Nigers und Malis geheimer Krieg: Tuareg-Revolte wird totgeschwiegen
Nachrichten über den Krieg sind nur noch schwer zu erhalten. Nigers Regierung hat das Bürgerkriegsgebiet rigoros abgeriegelt und trocknet die informelle Wüstenwirtschaft aus.
NIAMEY taz Seit Monaten ist die Nordhälfte von Niger Kriegsgebiet, doch im Land wird über die Revolte der Tuareg-Nomaden in der Sahara-Wüste nur leise gesprochen. Wer sich in der Hauptstadt Niamey öffentlich über die Rebellion äußert, die auf die Region um die Stadt Agadez 1.000 Kilometer nördlich konzentriert ist, riskiert die Festnahme. Agadez ist eigentlich ein Zentrum für Sahara-Touristen. Aber seit die Regierung von Präsident Mamadou Tandja dort den Notstand verhängt hat, ist Agadez vom Rest des Landes abgeriegelt.
Die "Nigrische Bewegung für Gerechtigkeit" (MNJ) der Tuareg-Rebellen sagt, dass Niger und auch das Nachbarland Mali ihre Zusagen nicht gehalten haben, die Situation des Hirtenvolkes zu verbessern. In den 90er-Jahren hatten die beiden Regierungen nach einem Tuareg-Aufstand versprochen, mehr für die Wüstengebiete zu tun, in denen die Nomaden leben. Das sei nicht erfüllt worden, meinen Tuareg-Führer heute, und sie greifen in beiden Ländern an.
"Es gibt keine neue Schulen, Krankenhäuser und Arbeitsplätze", erklärt Seydou Kaocen Maiga, ein Tuareg-Geschäftsmann und MNJ-Sprecher. "Im Gebiet rund um Agadez verdient die Regierung viel Geld, während die Tuareg dort sehr arm sind." Bei Agadez wird Uran gefördert. Niger ist davon einer der größten Produzenten weltweit.
Im Tuareg-Friedensvertrag von 1995 war vereinbart worden, dass 10 bis 15 Prozent des Gewinns aus dem Uran für Nigers Norden verwendet werden sollen. Bis vor kurzem hatte der französisch-deutsche Konzern Areva das Monopol auf die Uranförderung und zahlte nur 5,5 Prozent seiner Erträge an Nigers Regierung. Aber dieses Jahr forderte die Regierung einen höheren Anteil und vergab Konzessionen an Unternehmen aus China, Kanada, Indien und Großbritannien. Nun wollen auch die Bewohner der Urangebiete mehr Geld.
"Unter Druck der Armeeführung lehnt Präsident Mamadou Tandja jeden Dialog mit den Rebellen ab", analysiert ein lokaler Journalist. "Hohe Militärs sind wütend über die Verluste, die sie am Anfang der Revolte erlitten. Sie wollen Rache." Seit Beginn der Rebellenanschläge im Februar sind beinahe 100 Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Soldaten und Polizisten.
Journalisten, die Rebellenführer zu Wort kommen lassen, werden verhaftet. Ein französischer Filmemacher wurde ausgewiesen, ausländische Journalisten dürfen nicht nach Agadez reisen. "Ärzte ohne Grenzen", eines der letzten Hilfswerke der Region, hat sich zurückgezogen, weil innerhalb einer Woche drei ihrer Geländewagen gestohlen wurden. Die MNJ lehnt dafür jede Verantwortung ab.
Nigers Regierung hat die Unterstützung der schwarzafrikanischen Bevölkerung. "Es gibt mehr Entwicklungshilfe als früher für die Tuareg", meint ein Mitarbeiter einer Entwicklungsorganisation. "Der wahre Grund für die Revolte ist Wirtschaft."
Die schätzungsweise zwei Millionen Tuareg der Sahara kennen die alten Handelsrouten quer durch die Wüste. Nach den Dürren der 70er- und 80er-Jahre verloren sie einen großen Teil ihres Viehs und mussten nach neuen Einkommensquellen suchen. "Der Sahara war schon immer ein Schmugglerparadies und die Tuaregs schlossen sich halt an", erklärt ein ausländischer Beobachter in Niamey. "Die wichtigsten Waren sind Waffen und auch immer mehr Drogen aus Südamerika, die durch Guinea Bissau angeliefert werden. Und vielleicht helfen sie auch ab und zu illegalen Auswanderern." Die MNJ lehnt diese Beschuldigung ab. "Das sind typische Meinungen von Menschen in klimatisierten Büros. Das Einzige, was wir wollen, ist ein besseres Leben", meint MNJ-Sprecher Seydou Kaocen Maiga.
Es gelingt den Behörden von Mali und Niger immer besser, die Schmuggelrouten abzuriegeln. Die Sahara-Wüste ist nach Meinung der US-Regierungen Versteck für Terroristen. Deshalb investiert sie eine halbe Milliarde Dollar für Terrorbekämpfung in der Region.
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