Niedersachsens Landesverfassung: Rassenwahn vielleicht heilbar
Das Konzept „Rasse“ ist überholt. In Niedersachsens Landesverfassung steht das Wort aber noch drin. Grüne und FDP wollen das ändern.
Gegenwärtig heißt es in Artikel 3 der Landesverfassung: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die Grünen fordern jetzt: Das Wort „Rasse“ soll ersetzt werden durch die Formulierung, dass niemand „rassistisch“ benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Außerdem wäre nach ihrer Vorstellung die Aufzählung um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu ergänzen.
Die Grünen begründen ihren Vorstoß damit, dass seit Langem unzweifelhaft feststehe, dass es keine Menschenrassen gebe. Tatsächlich war das Konzept von der Unesco nach jahrzehntelangem Ringen 1978 für überholt befunden worden. Im Jahr 1995 wurde diese Einsicht in der Erklärung von Prinzipien der Toleranz bekräftigt.
Ulrich Kattmann ist emeritierter Professor der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Unter anderem im „Lexikon der Biologie“ und im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung hat er sich mit dem Rassekonzept auseinandergesetzt: „Menschenrassen – ein längst überholtes Konzept“ heißt einer seiner Beiträge von 2002. Ein weiteres Werk von 2003 trägt den provokativen Titel „Sind wir alle Neger? Biologische Rassenkonzepte sind wissenschaftlich nicht haltbar“.
Ulrich Kattmann, Professor em. Uni Oldenburg
Kattmann ist der Auffassung, dass der Rassebegriff ein sozialpsychologisches Konzept ist: „Man will sich unterscheiden: Wir und die Anderen“, sagt er. Der Mensch strebe danach, sich gegen andere abzugrenzen. Biologisch gesehen sei eine Unterscheidung zwischen Rassen aber nicht haltbar. „Im Sinne einer biologischen Systematik bilden alle heute lebenden Menschen eine Art“, schreibt er in einem Artikel für die Online-Ausgabe von Spektrum.
Den Vorschlag der Grünen, den Begriff „Rasse“ jetzt durch „rassistisch“ zu ersetzen, hält er dennoch für verfehlt. Wenn man der Ansicht sei, dass es Rassen nicht gebe, dann solle man den Begriff ganz streichen, sagt er. „Wenn man etwas rassistisch nennt, negiert man ja nicht, dass es Rassen gibt“, sagt er. Er ist der Meinung, dass eine Forderung, Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft zu diskriminieren, den Aspekt bereits abdeckt, den die Grünen mit der Aufzählung des Rassismus einfangen wollen. „Die Herkunft kann ja sowohl das Land sein, in dem man geboren ist, als auch die Kultur, mit der man aufgewachsen ist“, sagt Kattmann der taz.
Bereits im Juni 2014 hatte die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag geplant, einen ganz ähnlichen Antrag einzureichen. Dieser sah ebenfalls eine Ergänzung des Merkmals der sexuellen Identität vor. Das Wort „Rasse“ wollte die FDP jedoch ersatzlos aus der Verfassung streichen. Zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kam es allerdings nie. Bevor über den Entwurf abgestimmt werden konnte, löste sich der niedersächsische Landtag auf: Der Übertritt der vormals Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU bedeutete damals den Verlust der Regierungsmehrheit.
„Wir würden den Begriff Rasse gerne vollständig aus der Verfassung streichen, weil Menschen heutzutage nicht mehr nach Rasse unterschieden werden“, sagt der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marco Genthe zum aktuellen Vorschlag der Grünen. Auch die FDP halte den Begriff „rassistisch“ für einen fragwürdigen Ersatz. Genthe sehe „die mit ‚rassistisch‘ gemeinte Diskriminierung bereits durch die weitere Auflistung wie Abstammung, Herkunft und Heimat in gewisser Weise abgebildet.“
„Die Zielrichtung von unserem Gesetzentwurf ist primär, dass der Begriff ‚Rasse‘ aus der niedersächsischen Landesverfassung gestrichen wird“, sagt Helge Limburg. „Wir sind aber zu Gesprächen bereit.“
Würden bei der Diskussion über das Gesetz die anderen Parteien dem Streichen des Wortes „Rasse“ zustimmen, aber würde sich keine Mehrheit dafür aussprechen, den Begriff durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei man auch mit einer ersatzlosen Streichung einverstanden, so Limburg. Das, was „rassistische“ Diskriminierung beschreibt, sei für ihn aber mehr, als Diskriminierung aufgrund der Herkunft. „Diskriminierten Menschen darf nicht die Möglichkeit genommen werden, selber zu definieren, wofür sie sich diskriminiert fühlen“, sagt er. Eine „rassistische“ Diskriminierung umfasse mehr als die reine Herkunft des Diskriminierten.
Bei der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland kommt der Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion sehr gut an. „Wir finden das total super“, sagt Tahir Della, Sprecher der Initiative. Es habe bereits in anderen Landesparlamenten Versuche gegeben, das Wort „Rasse“ aus den Landesverfassungen zu streichen. Das sei dann aus verschiedenen Gründen jeweils gescheitert. Darum begrüße die Initiative den Vorstoß der Grünen-Fraktion in Niedersachsen umso mehr. Der Plan, das Wort „Rasse“ durch „rassistisch“ zu ersetzen, sei der richtige Weg.
„Der Blick muss umgekehrt werden“, sagt Della: „Es sollte nicht mehr die Gruppe beschrieben werden, die diskriminiert wird, sondern der Grund, aus dem Diskriminierung passiert.“ Dass es Rassen nicht gebe, sei hoffentlich inzwischen klar. „Das heißt aber nicht, dass es rassistisches Handeln nicht gibt.“
Menschen würden aus den unterschiedlichsten Gründen diskriminiert. Die Herkunft spiele bei rassistischen Diskriminierungen aber nicht immer eine Rolle. „Wir können dem Problem von Rassismus doch nur begegnen, wenn es im Gesetz benannt wird“, sagt er. „Wenn der Begriff ‚Rasse‘ ersatzlos gestrichen wird, blenden wir aus, dass es Rassismus gibt. Der Begriff Rassismus beinhaltet, dass es Rassen nicht gibt und trotzdem diese Diskriminierung stattfindet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste