Niedriglohnarbeit für US-Tech-Konzerne: KI-Training in Afrika

Junge Ugander zeigen künstlicher Intelligenz von Hand, was sie machen soll – und was nicht. Gute Jobchancen oder klickender Albtraum?

Frauen und Männer sitzen vor Monitoren

Das Office in Kampala Foto: Foto: Simone Schlindwein

Im Hintergrund dudelt ein Radiosender, sonst hört man nur das stetige „Klick, klick, klick“ der Computer-Mäuse. Mit dem Mauszeiger werden am Bildschirm Fahrbahnmarkierungen nachgezeichnet, wo ein Auto nicht lang fahren darf. Auf einem anderen Bildschirm ist das Innere eines Warenhauses zu erkennen. Der Greifarm eines Roboters wird mit dem Mauszeiger trainiert, wie er die richtige Kiste aus dem Regal zieht.

150 junge Ugander sitzen in diesem großen, stickigen Raum dicht an dicht hinter den Computern. Sie arbeiten im Auftrag großer Techfirmen wie Meta, wozu Facebook oder Whatsapp gehören, oder dem amerikanischen Autohersteller Tesla. Dessen integrierte künstliche Intelligenz (KI), die bald das Fahren am Steuer ganz alleine abwickeln soll, muss millionenfach an denselben Abläufen trainiert werden. Denn bis diese KI sicher weiß, bei welchem Straßenschild das Fahrzeug Vorfahrt geben muss und bei welcher Fahrbahnmarkierung es überholen darf, wird sie von den 150 Ugandern trainiert, die in diesem Erdgeschoss eines Bürogebäudes in Ugandas Hauptstadt Kampala immer wieder die gleichen Klicks durchführen.

Sama heißt das Start-up-Unternehmen, das in Afrika nun diese arbeitsintensiven Jobs für die Techgiganten im Silicon Valley übernimmt. Es ist eines von zahlreichen Start-ups, die überall auf dem Kontinent derzeit gegründet werden, um die Trainings der KI zu übernehmen, die in Zukunft zahlreiche Arbeitsprozesse selbst erledigen wird. Auf der Webseite von Sama sind deren Kunden gelistet: Dabei handelt es sich um solche Firmen, für die sich nie ein junger afrikanischer Student zu ­arbeiten zu träumen gewagt hätte: Google, Ford, Wal­mart, Sony, BMW, Ebay und vor allem Meta.

Gleich daneben ist auf der Internetseite der Verweis „Karriere“. Dort kann man online seine Bewerbungsunterlagen einreichen: „Werden Sie Teil unseres Teams und tragen Sie dazu bei, die Welt zu verändern“, steht neben dem Formular. Dass eine ugandische Firma überhaupt Bewerbungsformulare online stellt, ist eine Seltenheit. In Anbetracht einer der höchsten Geburtenraten der Welt und dadurch mitverursachten krassen Jugendarbeitslosigkeit werden die meisten Firmen schier überschwemmt.

Stell dir vor, es gibt Kunden in Deutschland

Doch dies sei Teil des Konzepts, sagt Geschäftsführer ­Joshua Okello und zeigt auf einen kleinen Konferenzraum mit einem ovalen Tisch. Denn Sama will expandieren und benötigt dafür enorm fleißige Hände. Die Firmenzentrale in Kampala ist schick eingerichtet, mit bunten Stoffen an den Wänden, alten Glasflaschen, die von der Decke baumeln und aus denen heraus Ranken überall entlang wachsen. In der büroeigenen Kantine steht ein großer Behälter voller bunter Lollipops auf dem Tresen, aus dem sich die Angestellten frei bedienen dürfen. Es wirkt ein wenig wie das afrikanische Silicon Valley.

Joshua Okello

„Anstatt bis zu 50.000 Euro auszugeben, können sie uns weit weniger für denselben Job bezahlen“

„Stell dir vor, es gibt einen Kunden in Deutschland, der eine Softwareingenieursfirma benötigt“, erklärt Okello das Konzept. „Anstatt bis zu 50.000 Euro auszugeben, können sie uns weit weniger für denselben Job bezahlen.“ Er gibt zu, früher wandten sich diese Firmen vor allem nach Indien, um Callcenterjobs und andere niedrigbezahlte Aufgaben auszulagern. Doch auch in Indien erhöhen sich mittlerweile die Gehälter. Uganda sei deswegen ein exzellenter Standort zum Outsourcen, so Okello: „Wir sprechen Englisch, wir sind ungefähr in derselben Zeitzone und wir kennen die europäische Kultur, weil wir dieselben Filme und Musik konsumieren“, sagt er. Und die Arbeitskräfte seien zudem nochmals um ein Vielfaches billiger.

Der 34-jährige gelernte Softwareingenieur erklärt die Gründungsgeschichte von Sama in Uganda. Das Unternehmen sei eines der ersten gewesen, das nach dem Ende des Bürgerkrieges im Norden des Landes dort den vom Krieg traumatisierten Jugendlichen Arbeit gebracht habe, sagt er. Damals kooperierte die Vorgängerorganisation von Sama, rechtlich noch eine NGO, mit dem internationalen Hilfswerk Oxfam. „Bringe Jobs statt Hilfsgüter“, sei die Ideologie von Sama. In Gulu arbeiten heute rund 400 junge Ugander, 2019 eröffnete Sama die Filiale in Kampala, stellte weitere 150 Leute an, neben Kenia mittlerweile das zweitwichtigste Standbein in Afrika.

Klicks in der Wüste

Gründerin von Sama war die junge amerikanische Geschäftsfrau Leila Janah, die 2020 im Alter von 37 Jahren an einer Krankheit verstarb. Als Tochter indischer Einwanderer und Studentin für Afrikawissenschaften eröffnete die Start-up-Unternehmerin von 2008 an in Indien und später in Kenia die ersten Filialen, um arbeitsintensive Programmierarbeit in Niedriglohnländer auszulagern, um Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen. Mittlerweile hat Sama selbst in Kenias gigantisch großen Flüchtlingslagern mitten in der Wüste Filialen eröffnet, um Geflüchtete anzustellen.

Das Gute sei, so der Uganda-Geschäftsführer: Um bei Sama die KI eines Autos, einer Drohne oder eines Roboters zu trainieren, „brauchst du keine Fähigkeiten, du musst nicht einmal einen Schulabschluss haben“, so Okello. „Die meisten Leute hier haben noch nie in ihrem Leben einen Computer gesehen, bevor sie bei uns angefangen haben.“

Einer der jungen Arbeiter, die Sama im Vorfeld für ein Gespräch mit der taz gezielt ausgewählt hat, ist der 30-jährige Bruno Kayiza, ein Vorzeigearbeiter. Geboren und aufgewachsen in der Hauptstadt Kampala, erhielt er 2012 ein staatliches Stipendium, um an der Universität in Gulu im Norden des Landes Wirtschaft und Datenmanagement zu studieren, erzählt er: Die Firmenfiliale von Sama war in umgebauten Containern direkt neben dem Campus gelegen.

„Ich war neugierig, was da passiert, und habe mich eines Tages dort vorgestellt“, sagt Kayiza. Mit Erfolg: Vier Jahre lang hat er bei Sama Robotern beigebracht, wie sie nur reife Äpfel pflücken, dann stieg er auf zum Teamleader, um die Qualität der Arbeit seiner Kollegen zu überwachen. Schritt für Schritt erklomm er in den nächsten Jahren die Karriereleiter. Mittlerweile ist er in der Filiale in Gulu für 418 Leute zuständig, die dort in zwei Schichten Tag und Nacht immer wieder dieselben Klickarbeiten im Akkord tätigen müssen. Eine digitale Stundenuhr am PC registriert jeden einzelnen Klick.

Mehr als üblich

„Die Arbeit ist sehr interessant“, erklärt Kayiza die Tätigkeit. „Das Gehalt ist gut“, betont er. Es liege rund 20 Prozent über dem, was in Uganda untrainierte Ar­bei­te­r*in­nen in der Regel verdienen, also bei umgerechnet rund 150 Euro.

Hinzu kommen soziale Absicherungen wie eine kostenlose Krankenversicherung sowie ein günstiges Mittagessen, was in Uganda keine Selbstverständlichkeit sei, so Kayiza. In Anbetracht der enormen Masse an arbeitssuchenden Jugendlichen sei Afrika ein „wirklich komplizierter Arbeitsmarkt“, sagt er. Denn viele machen einen Uniabschluss, „wissen dann aber nicht, was als Nächstes kommt.“

Vor allem für Leute wie ihn, die Wirtschaftswissenschaften oder Betriebswirtschaftslehre studiert hätten, gebe es fast keine Anstellung. So enden selbst die mit Unidiplom meist als Gärtner, Nachtwächter oder an der Supermarktkasse. Im Vergleich dazu sei „Sama ein echt guter Job“, nickt er begeistert.

Für Analystin Nanjira Sambuli klingt das aber alles ein wenig zu positiv, um wahr zu sein, merkt sie gegenüber der taz am Telefon aus Kenias Hauptstadt Nairobi an. Die Kenianerin forscht im Rahmen ihres Stipendiums von der Carnegie-Stiftung, wie sich die Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie auf die afrikanischen Gesellschaften auswirken. Sama ist da ein gutes Beispiel, sagt sie.

Kenia sei in dieser Hinsicht vielen afrikanischen Ländern voraus. Bereits 2012, als die ersten Glasfaserkabel von der Küste des Indischen Ozeans ins Innere des Kontinents verlegt wurden und damit die Surfgeschwindigkeit im Internet sich von heute auf morgen vervielfachte, eröffneten Tech-Firmen wie Google, Microsoft und IBM in Nairobi ihre ersten Filialen, um arbeitsintensive Jobs auszulagern. Kenias Politiker priesen gegenüber der Jugend die Zukunft eines „Afrikanischen Silicon Savannah“ mit jeder Menge guter Jobs für junge Leute.

Aufschrei in den Medien

„Klar besteht ein immenser Bedarf an Arbeitsplätzen auf dem gesamten Kontinent“, so Sambuli: „Aber sind dies sinnvolle Jobs? Sind das sichere Jobs mit Zukunftschancen?“, stellt sie die Frage in den Raum. Meist werden bei Sama die Verträge für einfache Ar­bei­te­r*in­nen nur für einen bestimmten Projektzeitraum von mehreren Monaten vergeben, danach wüssten die meisten nicht, ob es Anschlussprojekte gebe. „Sama betont, sie seien ein ethisches Outsourcing-Unternehmen“, so Sambuli: „Doch in der Vergangenheit gab es hier in Kenia Fälle, die vor Gericht aufgerollt wurden, bei welchen sich ihre Arbeitsweise als fragwürdig entlarvt hat.“

Zu Beginn dieses Jahres verklagten vier Sama-Mitarbeiter in Kenia die Firma und wandten sich an die Regierung, die die „ausbeuterischen“ Arbeitsbedingungen unter die Lupen nehmen sollten, wie es in der Klage hieß. Die Mitarbeiter hätten im Auftrag von Facebook die Inhalte von Postnachrichten prüfen müssen, oft 700 Textpassagen pro Tag, meist mit sexuell konnotiertem Inhalt. „Das hat meiner psychischen Gesundheit schwer geschadet“, gab damals einer der Kläger an. Diese Klage hatte ein Aufschrei in den Medien zur Folge. Was einst als glorreiche Jobchancen vermarktet wurde, wurde in der Praxis zum Albtraum.

„Das Beispiel in Kenia zeigt“, so Analystin Sambuli, „dass sich Politiker in Afrika und die ganze internationale Gemeinschaft Gedanken machen müssen, zu welchem Preis all diese Arbeitsprozesse zu Dumpingpreisen nach Afrika ausgelagert werden“, stellt sie klar und mahnt an, afrikanische Politiker müssten dringend Gesetze hinsichtlich des Mindestlohns ausarbeiten und Arbeitsrechte definieren, so Sambuli: „Nur weil der Kontinent dringend Arbeitsplätze benötigt, bedeutet dies nicht, dass man Arbeitsrechte und Mindeststandards an Ethik über Bord werfen darf“, merkt sie an.

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