Niko Paech über Postwachstum: Konsum nervt
Ist er ein Partykiller, Miesepeter, Apokalyptiker? Weniger zu verbrauchen, kann den Genuss steigern, sagt der Ökonom. Er hält Kapitalismus für eine „Zombiekategorie“.
taz: Herr Paech, was wirft man Ihnen am häufigsten vor?
Niko Paech: Dass ich ein Miesepeter sei, ein Partykiller, der die moderne Freiheit und Selbstverwirklichung einschränken wolle. Manche meinen gar, ich sei ein Apokalyptiker.
Und was sagen Sie dann?
Dass ich ein Optimist bin.
Sie prognostizieren den Untergang des Kapitalismus. Was ist daran erfreulich?
„Kapitalismus“ ist eine Zombiekategorie. Fragen Sie fünf Kapitalismuskritiker, was der Kapitalismus ist, dann bekommen Sie sechs Antworten.
Aber wie immer man den Kapitalismus definiert – Sie sehen seinem Ende gelassen entgegen. Wieso?
Das Wirtschaftswachstum gerät an seine Grenzen. Rohstoffe und Umwelt werden knapp. Wir erleben nicht nur „Peak Oil“, sondern „Peak Everything“. Aber das ist keine Katastrophe. Die prosperierende Mittelschicht erstickt längst an ihrem immensen Wohlstand und kann nicht mal mehr ihre digitale Coolness glückstiftend verarbeiten. Konsum macht keine Freude, sondern strengt an. Das knappste Gut ist unsere Lebenszeit – die wir damit verschwenden, Waren herzustellen und zu kaufen, die wir nicht benötigen.
53, ist außerplanmäßiger Professor für Produktion und Umwelt in Oldenburg. Er gehört zu den bekanntesten Wachstumskritikern in Deutschland. Von ihm stammt das Buch: „Befreiung vom Überfluss“ (Oekom 2012).
Sie besitzen keinen Föhn, keine Mikrowelle, kein Auto und kaum neue Kleidung. Das alles habe ich auch nicht. Trotzdem glaube ich nicht, dass Konsumverzicht die Lösung ist.
„Verzicht“ ist das falsche Wort, weil es eine leidvolle Entsagung nahelegt. Dabei kann es den Genuss steigern, weniger zu konsumieren. Man hat mehr Zeit für die Tätigkeiten, die einem wirklich wichtig sind.
Stimmt: Konsum kann nerven. Aber wenn alle ihren Konsum einschränken, bricht der Kapitalismus zusammen – und zwar chaotisch. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass unser Wirtschaftssystem selbst kleine Einbrüche nicht verkraftet. Schon ein Minuswachstum von 5 Prozent hat 2009 Panik ausgelöst.
Welche Panik? Haben Sie etwas vom Einbruch 2009 gemerkt? Es wurden weiter Einfamilienhäuser gebaut und wurde weiter SUV gefahren. Wir haben die Komfortzone nicht verlassen. Nur die Medien haben es als eine Krise interpretiert.
Die Konjunktur konnte nur stabilisiert werden, weil der Staat Milliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt hat. Ohne diese Intervention wären Millionen Menschen arbeitslos geworden.
Das halte ich für übertrieben und blind gegenüber der Möglichkeit, die Arbeitszeit zu verkürzen und umzuverteilen. Okay, dann verlieren einige. Aber ich habe nie behauptet, dass es eine bessere Welt zum Nulltarif gibt. Im Übrigen haben wir absehbar sowieso keine Wahl. Das jetzige Wirtschaftssystem ist ökonomisch und ökologisch nicht zu stabilisieren.
Sie wollen 50 Prozent aller Straßen schließen und 75 Prozent der Flughäfen abschaffen. Ganz konkret: VW hat etwa 260.000 Beschäftigte in Deutschland. Wovon sollen die künftig leben?
Selbst als radikaler Wachstumskritiker kann ich nicht einfach einen Konzern wie VW stilllegen; die sozialen Härten wären nicht aushaltbar. Doch ist der langsame Abschied von industrieller Bequemlichkeit unvermeidbar. Dieser Rückbau muss geordnet stattfinden – durch Arbeitszeitverkürzung. Wenn jeder Mensch nur noch 20 Stunden pro Woche arbeitet, bleibt genug Zeit, um ergänzende Formen der Selbstversorgung zu praktizieren, etwa Nahrung selbst anzubauen, Güter gemeinschaftlich zu nutzen oder Dinge zu reparieren.
Sie gehen davon aus, dass eine Wirtschaft geordnet schrumpfen kann. Doch das funktioniert nicht. Sobald die Gewinne sinken, investiert niemand mehr – und die Wirtschaft befindet sich im freien Fall.
Der tiefe Fall droht, wenn wir nicht vorbereitet sind. Deshalb benötigen wir Übungsprogramme und Rettungsinseln, auf denen trainiert wird, mit einem solchen Rückbau zurechtzukommen. Beispiele gibt es bereits: Urban Gardening, die Regio-Geld-Bewegung oder Repair-Cafés. Eine Avantgarde könnte vorführen, wie man mit weniger Geld, Markt, Banken, ohne Renditewirtschaft und mit weniger Wohlfahrtsstaat leben kann.
Ein unfreiwilliges Modell dieser Art existiert bereits: Griechenland. Arbeitslose Athener gehen zurück in das Dorf ihrer Großeltern und bestellen dort mit Hacke und Esel Miniparzellen.
Was in Griechenland passiert, ist schlimm, eben weil es unfreiwillig und unvorbereitet eintrat. Was aber, wenn die Griechen in zehn Jahren selbstbewusst sagen können: Wir sind die Avantgarde, weil wir gemeistert haben, was andere noch vor sich haben?
Griechenland ist jetzt so arm, dass viele Krebskranke nicht mehr richtig behandelt werden. Soll das die Zukunft sein?
Hier verwechseln Sie ein Verteilungs- mit einem Wachstumsproblem. Ein hinreichend geordneter Übergang zur Postwachstumsökonomie könnte die Gesundheitsversorgung sogar verbessern.
Aber wie? Ihr Modell wirkt unausgewogen: Die kapitalistische Privatwirtschaft soll weitgehend verschwinden, aber der Staat soll seine Aufgaben weiter wahrnehmen. Er soll nicht nur Krebstherapien gewährleisten, sondern auch Renten zahlen. Es soll Bildung, Forschung, Bahnen und Busse geben. Wie soll das finanziert werden, wenn die Steuereinnahmen wegbrechen?
Viele Subventionen für Verkehr, Landwirtschaft und Industrie würden wegfallen. Manche Gesundheitsausgaben könnten sinken, wenn wir mehr Bewegung, weniger Stress und bessere Ernährungsgewohnheiten hätten. Unsere planwirtschaftliche Bildungspolitik ist ebenfalls überkandidelt. 50 Prozent der jungen Menschen sollen zu Akademikern ausgebildet werden. Aber an wen delegieren wir dann die physische Arbeit, die steigender Konsum voraussetzt?
Sie selbst haben von der Bildungsexpansion in den 1970er Jahren profitiert. Diese Chance wollen Sie anderen verweigern?
Dann vergleichen Sie mal den Ressourcenaufwand des damaligen Bildungssystems mit dem heutigen: Wie viel an Flugreisen, digitaler Kommunikation, räumlicher oder technischer Ausstattung war damals erforderlich?
Ihr Vorschlag wirkt altbekannt. Bereits vor dreißig Jahren gab es viele Aussteiger, die auf Konsum verzichteten. Die Grünen sind durch diese Alternativbewegung entstanden – mussten aber erkennen, dass es gar nicht einfach ist, den Kapitalismus abzuschaffen.
Die frühere Aussteigerbewegung war romantisch, wollte raus aufs Land. Mein Ansatz ist genau umgekehrt: Ich rede nicht von Stadtflucht, sondern von urbaner Subsistenz. Je mehr nichtindustrielle Versorgungsformen wir wollen, desto mehr soziale Vernetzung benötigen wir, die in hochverdichteten Metropolen eher zu finden ist.
Sie begeistern Ihre Zuhörer und füllen viele Vortragssäle – aber die Parteien übernehmen Ihre Vorschläge nicht. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Auch einige hundert Leute, vor denen ein Wachstumskritiker wie ich zuweilen redet, bleiben Teil einer Minderheit. Was die Parteien angeht: Die haben vor nichts mehr Angst, als konsumabhängige Wähler zu überfordern.
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