Nigeria streitet: Wahlchaos vor Gericht
Oberstes Gericht soll Klage der Opposition gegen die verunglückte Präsidentschaftswahl 2007 behandeln. Mehrere Gouverneurswahlen wurden bereits von Richtern gekippt
LAGOS taz "Das war das Halbfinale, und jetzt gehen wir zum Obersten Gericht", sagt Muhammadu Buhari. Die nigerianische Nation konnte die Urteilsverkündung live im Fernsehen verfolgen. Stundenlang flimmerten monotone Einstellungen von Juristen in schwarzen Roben und weißer Löckchenperücke, ganz dem traditionellen englischen Justizsystem verpflichtet, über die Bildschirme. So erfuhren die Zuschauer, dass Nigerias Präsident Umaru YarAdua diese Instanz überstanden hatte: Die Richter des Wahltribunals lehnten es am 26. Februar ab, Nigerias Präsidentschaftswahl vom April 2007 zu annullieren.
Nun zieht der damals unterlegene Oppositionsführer Muhammadu Buhari vor das Oberste Gericht; am heutigen Mittwoch will auch der drittwichtigste Kandidat, Atiku Abubakar, Klage einreichen. Dabei geht es den Verlierern der Wahl nicht darum, dass einer von ihnen der rechtmäßige Gewinner sein könnte. YarAdua hatte bei den Wahlen 70 Prozent gewonnen, Buhari 18 und Abubakar 7 Prozent. Die beiden wollen lediglich festgestellt haben, dass die Wahlen nicht ordnungsgemäß abliefen und wiederholt werden sollten. Die beiden Wahltage vom 14. und 21. April waren von Gewalt, Einschüchterung durch Schlägertrupps, fehlende Stimmzettel und parteiisches Management der "unabhängigen" Wahlkommission gekennzeichnet. Es gab rund 200 Tote. Beobachter der EU monierten, die Wahl habe demokratischen Standards nicht genügt. Sieger YarAdua gab zu, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben habe, versprach nun aber eine Reform des Wahlrechts. Trotzdem galt die Wahl galt als historisch. Denn es war der erste erfolgreiche Übergang von einer gewählten Regierung zur nächsten in Nigeria.
Die Anwälte von Buhari und Abubakar haben mehrere Beweise für die Ungültigkeit der Wahl vorgebracht: Tüten voller gefälschter Wählerlisten, auf denen teilweise Kinderfotos zu sehen waren; Wahlzettel ohne Seriennummern, was ein Nachprüfen unmöglich machte; Bekanntgabe der Ergebnisse vor Ende der Auszählung. Außerdem stand der Name von Atiku Abubakar gar nicht auf den Wahlzetteln, sondern nur der seiner Partei. Das Oberste Gericht hatte erst eine Woche vor der Wahl seine Kandidatur zugelassen, aber da waren die Wahlzettel ohne seinen Namen längst gedruckt.
All dies hat die Richter bislang nicht beeindruckt. Die vorgebrachten Argumente reichten nicht für eine Wahlannullierung, hieß es. Nun wird in Nigeria lebhaft darüber diskutiert, was für eine Art von Beweisen überhaupt ausreichen würde.
Nicht nur um die Präsidentschaftswahl wird vor Gericht gestritten. Sechs Wahlen für Gouverneursämter in den 36 nigerianischen Bundesstaaten und eine ganze Reihe von Parlamentsmandaten sind schon annulliert worden. Der prominenteste Fall ist der des Senatspräsidenten David Mark. Vorletzte Woche entschied ein Gericht in seinem Bundesstaat Benue, dass die Wahl in seinem Wahlkreis wiederholt werden müsse.
Sollten YarAdua, sein Vizepräsident Goodluck Jonathan und der Senatspräsident nun vor dem Obersten Gericht verlieren, müssten die drei höchstrangigen Personen im Staate Nigeria ihre Ämter aufgeben. In den Bundesstaaten Jos, Abia und Adamawa haben Gerichte schon die Wiederholung der Gouverneurswahlen verfügt. In Abia bestätigte das Gericht zwar, dass der Sieger aus den Wahlen die meisten Stimmen hatte, aber er hatte die Zulassungskriterien nicht erfüllt und sei zudem ein Anhänger eines verbotenen Kults.
Auch innerhalb der Regierungspartei PDP (Demokratische Volkspartei) wird geklagt, weil nicht zum Zuge gekommene Politiker die Sieger bezichtigen, ihre Nominierung "unrechtmäßig" ergattert zu haben. Ein PDP-Parteitag am vergangenen Wochenende war von innerparteilichem Streit gekennzeichnet. Die Delegierten lehnten den Wunschkandidaten des früheren Staatschefs Olusegun Obasanjo für den Posten des Parteichefs ab und entschieden sich für Prince Vincent Ogbulafor. Der Politiker kommt aus dem Südosten Nigerias, wo es zu besonders vielen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen kam. Er war von den dortigen teils unter Anklage stehenden PDP-Provinzgouverneuren aufgestellt worden.
Nigerianer sehen diese Zustände mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Einerseits sehen sie, dass das erst seit 1999 bestehende demokratische Gefüge des Landes regelmäßig vergewaltigt wird. Andererseits sehen viele in der nigerianischen Justiz eine letzte Bastion der Gerechtigkeit. HAKEEM JIMO
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