Normalität, Fremde und das Dazwischen: Der Sturz ins Unbekannte
Beim Sinkflug auf ein fremdes Land treffen sich Fantasie und Realität, der Aufprall kann hart sein. Warum Reisen trotzdem überlebenswichtig ist.
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D as Meer unter mir ist von einem schimmernden Türkisblau. Ich schaue aus dem Fenster des Fliegers, während wir über die Kapverdischen Inseln gleiten und staune über diese Farbe. Dass es sie gibt. Dass es diesen Ort wirklich gibt.
Es ist der Moment auf der Erde, der am nächsten an Raumfahrt kommt. Man sieht fremde Länder wie fremde Planeten unter sich. Neue Welten, die doch auf dieser Welt existieren; Paralleluniversen, bis wir uns treffen. Ja, ich weiß, Fliegen. Und doch: Was für ein Wunder. Was für Freundschaften, Wissen und Verständnis er eröffnet, dieser Sturz ins Unbekannte, der das Leben verändern kann.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wir nähern uns der Küste von Gambia, beginnen den Sinkflug hinab nach Banjul. Das ist der beste Augenblick. Ich sauge alles auf in diesem explosiven Moment, in dem Fantasie und Realität sich treffen. Palmenhaine, braunrote Staubstraßen, die Dächer großzügiger Häuser, üppige Gräser an der Landebahn, regengesättigt, ein Schwarm weißer Vögel. Es ist wunderschön. Das Land ist für mich noch unbeschrieben, frei von Liebe und Wut.
Nach der Landung schieben wir uns durch den Stadtverkehr der Vororte von Banjul. Die drückende Tropenluft ist voll von Gerüchen und Lärm. Frauen in leuchtenden Kleidern balancieren Waren auf dem Kopf, Händlerinnen am Straßenrand brüllen durcheinander, Kinder in zerschlissenen Klamotten spielen im Staub oder arbeiten. Kühe stromern an kaputten Häusern und Müllbergen vorbei, zerbeulte, überfüllte Minibusse schleppen sich vorwärts. Und irgendetwas kippt.
Ich nehme nur Klischees wahr. Auf den Thrill des Falls folgt verlässlich der Aufprall. Ich bin nicht mehr berauscht, sondern ängstlich, überfordert. Erschrocken über die Armut, das Chaos, beschämt über meine Fremdheit und Ahnungslosigkeit. Alles ist mir zu voll, zu laut, zu bedrohlich. What the fuck mache ich hier?
Und dann? Wie schnell wir Menschen uns gewöhnen. Nach ein paar Tagen, einer Woche vielleicht, wird die Fremde zur Normalität. Reisen lehrt rasend schnell, anders als zu Hause ist man wie im Hyperfokus. Was mir bettelarm schien, entpuppt sich als gutbürgerlicher Vorort. Was mir eine einzelne Sprache schien, entpuppt sich als vielfältig und findet Namen und erste Worte: Wolof, Mandinka, Fula. Der kleine Laden, für den ich nicht mal einen Blick hatte, wird zum Lieblingslokal. Die fremden Gesichter werden zu Nachbar:innen und manche zu Freund:innen, das Viertel zu unserem Viertel.
Nur nie ganz, ganz unseres ist es nicht. So geht die Geschichte vom intergalaktischen Sturz. Für alle bedeutet er Verschiedenes. Für mich ist er wie eine Sauerstoffinfusion. Ich kann wieder atmen.
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