierung verzichtet und androht, Politik durch Bomben zu ersetzen, bringt sich selbst in die Eskalationsfalle. Um das Gesicht zu wahren, bleibt dann nur noch zuzuschlagen. Damit schwächen die USA nicht nur die UNO, sondern sich selbst. Dies kann in niemandes Interesse liegen, auch nicht in unserem. Insofern ist eine vernünftige Kritik am anglo-amerikanischen Vorgehen kurzfristig unbequem, aber langfristig hilfreich. Mit Antiamerikanismus hat das nichts zu tun.
Um die Herstellung von Massenvernichtungswaffen im Irak zu verhindern, muß überprüft werden, ob eine Langzeitverifikationsmission der UNO akzeptiert wird, wenn gleichzeitig die Sanktionen aufgehoben werden. Und es geht um ein Abrüstungskonzept für die gesamte Region. Wer diesen mühsamen Weg ablehnt, muß begründen, ob er das, was im Sudan und im Irak geschah, künftig für ein Patentrezept hält. Angelika Beer
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