Nordirlandprotokoll im Brexitvertrag: Einigung in greifbarer Nähe
London und Brüssel stehen offenbar kurz vor einem Kompromiss. Dabei geht es um über die Anwendung des strittigen Nordirlandprotokolls.
Dabei spielt, wie so oft in Nordirland, die Semantik eine entscheidende Rolle. Die Unterhändler müssen Jeffrey Donaldson, dem Chef der größten porotestantisch-unionistischen Partei DUP (Democratic Unionist Party), so weit entgegenkommen, dass er das Ergebnis als Sieg verkaufen kann. Er hat sich unter dem Druck der Hardliner im unionistischen Lager durch seine strikte Ablehnung des Nordirlandprotokolls in eine Ecke manövriert, aus der er ohne Hilfe der EU nicht herauskommt.
Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt und sich den EU-Zollregeln unterwerfen muss. Das vermeidet eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, doch stattdessen entsteht eine EU-Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien – also innerhalb des Vereinigten Königreiches.
Donaldson moniert, dass das gegen das Karfreitagsabkommen und die Unionsakte aus dem Jahr 1800 verstoße. Der juristische Weg ist jedoch ausgeschöpft, vorigen Mittwoch bestätigte der oberste Gerichtshof in London, dass das Protokoll rechtmäßig sei. Solange das Protokoll gilt, boykottiert aber die DUP Nordirlands Regionalparlament und die Regionalregierung. Diese muss aufgrund des Karfreitagsabkommens von 1998 von den zwei stärksten Parteien auf katholisch-nationalistischer und protestantisch-unionistischer Seite gemeinsam gebildet werden, auf gleichberechtigter Basis. Eigentlich hätte es längst Neuwahlen geben müssen, aber der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris hat die Frist immer wieder verlängert, vor zwei Wochen sogar bis zum 18. Januar 2024, um den Parteien „Zeit und Raum für Verhandlungen“ zu geben.
Neue Rolle des Europäischen Gerichtshofs
Donaldson hat sieben Bedingungen gestellt, um in die Regierung zurückzukehren. Drei davon sind relativ leicht zu erfüllen. So hat London eine rote und eine grüne Spur für Waren aus Großbritannien nach Nordirland vorgeschlagen: grün für Waren, die ausschließlich für Nordirland bestimmt sind, etwa für dortige Filialen britischer Supermarktketten, und daher nicht durch den Zoll müssen; rot für Waren, die in die Republik Irland, also in die EU, exportiert werden sollen und deshalb den Zollbestimmungen unterliegen. Zwar bliebe die Zollgrenze dann, aber man könnte argumentieren, dass sie faktisch nur Waren für die EU betreffe.
Schwieriger ist Donaldsons Forderung nach mehr Mitspracherecht für die Menschen in Nordirland bei Gesetzen, die sie betreffen – also ständig aktualisierte EU-Binnenmarktrichtlinien, die wegen des Nordirlandprotokolls automatisch für Nordirland gelten, nicht aber für Großbritannien.
Die Hoffnung auf eine Einigung ruht nun auf der Modifizierung der Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Zwar ist der für EU-Gesetze zuständig, aber die irische Regierung hat einen Vermittlungsausschuss vorgeschlagen, wie er bereits beim Brexit-Handelsabkommen existiert. Im Gespräch ist auch, dass der EU-Gerichtshof nur auf Initiative der nordirischen Gerichte tätig werden kann. Sollte die EU dem zustimmen, könnte Donaldson seine Leute davon überzeugen, dass Nordirland EU-Gesetzen nicht mehr wehrlos ausgeliefert ist.
Der britische Premierminister Rishi Sunak will die Sache vom Tisch haben. Sollte die EU jedoch querschießen, wäre Donaldsons Spielraum erschöpft. Dann bestünde auf absehbare Zeit keine Aussicht auf die Wiedereinsetzung der Institutionen in Belfast. In diesem Fall müsste London wieder die Direktherrschaft übernehmen. Aber das will die DUP auch nicht.
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